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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Redenden, „daß wir Zwei schon Brüderschaft gemacht haben miteinander … und wenn ich mir auch nichts d’raus mach’, daß die Leut’ mir den Spitznamen aufgebracht haben, so bin ich doch für Dich der Korbinian Loder vom Durnerhof und nit der Holzgraf … verstanden? “

„Fehlt nichts,“ fuhr der Zimmergesell fort … „also sag’ ich, so kommt der Herr Korbinian Loder vom Durnerhof dahergesaust in einem Sturm – wie er aber in die Nähe von der Gottesackermauer gekommen ist, da hat er angehalten und ist auf einmal ganz langsam Schritt gefahren und hat uns zum Trutz ein Schnaderhüpfel gepfiffen in unsern heiligen Gesang …“

„Ich scher’ mich nit um Euren Gesang,“ unterbrach ihn der Durnerbauer wieder, „warum kümmert Ihr Euch um das, was ich pfeif“? Ich hab’ Euch nicht gesagt, daß Ihr still sein sollt mit Eurem langweiligen Geplärr’ – aber Ihr habt auf mich herunter geschrieen und habt mir das Pfeifen verbieten wollen.“

„Das haben wir gethan,“ war die Antwort Mehrerer, welche sich wieder gegen das Fuhrwerk vordrängten, „und wir haben das Recht dazu, denn Ihr habt uns zum Spott gepfiffen, und das leiden wir nicht!“

„Die Straßen ist weit und gehört mein so gut wie Euch; wenn Ihr daraus singen dürft, darf ein Andrer juchzen oder pfeifen – wer kann ihm was einreden?“

„Allerdings Niemand,“ mischte sich jetzt Pater Ottmar in’s Gespräch, „so lange es die Ruhe nicht stört und Niemand ein Aergerniß gegeben wird. Ein frommes Lied ist wie ein Gebet, und unter Christen ist es Brauch, das Gebet eines Andern zu achten und es nicht zu stören – wer das thut, zeigt ein hartes Herz und ein verstocktes Gemüth!“

„Ah was,“ rief der Bauer mit rohem Lachen, „wie’s in mein’ Herz’ und mein’ Gemüth ausschaut, ist meine Sach’ – ich bin fünfzig Jahr alt ’worden und hab’ Niemand ’braucht zum Dareinreden, ich will’s nochmal fünfzig Jahr’ dabei lassen! Aber die Leut’ sagen Ihnen das Rechte gar nit, Hochwürden – sie sind nit wegen dem Bissel Pfeifen so wild auf mich, sondern weil ich ihnen die Wahrheit gesagt hab’ …“

„So?“ fragte der Pater, „die wäre …?“

„Ich habe ihnen gesagt, daß sie Narren sind, und wer die Wahrheit geigt, bekommt den Fidelbogen um’s Maul! Ich hab’ ihnen gesagt, sie sollen sich nit auslachen lassen und mit der Arbeit aufhören, weil sie ja doch umsonst und das Passionsspiel vom König verboten ist …“

„Ein solches Verbot ist allerdings ergangen,“ sagte der Pater, „aber wenn Ihr das wißt, Durnerbauer, dann wißt Ihr gewiß auch, daß das Dorf eine Deputation nach München geschickt hat, die dem König die Sache von der rechten Seite vorstellen und die Zurücknahme des Verbots erwirken soll …“

„Ja, daß sie das wollen, hab’ ich gehört,“ erwiderte der Bauer mit Lachen, „ich komm’ just von München und hab’ die ganze Deputation trübselig beisammen sitzen sehen im Ammerthalerhof – sie haben nichts ausgericht’, das Gespiel ist und bleibt verboten …“

Schweigend und betrübt standen die Leute und blickten auf den Pater, welcher ebenfalls betreten war von der unerwarteten Nachricht. „Wir wollen hoffen, daß es nicht so ist,“ sagte dieser nach secundenlanger Pause. „Noch können wir hoffen und dürfen es, bis uns die Nachricht aus einem anderen Munde zukommt – aus dem Eurigen klingt sie gar zu schadenfroh, als daß wir sie so geradhin glauben sollten. Gute Nacht, Durnerbauer!“

Damit wendete er sich kurz von dem Bauer ab und trat zu den Arbeitern, welche rasch einen Kreis um ihn schlossen und den Störenfried gar nicht mehr beachteten. Aergerlich darüber hieb dieser aus Leibeskräften auf die Pferde ein, fing scharf und gellend das Schnaderhüpfel zu pfeifen an, das vorher der Stein des Anstoßes geworden war, und verschwand in der Straßenbiegung.

„Laßt Euch nicht irre machen, Leuteln,“ sagte, ohne sich daran zu kehren, der Pater zu den Arbeitern, „und laßt Euch die Freude nicht verderben! Wir haben einen gar lieben und herzensguten König, und Herr Georg Lang, der Verleger, und die andern Männer von der Deputation haben Her; und Zunge auf dem rechten Fleck – wird aber unser Gehorsam wirklich auf eine so harte Prob’ gestellt, dann habt Ihr Euch freilich umsonst gefreut und umsonst gearbeitet. Dann müßt Ihr Euch mit mir und dem Lehrer Dedler trösten – dann reißt Ihr Euer Gerüst wieder ein, ich lege meinen Text und der Lehrer seine Musik in das Pult – dann muß der liebe Gott eben so gut sein und muß den Willen für’s Werk nehmen. – Und jetzt gute Nacht miteinander: macht Feierabend und seid wohlgetröst’ … es wird Alles werden, wies recht ist.“

Er ging; die Männer und Bursche zerstreuten sich rasch nach allen Richtungen. Nach einigen Schritten blieb Pater Ottmar stehen und sah sich flüchtig nach Dominik, dem jungen Bildschnitzer um, jedoch vergebens. Dieser hatte schon zu Anfang des Wortwechsels mit dem Holzgrafen sich erst behutsam an die Kirchhofmauer gedrückt und war schon lange durch ein Seitengäßchen davon geeilt.

Inzwischen waren am andern Ende des Dorfs in der Oberstube eines stattlichen Bauernhauses zwei Frauen beisammen gesessen und hatten den Abend ziemlich einförmig und einsylbig verbracht. Die Stube war geräumig, aber nicht hoch, und die auf dem Tische brennende Oellampe vermochte nur schwach deren Wände und die Decke von saubrem braunem Holzgetäfel zu beleuchten. Was sich demungeachtet erkennen ließ, zeigte bäuerliche Wohlhabenheit und Prachtliebe; besonders zierlich waren die gewundenen Säulen der in einer Ecke prangenden Himmelbettstatt. Das Bett war von reiner Weiße, aber es trug die Spuren des Gebrauchs, und aus dem nebenan stehenden Nachttischchen zeigten Arzneigläser und Schalen, daß es die zeitweilige Zuflucht einer Kranken war. Diese hatte sich eben in die Nähe des großen grünen Kachelofens geflüchtet, in welchem, obwohl es draußen mild und angenehm war, ein stattliches Feuer brannte, denn es fror sie fortwährend von innen heraus. Sie hatte ein paar Bettstücke mitgenommen und saß nun halblehnend auf der Ofenbank, in augenblicklich behaglicher Ruhe und mit müden schlummergeschlossenen Augen. Die Kranke war eine Bauersfrau, schlank und abgemagert, bleich und eingebrochen im Gesichte, das nicht unterscheiden ließ, ob diese Züge, welche einst schön gewesen sein konnten, vom Alter oder von der Krankheit so zerstört worden waren oder von Kummer und Gram.

Daß sie einst schön gewesen bewies das Antlitz der andern Bewohnerin des Zimmers, eines Mädchens, das in Gestalt und Zügen das getreue Abbild der Kranken war, wie eben Jugend und Gesundheit das Abbild von Alter und Siechthum zu sein vermögen. Sie war bereits daran, sich zum Schlafengehen vorzubereiten, und hatte die breiten Zöpfe aufgelöst, daß das braune Haar ihr reich und voll über den Nacken bis den halben Rücken hinunter wallte. Dennoch schien sie mit dem Tage noch nicht vollständig abgeschlossen zu haben, denn sie stand in dem dunkelsten Theile des Zimmers am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Sie legte die Stirne an die kleinen bleigefaßten Rundscheiben, und schien deren Kühle mit Behagen zu empfinden; nur manchmal hob sie das Köpfchen und sah nach der Kranken hinüber.

Diese bewegte sich jetzt und murmelte etwas Unverständliches mit halbgeöffneten Lippen. Augenblicklich war das Mädchen mit unhörbaren Tritten zu ihr geeilt, ließ sich, da sie die Augen aufschlug, auf ein Knie vor ihr nieder und fragte zärtlich, indem sie beide Hände derselben erfaßte und ihr in’s Gesicht sah: „Wie ist Dir, Mutter? Hat Dir das bissel Schlaf gut gethan?“

„Der Schlaf und die Wärme,“ wisperte die Leidende mit schwacher Stimme … „aber ich bin doch recht elend, Vesi; wenn’s nicht bald warm wird und die Sonn’ mich curirt, dann curirt mich der Doctor von Ammergau so wenig, als es der Bader von Graswang zuwegen gebracht hat … das Frieren von inwendig heraus wird immer ärger …“

„Willst nicht in’s Bett, Mutter? Vielleicht könnt’st Du Dich dort erwärmen …“

Die Kranke machte eine schwache, abwehrende Bewegung. „Nein, hier ist’s besser,“ flüsterte sie; „aber Du leg’ Dich nieder, Vesi … Du brauchst Ruh’ … leg’ Dich nieder, ich ruf’ Dich schon, wenn ich ’was haben will … ich weiß darum doch, daß Du mich gern hast und meine gute Tochter bist …“

Die Ermüdung gewann wieder die Oberhand; die Stimme der Bäuerin sank; ihre Augen schlossen sich wieder, und wie zuvor sank sie an den warmen Ofen und in die Kissen zurück … „Wenn nur der Vater käm’ …“ murmelte sie halblaut im Entschlummern. „Ich hab’ ihm die Post thun lassen, wie Du’s verlangt hast,“ antwortete Vesi mit gedämpfter Stimme … „aber er muß nicht fortgekonnt haben, sonst wär’ er wohl schon da. Heut ist’s aber wohl schon zu spät, heut dürfen wir ihn nicht mehr erwarten …“

Die Kranke hörte das nicht mehr, sie lag im Zustande der Abspannung, und das Mädchen, ihre Hände haltend, blieb noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_419.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)