Seite:Die Gartenlaube (1861) 417.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 27.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Holzgraf.

Eine oberbairische Geschichte.
Von Herman Schmid.[1]
1.

Der Frühling des Jahres 1811 hatte bald und vielverheißend begonnen; er schien zu wissen, welche Fülle von Frucht und Segen er auszustreuen habe für den reichen Sommer, der nach ihm kommen sollte. Selbst in dem sonst winterlichen Thale an der Ammer war er so anmuthig und mild eingezogen, als gälte es nicht, eine späte Kornsaat vorzubereiten, sondern selbst auf den unwirthlichen Felszacken des Kofelberges den Saft in edle Reben emporzutreiben und Kometenwein daraus zu brauen.

Der Abend vor dem Sonntag Exaudi ging besonders glänzend zu Ende, die Berge dem Kofel gegenüber standen im Wiederschein der Abendröthe, die sich über die Thalfläche gegen Unterammergau hin ausgebreitet hatte und in den Wellenkrümmungen der Ammer widerschien – darüber hinaus begann es schon zu dunkeln und die schwache Halbsichel des wachsenden Mondes hing im Blauen, als wär’ es eine riesige Laterne, an einem der Felsgiebel ausgesteckt, um den Arbeitern zu leuchten, deren wuchtige Axt und Hammerschläge noch weithin schallten durch das ruhende Thal. Zu den Häusern von Oberammergau war es die ganze Dorfgasse hinaus schon stille geworden, nur hie und da hörte man aus einer Stube betende Stimmen, hie und da sah man durch ein erleuchtetes Fenster noch einen Bildschnitzer an der Werkbank sitzen und an einem Figurchen basteln, das noch fertig werden sollte.

Das Geräusch der Arbeitenden kam aus der Nähe der Kirche. Neben derselben, auf dem sonst so friedlichen Bereiche des Gottesackers, starrte es von Balken und Holzwerk, mit ein mächtiges Gerüst ließ die Umrisse einer eigenthümlichen offenen Bühne mit davor errichteten Zuschauerbänken erkennen. Alles war aus derbem, nur leicht behauenem Werkholz gezimmert und ohne Schmuck; blos an der Bühne selbst waren Linien und Farben zu erkennen, so weit sie im Mondschein mit bei dem schwachen Lichte einzelner Laternen noch sichtbar werten konnten.

Es war die Bühne zu dem berühmten Passionsspiele von Oberammergau. weiche damals noch unmittelbar neben der Kirche auf dem Gottesacker erbaut wurde, und die späte Arbeitsthätigkeit war nicht zu verwundern, denn über acht Tage war ja schon Pfingsten, und wenn die Vorstellungen, dem alten Herkommen gemäß, am Pfingstmontage beginnen sollten, so gab es noch so viel vorzubereiten und fertig zu machen, daß nicht eine Secunde versäumt werten durfte. Darum waren Zimmerleute und Maler noch vollauf beschäftigt; man hatte sogar Gebetläuten überhört und machte sich kein Gewissen daraus; war es doch keine eitle weltliche Belustigung, der es galt, sondern ein frommes Werk, das in den Augen mit Herzen der Oberammergauer heilig ist, wie ein Gottesdienst.

In rein innern Raume der eigentlichen Bühne stand ein junger Mann vor einer großen aufgehangenen Leinwand und strich darauf mit mächtigem Pinsel keck hin und wieder. Es war ein hübscher Bursche, dem die graue Gebirgsjoppe mit grünem Stehkragen und das tyrolerartige grüne Hütel sehr gut liest, wenn auch das blonde Haar nicht ganz gut dazu paßte, das er in lang hin abfallenden Locken und hinter die Ohren zurück gescheitelt trug. Nach Malerart trat er eben ein wenig von der Leinwand zurück, um bei dem Scheine der zu beiden Seilen an Pfosten aufgehängten Laternen die Wirkung seiner Arbeit zu betrachten. Er war nicht unzufrieden damit, denn über das ungewöhnlich feine und blasse Gesicht flog ein munteres Lächeln, und er trat rasch vor die Leinwand hin, um mit kühner Hand einen hellen, weißen Flecken als Licht darauf zu setzen.

„Mache mir den Haifisch nur nicht gar zu gräulich,“ sagte eine freundliche Stimme hinter ihm, und ein alter Mann in der Tracht eines Weltgeistlichen trat hinzu. Es war eine nicht große, aber stattliche Gestalt, mit ehrwürdig mildem Gesicht und fast ganz kahlem Kopfe, um welchen nur ein schmaler Kranz von langen Silberlocken schimmerte. „Das Monstrum,“ fuhr er fort, indem er mit dem goldenen Knopfe seines hohen Rohrstocks an die Malerei klopfte, „das macht ja ein Paar Augen, daß sie Einem im Traum vorkommen könnten!“

Der Jüngling erröthete leicht, indem er dem Geistlichen entgegentrat, seine Hand ergriff und küßte, was dieser ohne Widerrede geschehen ließ. „Spotten Sie nur über mich, Hochwürden,“ sagte er, „ich kann’s doch nicht besser machen! Hab’ ich doch mein Lebtag


  1. Unsere Leser kennen den Verfasser des „Holzgrafen“ bereits aus frühern Beiträgen. worunter namentlich die „Huberbäuerin“ – Anfang vorigen Jahres – allgemeinen Beifall fand. Herman Schmid, der sich indeß auch als Dramatiker hervorgethan, ließ vor kurzem unter dem Titel: „Alte und neue Geschichten“ eine Sammlung seiner Erzählungen erscheinen, deren Stoffe er meist dem bairischen Gebirgsleben entnommen hat. Wir empfehlen diese Erzählungen allen unsern Lesern auf das Angelegentlichste. Wenn Frische und Kernigkeit der Darstellung, glänzende Detailmalerei, interessante Sujets und eine sehr wohlthuende Gesundheit der Anschauung einen guten Novellisten machen, so dürften wir H. Schmid unbedingt zu den hervorragendsten zählen. Erzählungen wir der „Mohrenfrenzel“, die „Huberbäuerin“, „Eigener Herd“ und „Unverhofft“ gehören zu den besten Leistungen der Neuzeit auf dem Gebiete der deutschen Novellistik.
    D. Redact.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_417.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)