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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Marktplätze herab, wenn sie dort eine Blume entdecken, ähnlich wie die Geier in Buenos Ayres, wenn sie bei den Häusern ein gestorbenes Thier wittern. Da der Mensch in seinen Gärten so viele schöne Gewächse um sich her versammelt, so mögen sie seinen Ansiedlungen vielleicht vorzugsweise gern folgen. Man sieht sie sogar in so volkreichen Städten, wie Cincinnati oder New-York es sind, nicht selten. Sie nähern sich auch der Person des Menschen ohne Scheu, und wenn in diesen Städten hie und da ein paar Damen die Gewohnheit haben, in einer Gartenlaube ihren Nachmittags-Kaffee zu trinken, so ist es ihnen ein leichtes, ein paar Colibris an sich zu gewöhnen, indem sie ihnen regelmäßig ein Tröpfchen geschmolzenen Zuckers oder Honigs in einem Näpfchen hinsetzen. Die kleinen Lieblinge kommen zur bestimmten Zeit und naschen sich ihre Portionchen vom Tische weg.

Wir in Washington, da wir sie auf die besagte Weise erst einmal in des Präsidenten Garten entdeckt hatten, hörten nun gleich nachher überall von Colibris. Man sah sie nun alsbald auch in vielen anderen Gärten. Sie huschten auch gelegentlich durch das Gehöfte unseres eigenen Hauses, wo blos ein einziger blühender Pfirsichbaum stand. Sie waren sogar überall in die Gewächshäuser eingedrungen, um auch da ihre Jagd auf Honigseim fortzusetzen und die versteckten Blumen auszubeuten. Doch sind dergleichen Wagnisse nicht ohne Gefahr für sie. Sie können sich mitunter in dem Gemäuer nicht zurecht finden, rennen mit dem Schnabel gegen die Steine und hauchen dann oft unmittelbar nach einem solchen Stoße ihr Seelchen aus, das in dem kleinen Leibe nur sehr lose zu sitzen scheint. Dieser gleicht, wie gesagt, einem geflügelten Funken und stirbt auch schnell wie ein Funken. Ein spät eintretender Nachtfrost vermag sie auf der Stelle umzubringen, wie unsere zarten Georginenblüthen im Herbst. Oft zwar ist es nur eine lähmende Erstarrung, und läßt man die warme Sonne auf das Körperchen scheinen, so regt es sich zuweilen bald wieder und fliegt neubelebt und mit verjüngter Kraft davon. Auch darin gleichen sie manchen Insecten.

Wir besuchten unseren Tulpenbaum in des Präsidenten Garten an den folgenden Tagen noch einige Male wieder. Doch fanden wir sehr bald, daß die Anzahl unserer kleinen Gäste darin schnell abnahm. Nach mehreren Tagen erschien nur kaum noch einer dann und wann. Auch hörten wir bald nachher in der Stadt nur noch hier und da von einem einzelnen versprengten Vögelchen. Daraus schien mir hervorzugehen, daß die Wanderung der Kolibris und ihr Einbruch in die Städte und Gärten zuerst en masse und mit einer großen Armee geschieht. Sie kommen wie die Fluth mit einer stark aufgeschwollenen Welle. Diese Fluth zieht von Süden her durchs Land, läßt überall einige Ansiedler zurück und fluthet, sich allmählich verlierend, nach Norden weiter. Es mag indeß auch sein, daß jene von uns beobachtete Magnolie (der Tulpenbaum gehört dieser Gattung an) auch nur deßwegen anfänglich so zahlreich besucht war, weil sie wegen ihrer besonders günstigen Stellung ungewöhnlich frühzeitig blühte, und vielleicht vertheilten sich die Thiere in Folge der mit jedem Tage in allen Winkeln und Verstecken der Gegend sich mehrenden und sich öffnenden Blüthen. Da ich bald darauf die Vereinigten Staaten verlassen mußte, so konnte ich leider diese Sache, die ich in den ornithologischen Werken noch so wenig gründlich auseinandergesetzt finde, nicht weiter verfolgen. Doch blieb mir das Licht- und Farbenbild jenes hübschen Vogel- und Blumenstücks, das ich in des Präsidenten Garten erblickte, wie ein reiches Gemälde von De Heem oder Mignon für immer im Gedächtnisse, und ich dachte mir daher, daß eine Copie desselben, wie ich sie hier zu geben versuchte, auch dem deutschen Leser angenehm sein könnte.

Vielleicht sich er es nicht ungern, wenn ich ihm bei dieser Gelegenheit auch noch sonst Einiges von den Naturscenen, die man zuweilen in diesen amerikanischen Städten zu sehen Gelegenheit hat, beifüge. Und es ist eine ziemlich natürliche Ideen-Association, wenn mir da bei den Colibris, die im Sonnenschein des Tages wie Feuer glänzen, auch gleich die hübschen amerikanischen Feuerwürmer einfallen, die in der Nacht wie Colibri-Federchen schimmern.

Diese Leuchtkäfer oder, wie die Engländer sie nennen, „Feuer-Fliegen“, an denen der ganze amerikanische Continent – Nord und Süd – so überschwänglich reich ist, erscheinen in den Städten und Landschaften der Union etwas später als die Colibris. Gleich diesen sieht man sie zuerst einzeln hier und da in den Büschen und an den Hecken schimmern, wie die noch spärlich angezündeten Laternen bei einer erst beginnenden Stadt-Illumination. Es dauert aber nicht lange, so fangen sie an, in größerer Anzahl zu schwärmen. Im Beginn des Mai sieht man sie in allen Gärten, in allen Bäumen der langen Alleen, mit denen die Straßen der amerikanischen Städte bepflanzt zu sein pflegen, und überall wo nur ein Büschelchen oder ein kleiner Grasfleck grünt. Fast könnte man dort, wie bei uns, wenn man Mondschein im Kalender findet, zu dieser Zeit der Leuchtkäfer die Gaslaternen sparen. Oft sieht man die beiden Seiten der Wege, wo sie schwirren, weithin wie durch zwei, wo nicht helle, doch schimmerige Linien abgezeichnet, wie man zuweilen die Linien des Meeresstrandes durch die phosphorescirenden Wellen markirt erblickt.

Wenn man spät Abends vor seinem Hause sitzt und auf den Wiesen-Abhang hinabschaut, der von diesem Hause vielleicht zur Straße abwärts fällt, so gewährt dieser Abhang oft den reizendsten Anblick. Zwischen allen Grashalmen scheint das sanfte Licht einer aufschießenden Mücke hervor. Da die meisten nicht viel höher fliegen, als das Gras selbst, und immer wieder unter den Rasen zu tauchen scheinen, so sieht es aus, als sprühe der Rasen Funken, die schnell wieder erlöschen. Oder besser, über der ganzen Oberfläche hin scheinen dünne, an ihren Rändern schimmernde Lichtwellen in wallender Bewegung zu sein. Zuweilen schlagen diese belebten Lichtwellen auch Wirbel und Brandungen. Denn obwohl sie mitunter so einförmig und ungestört auf- und abwallen, wie die Oberflächen-Schwenkungen eines vom Winde bewegten Sees, so scheint es doch zuweilen auch, wie unter den Colibris, Spiel und Krieg unter ihnen zu geben. Sie fallen mitunter in großer Zahl über einander her, bilden dichte Knäuel, die dann fast wie eine Leuchtkugel leuchten und sich über die Wiese hinrollen. Diese duftigen Lichtkugeln lösen sich auf in tausend Sternchen und ziehen sich, verschiedenerlei Umrisse annehmend, wieder zusammen, wie man einen ähnlichen Tanz auch bei andern Thieren, Vögeln wie Insecten, beobachten kann, nur daß hier durch das Licht der Tanz etwas elfenartiger wird.

So viel diesmal von den Colibris und Leuchtkäfern in den Städten der amerikanischen Union. Damit man sich aber nach den von mir etwas mehr ausgeführten Bildern diese Städte doch nicht gar so reizend denke, mag ich gleich hinzufügen, daß noch sonst manches Stück wilder Natur in sie hineinragt, welches man lieber weg wünschen möchte. Nicht selten vernimmt man in diesen Städten – ich spreche hier nicht gerade von Boston und New-York, aber doch von solchen Ortschaften, wie die Bundeshauptstadt Washington oder Cincinnati, St. Louis etc. – noch das schreckhafte Gebrüll des Ochsenfrosches, der einen in irgend einem Nebengäßchen noch unausgetrocknet gebliebenen Sumpf bewohnt. Auch wühlen und weiden in ihnen, z. B. selbst in den Straßen der Bundes-Hauptstadt Washington, recht fleißig – aber ohne Hirten und wie herrenlos – eine Menge von Schweinen und Kühen herum. Ueber diesen Theil der Straßen-Bevölkerung der amerikanischen Städte könnte man ein eigenes recht interessantes Capitel schreiben, z. B. über die psychologisch merkwürdigen Sitten und Neigungen, welche die Kühe durch ihr beständiges Leben in den Straßen angenommen haben. Es sind vermuthlich die Kühe armer Leute, die nicht Landbesitz genug haben, um ihr Vieh gehörig zu nähren, und die es daher lieber wie Bettelkinder auf der Gasse abenteuern lassen. Sie sehen meistens jämmerlich und mager aus, wie die Hunde in Constantinopel, und sind dabei diesen auch sonst noch in mancher anderen Hinsicht ähnlich geworden. Wie diese benaschen und verschlingen sie Alles, was die Leute in die Straßen an Küchenresten hinausgeworfen haben, und untersuchen neugierig jedes nicht gerade aus Pflastersteinen componirte Häufchen, was auf dem Pflaster liegen geblieben ist. Wie die Kühe der Kamtschadalen für Fisch, so gewinnen sie dabei für manche Nahrung eine Vorliebe, welche unsere Kühe verschmähen. Zum Beispiel benaschen sie gewöhnlich sehr eifrig den Pferdedünger und lassen darin nichts zurück, was ihnen einer zweiten Verdauung noch fähig scheint. Wie in Bezug auf ihre Speise nicht wählerisch, so sind sie natürlich ebenso wenig verwöhnt in Bezug aus ihr Nachtlager. Man findet sie mitunter auf dem Pflaster der Städte ausgestreckt, wie die Hunde. Am Tage gerathen sie auf den Trottoirs zuweilen mit den Crinolinen der spazierenden Damen in Collision. Um Mitternacht sah ich sie zuweilen schlummernd und träumerisch an einen Laternenpfahl gelehnt oder geduldig wiederkäuend – das Bischen, was sie zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_408.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)