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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

schritt an seiner Seite der Office zu, ohne daß auf dem Wege ein Wort zwischen Beiden gefallen wäre; Reichardt fühlte, daß irgend etwas in der Angelegenheit, die er übernommen, nicht ganz in Ordnung sein müsse; er indessen, welcher nichts als einen Botengang gethan, mochte nicht das erste Wort darin ergreifen.

Der Cassirer öffnete die verschiedenen Thüren und zündete dann im Cassenzimmer eine Gasflamme an, öffnete einen der in die Wand eingemauerten Geldschränke und zählte fünf Hundert Dollarsnoten vor Reichardt auf den Tisch, sorgfältig die erhaltene Anweisung an demselben Orte verwahrend. Reichardt barg das Geld in sein Portemonnaie und sagte dann aufsehend: „Ich denke, Mr. Bell, Sie haben mir noch irgend etwas zu sagen; ich bin ein abgesagter Feind von allen halben Andeutungen, besonders wenn ich nichts davon verstehe.“

Der Angeredete schloß langsam die äußere Thür des Geldschranks und wandte sich dann nach dem Sprechenden. „Sie sind zufällig beauftragt worden, das Geld zu holen, Sir?“ fragte er.

„Durchaus zufällig, Mr. Bell! Ich kam von der obern Stadt, als mich Mr. Frost anrief.“

„Und Sie wissen nicht, zu welchem Zwecke es verwandt werden soll?“

„Habe nicht die entfernte Idee davon, Sir!“

„Sie kennen auch nicht das so komfortable eingerichtete kleine Zimmer im Astorhause?“

„Ich habe es einmal gesehen, Sir, ehe ich hier in’s Geschäft trat, und dann nicht wieder.“

„Ah! – nun, Mr. Reichardt, ich glaube Ihnen, denn ich habe keinen Grund für das Gegentheil – glauben aber Sie auch mir eins!“ sagte der Cassirer, die Brauen dicht zusammenziehend. „In diesem kleinen Zimmer im Astorhause, in welchem der Teufel seine Hütte aufgeschlagen hat, sind mehr Seelen verloren gegangen, als Sie in Ihrer Unerfahrenheit ahnen mögen, und mehr vielversprechende junge Leute thun dort allabendlich die ersten Schritte auf dem breiten Pfade, von welchem die Bibel redet, auf dem Pfade zu ihrem Untergange, als es einer von ihnen selbst weiß. Ich habe trotz der kurzen Zeit Ihrer Anwesenheit im Geschäft Interesse an Ihnen genommen, Sir; Sie schienen mir nicht in die gewöhnliche Art der hiesigen jungen Leute einzuschlagen; ich habe sogar schon in Bezug auf Sie an die Zeit gedacht, so fern sie auch noch liegen mag, in welcher ich vielleicht meinen jetzigen Posten verlassen möchte – Alles dies, Sir, würde ein einziger Abend in jenem kleinen Zimmer, welcher Sie dort anwesend fände, ausstreichen können – Sie gehen heute einen schlüpfrigen Weg, denken Sie an mich, Sir, und Gott gebe, daß ich morgen früh dasselbe klare Auge bei Ihnen wiederfinde, wie heute Abend.“ Er winkte dem Deutschen, voranzugehen, und folgte ihm dann schweigend, das Licht löschend und jede einzelne Thür sorgfältig verschließend. Als Reichardt, kaum daß er den Fuß der Treppe erreicht, sich umsah, strich soeben der Cassirer steif an ihm vorüber, ohne ein weiteres Wort laut werden zu lassen.

Wenn der Alte durch Abschreckung auf das Herz des jungen Clerks hatte wirken wollen, so hatte er den entgegengesetzten Weg eingeschlagen – konnte sich dieser doch trotz aller Worte noch keine Vorstellung dessen machen, was in dem kleinen Zimmer Entsetzliches vorging, und so fest er auch in seinem Entschlusse war, sich keiner Handlung, die nicht streng mit seinen allgemeinen Grundsätzen übereinstimmte, hinzugeben, so konnte er doch auch eine Neugierde auf das, was er zu sehen bekommen werde, nicht von sich weisen. Als er das Astorhaus kaum erreicht, kam ihm schon aus den hintern Zimmern der junge Frost entgegen. „Gott sei Dank, daß Sie da sind; die schönsten Chancen habe ich bereits verpassen müssen,“ rief dieser und zählte flüchtig das ihm dargereichte Geld durch, „jetzt aber kommen Sie mit mir, wir gehen halbpart heute Abend, ich habe eine Idee, daß Sie Glück bringen müssen.“

„Einen Augenblick!“ erwiderte Reichardt, dem plötzlich ein volles Verständniß aufging, halblaut. „Sie spielen?“

„Gewiß! und Sie haben kaum jemals wieder so viel Gelegenheit, sich mit den jungen Leuten aus unserer Haute volée bekannt zu machen als heute Abend!“ war die Antwort.

„Ich gehe einige Minuten mit Ihnen, aber stellen Sie mich nirgends vor, noch verlangen Sie von mir, irgend einen Antheil am Spiele zu nehmen,“ entgegnete Reichardt, der sichtlichen Ungeduld des Andern nachgebend, „liegt Ihnen aber nichts Besonderes an mir, so ist es vielleicht besser, wenn ich ruhig nach Hause gehe.“

John Frost blieb plötzlich stehen und warf einen forschenden Blick in das Gesicht des Deutschen. „Ich will gehängt werden,“ sagte er unmuthig, „wenn Ihnen der alte Bell nicht eine Predigt gehalten und von dem breiten Pfade zu Hölle und Verdammniß gesprochen hat; – ich habe Sie lieb, Reichardt, und möchte nicht, daß Sie Ihre Abende Gott weiß wo verbringen, möchte, daß Sie in die Gesellschaft eingeführt werden, in die Sie gehören, und so stellen Sie sich zu mir, und kümmern Sie sich um nichts Weiteres!“

Der Sprechende hatte leicht Reichardt’s Arm erfaßt und führte ihn bei den letzten Worten nach den hintern Räumen. Dort öffnete sich nach einem eigenthümlichen Klopfen des Amerikaners eine Thür vor ihnen; zwei leere, halbdunkele Zimmer wurden durchschritten, und jetzt erst that sich auf erneutes Klopfen der kleine comfortable Raum auf, welchen Reichardt bereits kannte.

Das Zimmer war fast gänzlich von Gästen besetzt; demohngeachtet herrschte eine Stille unter diesen, welche die Eintretenden unwillkürlich ihren Schritt dämpfen ließ – nur zu Zeiten durch einzelne laute Worte unterbrochen, wie sie das Spiel an den verschiedenen Tischen hervorrief.

Der Thür gegenüber erhob sich eine Art Büffet mit halb gefüllten Flaschen, Gläsern und Cigarrenkisten regellos besetzt. Rechts von diesem hatte ein langer Tisch die Hauptzahl der Anwesenden um sich versammelt, während links kleinere Partien derselben um die übrigen Tische gruppirt saßen.

Nirgends hob sich beim Oeffnen der Thür auch nur ein Auge, und Frost wandte sich rasch nach dem Haupttische, wo eine Art „deutsches Faro“ gespielt zu werden schien, und gab seinem Gefährten einen Wink, ihm zu folgen. Reichardt ließ zuerst einen Blick über das sich ihm darbietende Bild laufen, und lehnte sich dann zur Seite des Divans, auf welchem der Andere Platz genommen hatte, gegen die Wand, von hier aus langsam die einzelnen Personen musternd. Es gab viel jugendliche Züge unter den Anwesenden, in denen sich noch unverhohlen die verschiedenen Empfindungen je nach dem Gange des Spieles aussprachen; aber es fehlte auch nicht an Gesichtern, denen man die Gewohnheit einer derartigen Unterhaltung ansah, die den Launen des Glücks entweder mit einer Art vornehmer Gleichgültigkeit folgten, oder ihre momentane Erregung nur durch ein kurzes Verziehen des Mundes andeuteten.

„Alles verkehrt heute! immer kommt meine Karte zu früh oder zu spät,“ murrte Frost, nachdem er sich durch einen raschen Aufblick von Reichardt’s Nähe überzeugt hatte. „Nehmen Sie ein paar Minuten meinen Platz, Sir,“ fuhr er sich erhebend fort, „vielleicht packen wir dann das rechte Ende.“

„Lassen Sie mich vom Spiele weg! “ erwiderte Reichardt, fast ängstlich bei Seite tretend – nach einigen Beobachtungen war es ihm, als hätte er selbst für einen hohen Preis jetzt keine Karte anrühren können, „es ist Grundsatz von mir, niemals zu spielen, und ich möchte diesem, selbst auf fremde Rechnung, nicht untreu werden.“

„Ob ihn der alte Bell nicht unter den Fingern gehabt hat!“ rief Frost mit unterdrückter Stimme, während ein launiger Zug mit dem Unmuthe in seinem Gesichte kämpfte; „ist Ihr Gewissen wirklich so zart, Reichardt?“

„Und er hat Recht, Frost!“ ließ sich jetzt eine dritte Stimme neben ihnen hören. „Junge Leute in seiner Stellung sollten sich noch nicht einmal nach einem Spiellocale umsehen –“ Reichardt’s rasch aufblickendes Auge traf auf ein hämisches Lächeln in William Johnson’s Gesicht – „ich werde einige Minuten für Sie pointiren, wenn Sie es wünschen.“

„Wäre es nicht äußerst passend, Sir, daß sich Jeder um seine eigenen Verhältnisse und das, was ihm fehlt, bekümmerte?“ gab der Deutsche, den Kopf mit aufleuchtenden Augen hebend, zurück.

„Bst, bei allen Glücks- und Unglücksgöttern! “ rief Frost mit unterdrückter Stimme, seine Hand auf Reichardt’s Mund legend, „jedes laute Streitwert hier ist Landesverrath und rächt sich unvermeidlich! – Aber er hat Recht, Will, und ich sehe nicht den entferntesten Grund für diese Herausforderung Ihrerseits –“

„Ich glaube wohl nur zu Ihnen gesprochen zu haben, John, da ich mit dem Gentleman hier wohl kaum in irgend einer gesellschaftlichen Beziehung stehen kann,“ erwiderte Johnson, sich zum Gehen wendend; „was ich aber sagte, drückte nur eine Billigung seines Verfahrens aus. Lassen wir das, und machen wir unser Spiel!“ Er schritt leicht davon; Frost aber drehte den erregten Deutschen mit einer kräftigen Armumschlingung nach der entgegengesetzten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_435.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)