Seite:Die Gartenlaube (1861) 418.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

keinen Haifisch gesehen, und wenn er den Propheten Jonas hat verschlingen und unversehrt wieder ausspeien können, muß er eben doch ein rechtes Ungeheuer gewesen sein, und da hab’ ich gemeint …“

„Und da hab’ ich, gemeint,“ unterbrach ihn der Pater, „ich bin ein hochmüthiger Mensch, der immer gleich oben aus ist und der sich einbildet, weil er ein leidliches Crucifix oder einen Gemsjäger schnitzeln kann, wär’ er schon ein Meister, wie weiland Andrea Pisano, der das wunderbare Gnadenbild gemeißelt hat drüben in Ettal! Wer sagt Dir denn, daß ich spotte? Was habe ich denn gesagt, was nicht auch ernsthaft gemeint sein kann? Was habe ich …“

Die rasch auffliegende Röthe des Jünglings war ebenso rasch desto tieferer Blässe gewichen; er war bei Seite getreten und hatte Pinsel und Farbentopf weggestellt. Jetzt trat er mit einer Gebehrde, welche unterwürfig war und doch nicht ohne Selbstgefühl zu sein schien, vor den Eifernden und rief: „Ist das Ihr Ernst, Hochwürden? Bin ich wirklich solch ein hochmüthiger, eingebildeter unnützer Bursch? Ach, es weist ja Niemand besser, als ich selber, daß ich nichts kann und nichts bin als ein elender Stümper!“

Seine Stimme zitterte hörbar; der Greis legte ihm die Hand auf die Schulter, hob ihm mit der andern das Gesicht leicht in die Höhe und blickte ihm väterlich gütig in die Augen. „Nein, Domini,“ sagte er beruhigend, „es ist nicht mein Ernst, und Du bist auch kein so elender Stümper, wie Du Dich selber machst! Wenn auch der Haifisch da ein Paar Augen hat, die selbst für ein Ungeheuer zu ungeheuerlich sind, so bist Du doch kein unnützer Bursch, sondern ein tüchtiger Bildschnitzer, und wenn Du fleißig bist wie bisher, wirst Du es noch weiter bringen und Oberammergau alle Ehre machen!“

„Das möcht’ ich freilich gern!“ rief der Bursche. „Ich will auch fleißig sein … aber ich werd’ es doch zu nichts bringen können! Ja, wenn ich auch so glücklich wäre wie Andere und hätte was lernen können – aber Hochwürden wissen es ja, wie blutarm meine Eltern waren, und wie sie mich nicht studiren lassen konnten. Die einzige Hoffnung für mich war das Kloster in Ettal; da hätten sie mich wohl aufgenommen, ich hätte studiren können, ich wäre nach München und weiß Gott wo sonst noch hingekommen, – da wäre ich ein tüchtiger Student und vielleicht auch ein Geistlicher wie Sie geworden, oder hätte einen tüchtigen rechten Lehrer in der Bildhauerei gefunden … aber das ist Alles vorbei! Vor neun Jahren, wie das Kloster ist aufgehoben worden, war ich noch, ein Bub’, der eben aus der ABCschule kam – das schöne Stift ist leer, die Herren, die meine Lehrer geworden wären, sind hinausgewandert nach allen vier Himmelsgegenden, und wenn Sie, Hochwürden, sich nicht unser Dorf zum Aufenthalt ausgesucht und sich um mich angenommen hätten, so wäre ich aufgewachsen wie der Baum im Wald – ich bin gewiß nicht viel, aber was ich bin, verdank’ ich nur dem guten, lieben Pater Ottmar …“

„Na, na,“ entgegnete dieser abwehrend, „es freut mich, wenn Du dankbar bist! Vielleicht läßt es sich doch noch machen, daß ich Dich nach München unterbringe, damit wir sehen, ob ein Bildhauer in Dir steckt … Es wird doch das Beste sein, denn was Du da vorhin von, Geistlich-Werden gesagt hast, sind doch nur Flausen!“

Der Jüngling sah ihn betroffen an und brachte ein verlegenes Warum? hervor.

„Warum?“ rief der Pater. „Weil Du mir gerade so aussiehst wie Einer, der den rechten Sinn für’s Klosterleben hat! Meinst Du, der alte Pater Ottmar hat die Augen umsonst im Kopfe und sieht nicht, daß die Schutzengel und die Magdalenen und die Muttergottesbilder, die Du schnitzelst, auf einmal alle miteinander dasselbe Gesicht haben? Meinst Du, daß ich nicht gemerkt habe, wem sie gleich sehen alle miteinander?“

Die Befangenheit des Burschen stieg mit jedem Worte, er wußte nicht, was er erwidern sollte; daß aber der kluge Pater recht gesehen, zeigte die Unsicherheit in Blick und Haltung des jungen Mannes.

Ein verworrener Lärm, wie von streitenden Männerstimmen wurde von der Straßenseite hörbar und gab ihm erwünschte Gelegenheit, den bedenklichen Fragen des Paters zu entgehen.

„Was ist das?“ rief er. „Hören Hochwürden das Geschrei? Am Ende giebt’s einen Zank vorn unter den Zimmerleuten! “ Damit wendete er sich und schritt rasch der Richtung zu, von welcher der kann herkam. Der Pater erwiderte nichts; er sah dem Burschen mit leichtem Kopfschütteln und gutmüthig spöttischem Lächeln nach und folgte ihm dann.

Er kam wirklich gerade recht, um Unheil zu verhüten.

An der innern Seite der Kirchhofmauer hatten sich alle Arbeiter versammelt, welche beim Aufbau des Passionsgerüstes beschäftigt waren. Sie waren von ihren Arbeiten weggelaufen und standen nun in einzelnen Gruppen beisammen, laut und heftig redend und mit den Händen agirend. Die Mehrzahl hatte sich an die Mauerbrüstung gedrängt und rief und zankte durcheinander auf die am äußern Fuße der Mauer vorbeiführende Straße hinab. Dort stand ein ländliches und doch städtisch vornehmes Fuhrwerk, mit zwei prächtigen Pferden bespannt und von einer Schaar Zimmerleute umgeben, welche hinabgeeilt waren und drohend und schreiend den Wagen am Weiterfahren hinderten.

In dem Wagen saß ein einzelner Mann, bäurisch gekleidet, aber die Stoffe der Kleider waren für diesen Stand zu fein und das schwere Uhrgehäng, das unter der Sammtweste hervorbaumelte, ließ erkennen, daß der Besitzer reich war und diesen Reichthum zu zeigen liebte. Es war ein großer, breitschultriger Mann mit einem nicht unschönen, aber hart geformten Gesicht, welchem der trotzige Mund und der übermüthige Blick der unruhigen Augen etwas Abstoßendes gaben. Nach dem dichten, etwas struppig aufstehenden und stark mit Grau gemischten Haare schien er schon in der letztern Hälfte des männlichen Alters zu stehen, allein die Art, wie er Zügel und Peitsche in den Händen hielt und wie er auf die ihn umdrängenden Arbeiter herabsah, zeugten von furchtlosem Kraftbewußtsein.

Jetzt hob er die Peitsche, zog die Zügel an, daß die Pferde einen Ruck machten und rief: „Jetzt gebt einmal Ruh’, Ihr Narren! Laßt meine Ross’ frei, oder ich fahr’ Euch nieder!“

Die Peitsche knallte, die Pferde setzten an, aber sie konnten nicht von der Stelle, so schnell und kräftig waren sie am Gebiß und an den Zügeln gepackt und niedergerissen. „Was?“ schrieen die Burschen, „Du willst uns erst schimpfen und noch mit dem Niederfahren drohen? Nun lassen wir Dich erst recht nicht vom Platz, bis Du andere Saiten aufspannst!“

„Reißt ihn herunter!“ rief einer der Zimmerleute von der Mauer herab. „Wenn er uns überfahren will, so reißt ihn zuvor herunter von seinem, Sitz und zeigt dem übermüthigen Holzgrafen, daß wir uns vor ihm so wenig als vor seinen Geldsäcken fürchten!“

Einige Burschen drängten gegen den Wagensitz vor; einige Arme streckten sich aus, um nach dem darauf sitzenden Manne zu greifen; dieser richtete sich nach seiner ganzen Größe auf, um den Angriff abzuwehren, und schnalzte zugleich mit der Zunge, um die Pferde zum Laufe anzutreiben.

Pater Ottmar war auf die Straße herabgeeilt und trat im entscheidenden Augenblick zu den Streitenden. „Gebt mir Ruh’, Ihr Leut’!“ rief er den Arbeitern zu. „Schämt Ihr Euch nicht? Ihr arbeitet an einem so frommen, gottgefälligen Werk und fangt Händel an, als wär’ es das allergeringste Banernwirthshäusel, was Ihr da baut! – Gebt mir Ruh’, sag’ ich, und der Erste, von dem ich noch ein ungutes Wort höre, hat auch den letzten Hobelstoß oder Hammerschlag zum Passion gethan!“

Schon beim Erscheinen des Paters waren die Leute ehrerbietig zurückgetreten; schweigend ließen sie Pferde und Zügel los, und der Wagen hätte ungehindert weiterfahren können, allein sein Besitzer setzte sich mit lautem, verächtlich klingendem Lachen nieder und schien abwarten zu wollen, was weiter geschehen sollte.

„Recht so,“ begann der Pater wieder, indem er mit wohlgefälligem Nicken den bereitwilligen Gehorsam der Umstehenden anerkannte. „Jetzt will ich aber auch wissen, was es gegeben und wer den Streit angefangen hat.“

„Wir sind ganz ruhig bei unsrer Arbeit gewesen,“ sagte einer der Zimmerleute vortretend, „und wie man halt gern zu der Arbeit singt, weil einem dann Alles leichter aus der Hand geht, und weil wir doch Alle beim Volk und beim Einzug Christi in Jerusalem dabei sind, haben wir den neuen Gesang vor uns hingesummt, den der Herr Lehrer Dedler so schön gesetzt hat. Wissen Sie, Hochwürden, den Gesang, der so anfängt „Heil Dir! Heil Dir, Du David’s Sohn!“ und wie wir da so in Gott vergnügt arbeiten und singen, da kommt der Holzgraf daher gefahren, daß man gemeint hat, die Räder müßten weg fliegen …“

„Ich wüßt’ nit,“ unterbrach der Mann aus dem Wagen den

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_418.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2021)