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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Aus den Erlebnissen eines alten Sachwalters.[1]
Nr. 1.

Es geschah vor einiger Zeit, daß die sächsische Staatsregierung eine Warnung ergehen ließ vor dem gefährlichen Treiben gewisser Agenten, welche namentlich arglose Bauersleute durch Gutskäufe und Täusche wiederholt betrogen, in manchen Fällen sogar um ihr ganzes Vermögen, an den Bettelstab und zur Verzweiflung gebracht hatten. Es wurde auch eine wohlmeinende, wenn schon auf dem dermaligen Landtage in ihrer formellen Berechtigung angezweifelte Verordnung erlassen, durch welche das ganze Agentenwesen der Controle der Behörden untergeordnet ward. Wir bezweifeln, daß damit dem Publicum irgend ein wesentlicher Nutzen bereitet worden ist, halten es vielmehr für unmöglich, das vielgestaltige Geschäftsleben so, wie beabsichtigt, zu überwachen, und erblicken das einzige Schutzmittel nicht nur gegen das Treiben gewissenloser Agenten, sondern überhaupt gegen Vermögensverluste und Verwirrungen aller Art in dem Rathe, daß man sich bei jedem wichtigeren Rechtsgeschäfte des Beistandes eines redlichen und geschickten Sachwalters bediene. Wir können unparteiisch diesen Rath geben, denn nach einem vielbewegten Leben in der advocatorischen Praxis haben wir uns aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Wir weisen darauf hin, daß es bei der großen Mannigfaltigkeit, Feinheit und Verwickelung unseres Verkehrs selbst für den Gebildeten ganz unmöglich ist, die daraus sich ergebenden Rechtsverhältnisse klar zu erfassen; nur bei der Theilung der Arbeit, dem Princip, auf dem die heutige Gesellschaft ruht, ist es möglich, daß in einer Wissenschaft oder Kunst Etwas geleistet werde, und die Behandlung der Rechtsgeschäfte läßt sich nicht nebenbei erlernen; sie erfordert eben so viel Studium, als Erfahrung. Zur Erläuterung mögen einige aus dem Leben gegriffene Beispiele dienen, bei denen nur die Namen verändert sind.

1. Die unrichtige Firma.

In einer kleinen Stadt des Voigtlandes etablirte sich vor länger als 20 Jahren der Klempnermeister Ohnerast. Er hatte sich auf der Wanderschaft in der Welt umgesehen, und man sah es seinem ganzen rüstigen Wesen, dem klugen Ausdrucke seiner Augen wohl an, daß er sich nicht auf das Ruhebänkchen des Zunftzwangs niederlassen, sondern sich auf seine eigene Kraft verlassen werde. Seine Mittel waren sehr bescheiden, aber sein Fleiß mühte sich unverdrossen, von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, in der im Hofe gelegenen Werkstatt ab, während seine sorgsame Hausfrau den Verkauf im Laden besorgte. Hier waren einige Lampen neuester Construction ausgestellt, während seine Zunftgenossen sich noch nicht über die primitive Lampe von Weißblech erhoben hatten, deren wulstigem Dochte der Qualm wie aus einer Esse entsteigt. Obschon der Zunftneid über ihn spottete, so kam doch Ohnerast zunächst bei den Honoratioren der Stadt, dann bei den nächsten Rittergütern in Kundschaft; er konnte sich erst einen Lehrling, dann einen, später mehrere Gesellen halten, und mit seinen Fabrikaten die Leipziger Messe beziehen. Er sah ein, daß sein bisheriger Wohnort zur flotten Betreibung seines Geschäftes zu klein, und namentlich zu abgelegen von den großen Verkehrsstraßen war. Er siedelte in eine größere Stadt über. Das Geschäft war in stetem Wachsen; wo er sonst allein in der Hinterstube gehämmert, da arbeiteten später gegen hundert Leute, nicht blos Klempner, auch Dreher, Gießer und Tagelöhner. Der Handwerksbetrieb hatte sich zur Fabrik ausgedehnt. Es war nöthig geworden einen kaufmännisch gebildeten Buchhalter anzustellen. Meister Ohnerast wurde allmählich ein reicher Mann und war in der Stadt hochgeachtet; trotz seiner durch Geschäftsreisen häufig herbeigeführten Abwesenheit wurde er mit städtischen Ehrenämtern betraut. Dabei blieb er immer der einfache, schlichte Mann; nur ein Mangel entwickelte sich bei ihm stärker und stärker; es war die Meinung, die aus seinem gewiß berechtigten Selbstgefühl entstand, daß er, der bis dahin Alles allein mit dem besten Erfolge ersonnen, geleitet und ausgeführt hatte, überhaupt des Rathes anderer Leute nicht bedürfe, und daß namentlich, so vielfacher Art seine Beschäftigungen auch waren, der Rath eines Sachwalters dabei völlig überflüssig sei. Bestärkt wurde er in dieser Meinung noch durch die Erfahrung, daß er einmal in einen Proceß verwickelt worden, in welchem nach seiner ehrlichen Ueberzeugung das Recht auf seiner Seite war, der ihm aber durch eine Eidesleistung seines Gegnern verloren ging. – Er pflegte seitdem immer zu sagen, der grundehrliche Mann: „Bei mir gilt das Recht; ich brauche keinen Advocaten.“

So entschloß er sich denn, ohne irgend einen vorgängigen juristischen Beirath, eines Tages einen Compagnon anzunehmen. Seine häufigen Geschäftsreisen erforderten auch, daß während seiner Abwesenheit ein Stellvertreter die Aufsicht über das umfängliche Geschäft führe. Er fand das, was er suchte, in einem seiner Arbeiter, Namens Beimann, der fleißig und geschickt immer von ihm bevorzugt und schon längere Zeit mit der Stellung eines Factors von ihm betraut worden war. Es erschien plötzlich die Firma „Ohnerast und Beimann“ am kaufmännischen Horizonte, und es hieß in der Stadt allgemein, Beimann, welcher in der Lotterie gewonnen oder auch eine Erbschaft gemacht habe, sei namentlich seines Geldes wegen zum Theilhaber des Geschäftes emporgestiegen, namentlich da unmittelbar nach Anzeige der neuen Firma die Fabrik durch Ankauf eines Nachbarhauses wiederum vergrößert ward. – Beimann leitete nun vorzugsweise den technischen und Ohnerast den kaufmännischen Theil des Geschäftes, das sich eines steten Fortschreitens erfreute. – Beimann, obwohl im Geschäfte thätig, war Junggesell, hatte für Niemanden zu sorgen, und pflegte des Abends als Ersatz für die Freuden des häuslichen Heerdes dem Bacchus, wenn nicht unmäßig, so doch reichlich zu opfern, so daß sich sein Gesicht allmählich mit einer helleren Röthe überzog, das auf der Nase sich bis zum Dunkelroth steigerte, im Ganzen aber nur dazu diente, den Ausdruck von Behaglichkeit und Wohlhäbigkeit zu vollenden, der dem wohlgenährten Compagnon eines so geachteten Geschäftes nur wohl anstand, zumal Ohnerast immer schmächtig blieb, jedenfalls in Folge sowohl seines Temperamentes, als seines einfachen Lebens. – Diesen erwünschten Verhältnissen wurde Beimann plötzlich durch ein tragisches Geschick entrissen. An einem feuchten und nebligen Herbstabende des Jahres 1851 mochte er wohl ein Glas mehr als gewöhnlich genossen, oder der dichte Nebel ihn getäuscht haben; er fiel beim Heimwege in den Mühlgraben, wurde zwar auf seinen Hülferuf vom Nachtwächter bald herausgezogen; inzwischen war er vom Schlage getroffen worden, gänzlich gelähmt und starb bald darauf.

Einige Wochen darauf kam Ohnerast eines Morgens zu mir mit sorgenvollem, fast vergrämten Gesichte; er theilte mir mit, daß ein Advocat für die armen Verwandten seines verstorbenen Compagnons zu ihm gekommen sei und von ihm die Darlegung seiner Geschäftsverhältnisse und seines Compagnons Antheil am Geschäfte herausverlangt habe; er bat um meinen Beistand. Ich erwiderte ihm, daß er ja dazu eines Advocaten gar nicht bedürfe; denn es gelte ja bei ihm das Recht, und als rechtlicher Mann könne er sich ja nicht weigern, den Erben seines Compagnons das Ihrige herauszuzahlen. Er entgegnete: Jemandem das Seine vorzuenthalten, wäre er weit entfernt, aber Beimann habe in seinem Geschäfte auch nicht einen Pfifferling stehen gehabt; bei Annahme der neuen Firma wäre nicht Beimann’s Vermögen, das er nie besessen, sondern lediglich seine vorzügliche technische Befähigung maßgebend gewesen, und um des Respectes willen den Leuten gegenüber habe er ihn als Compagnon vor den Leuten figuriren und ihm außer seinem festen Gehalte einen Gewinnantheil zukommen lassen. Aufgeschrieben sei über das ganze Verhältniß gar Nichts. Er überzeugte mich aus den Geschäftsbüchern von der Wahrheit seines Anführens; ich schlug also den Gegnern ihr Verlangen ab und erwartete, ob sie ihre Ansprüche im Proceßwege ausführen würden, was denn auch geschah.

Mit dessen näherer Beschreibung will ich den Leser nicht ermüden; nur so viel sagen, daß ich es mit einem hartnäckigen Gegner zu thun hatte. Zu einem Vergleiche war Ohnerast

  1. Unter diesem Titel werden wir eine Reihe Thatsachen und Erfahrungen aus dem Leben eines Sachwalters mittheilen, deren Zwecke kein unterhaltender, sondern lediglich ein belehrender sein soll. Der Leichtsinn, mit dem so viele Menschen die wichtigsten Vorkommnisse ihrer bürgerlichen und geschäftlichen Existenz behandeln, hat so oft schon die traurigsten Folgen nach sich gezogen, daß wir uns durch diese Mittheilungen, die sämmtlich wirkliche Erlebnisse und praktische Lebensfragen behandeln, unsern Lesern gegenüber ein kleines Verdienst zu erwerben hoffen.
    D. Redact.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_411.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)