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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

erquickt worden waren. Am meisten pflegten die Auswanderer ein von einem ehemaligen Salzburger Bergmann, dem schon 1686 seines Glaubens wegen aus Salzburg verjagten, durch seinen „evangelischen Sendbrief“ und andere Schriften bekannt gewordenen Joseph Schaitberger, gedichtetes Lied zu singen, das daher hier Platz finden mag:

Ich bin bin armer Exulant,
Also muß ich mich schreiben.
Man thut mich aus dem Vaterland
Um Gottes Wort vertreiben.

Doch weiß ich wohl, Herr Jesu mein,
Es ist Dir auch so gangen,
Jetzt soll ich Dein Nachfolger sein.
Mach’s, Herr, nach Dein’m Verlangen.

Ein Pilgrim bin ich auch nunmehr,
Muß reisen fremde Straßen;
Drum bitt’ ich Dich, mein Gott und Herr!
Du wollst mich nicht verlassen.

Ach steh mir bei, Du starker Gott!
Dir hab ich mich ergeben;
Verlaß mich nicht in meiner Noth,
Wenn’s kosten soll mein Leben.

Den Glauben hab ich frei bekannt,
Deß darf ich mich nicht schämen,
Ob man mich einen Ketzer nennt
Und thut mir’s Leben nehmen.

Ketten und Band war mir ein Ehr,
Um Jesu will’n zu dulden:
Denn dieses macht die Glaubenslehr,
Und nicht mein bös Verschulden.

Ob mir der Satan und die Welt
All mein Vermögen rauben,
Wenn ich nur diesen Schatz behalt,
Gott und den rechten Glauben.

Herr, wie Du willst, ich geb mich drein,
Bei Dir will ich verbleiben,
Ich will mich gern dem Willen Dein
Geduldig unterschreiben.

Muß ich gleich in das Elend fort,
So will ich mich nicht wehren,
Ich hoffe doch, Gott wird mir dort
Auch gute Freund’ bescheren.

Nun will ich fort in Gottes Nam’,
Alles ist mir genommen,
Doch weiß ich schon, die Himmelskron’
Werd ich einmal bekommen.

So geh ich heut von meinem Haus,
Die Kinder muß ich lassen,
Mein Gott, das treibt mir Thränen aus,
Zu wandern fremde Straßen.

Ach führ mich, Gott, in eine Stadt,
Wo ich Dein Wort kann haben,
Damit will ich mich früh und spat
In meinem Herzen laben.

Soll ich in diesem Jammerthal
Noch lang in Armuth leben,
Gott wird mir dort im Himmels-Saal
Ein besser Wohnung geben.

Wer dieses Liedlein hat gemacht,
Der wird hier nicht genennet,
Des Papstes Lehr hat er veracht
Und Christum frei bekennet.

Man hielt mit ihnen in den Kirchen freien evangelischen Gottesdienst und theilte ihnen das Abendmahl unter beider Gestalt aus. Man bewirthete sie freundlich, beschenkte sie reichlich, begleitete sie wieder feierlich beim Abschied, und die Emigranten weinten Thränen der Dankbarkeit. Man schlug Münzen zum ewigen Gedächtniß der Begebenheit, man veranstaltete für die Unglücklichen Collecten, die ganz ansehnliche Summen ergaben. Nach einer Notiz aus jener Zeit brachte unter andern Dresden nicht weniger als 9676, Leipzig 2605, Frankfurt a. M. gegen 5000, Nürnberg über 6000, Wien 6000, Hamburg sogar über 24000 Thaler, Lübeck 12,134 Mark zusammen, aus Venedig kamen 311, sogar aus Smyrna 26 Gulden. Es flossen diese Gelder nach Regensburg in eine Casse zur Unterstützung der vertriebenen Salzburger, welche bis auf 888,381 Gulden anwuchs; die kursächsische Collecte freilich soll nicht hierzu, sondern – zum Ausbau der Frauenkirche in Dresden mit verwandt worden sein!

Allgemein und groß war das Aufsehen, das die Grausamkeit, mit welcher der geistliche Tyrann in Salzburg gegen seine evangelischen Unterthanen verfuhr, in Deutschland und über die deutschen Grenzen hinaus machte. Der Reichstag that Vorstellungen, aber sie wurden nicht beachtet. England, Holland, Preußen, Dänemark und Schweden verwendeten sich für die Evangelischen – – Alles umsonst, die Unterhandlungen zogen sich hin, und unterdessen fuhr der gewissenlose Erzbischof fort, die noch zurückgebliebenen Protestanten zu quälen. Die genannten Staaten drohten mit Repressalien, drohten, gegen die Katholiken, die sich in ihrem Bereiche befänden, ebenso zu verfahren, sie zu vertreiben und ihr Hab und Gut einzuziehen, aber auch diese Drohungen waren erfolglos, – auch die Bemittelten mußten Salzburg verlassen, manche in schamloser Weise gemißhandelt und geschmäht. Ja, der Erzbischof brachte die geistige Tortur, welche die Tesseregger einst zum Auswandern genöthigt hatte, wieder in Anwendung: um sein Land von all dem verruchten Unkraut zu säubern, forderte er von allen seinen Unterthanen den Eid, daß der evangelische Glaube ein ketzerischer und verfluchter, dagegen der römisch-katholische der alleinseligmachende sei, da bekannten sich noch Viele öffentlich zur lutherischen Lehre und zogen aus ihrem Vaterhause, aus ihrer alten, lieben Heimath ihren Brüdern in die Ferne nach. Auch sie fanden bei ihren Glaubensgenossen dieselbe freundliche Aufnahme, und wie sich gewöhnlich erst im Unglück der Charakter wirklich edler Menschen in seiner wahren, edeln Größe zeigt, so hat uns auch die Geschichte jener Tage eine nicht geringe Zahl edler Charakterzüge aufbewahrt.

Es gehört dahin auch jener Vorfall, der sich im Oettingen-Wallerstein’schen ereignet haben soll und der schönsten Dichtung unsers größten Dichters Veranlassung und Stoff gegeben hat. Dort in Altmühl (so berichteten die Emigranten, während freilich ein Ort dieses Namens vergeblich zu suchen ist) lebte ein „feiner und vermögender Bürger“ mit seinem Sohne. Oftmals schon hatte er den letztern zur Heirath ermahnt, doch umsonst. Als aber nun ein Zug Salzburger Auswanderer das Städtchen passirte, erblickte der Sohn unter ihnen ein Mädchen, das den tiefsten Eindruck auf ihn machte. Die von ihm eingezogenen Erkundigungen ergaben, daß sie von redlichen Eltern geboren, sich allezeit „wohl erhalten“ und nur des Glaubens willen dieselben verlasse habe. Da ging er hin zu seinem Vater, offenbarte ihm seine Neigung zu der Salzburgerin und bat um seine Einwilligung, mit der Drohung, daß er andernfalls sich niemals verehelichen werde. Erschrocken suchte der Vater, der wohl auf eine bemittelte, wohlhäbige Schwiegertochter gehofft hatte, ihm sein Vorhaben auszureden und ließ einen Prediger und andere Freunde rufen, um den Sohn auf andere Gedanken zu bringen. Als aber der Sohn entschieden bei seinem Entschlusse blieb und auch der Geistliche eine Fügung der Vorsehung darin zu erblicken glaubte, gaben denn alle zuletzt ihre Zustimmung. Der Sohn suchte das Mädchen auf und frug sie, wie es ihr hier im Lande gefalle, und als sie erwidert hatte: „Herr, ganz wohl!“ frug er sie weiter, ob sie wohl bei seinem Vater dienen wolle. Gern erklärte sie sich dazu bereit und theilte ihm mit, wie sie das Vieh füttern, die Kühe melken, das Feld bestellen und andere Hausarbeit verrichten könne. Da nahm er sie mit sich und stellte sie seinem Vater vor. Der Vater, der von jenem zum Schein geschlossenen Dienstverhältniß nichts wußte, frug die Salzburgerin, ob ihr denn sein Sohn gefalle und sie ihn heirathen wolle. Betroffen erwiderte sie: man solle sie nur nicht foppen, der Sohn habe für seinen Vater eine Magd verlangt, und wenn er sie haben wolle, werde sie ihm treu dienen. Als aber nun der Sohn ihr seine Neigung, sein Verlangen gestand, erklärte sie, daß, wenn es denn Ernst sein solle, sie es gar wohl zufrieden sei und ihn halten wolle wie ihr Auge im Kopfe, und nachdem ihr der Sohn ein Ehepfand gereicht, griff sie mit den Worten: „Sie müsse ihm doch wohl auch einen Mahlschatz geben,“ in den Busen und überreichte ihm ein Beutelchen mit 200 Dukaten. –

Wer erkennt nicht sofort in dieser einfach rührenden Geschichte den Stoff jenes herrlichen Gedichts, das mit seinem Erscheinen im Jahre 1798 durch seine schlichte Einfachheit, seine reine Wahrheit, seine Wärme und Tiefe der Empfindung die Lieblingsdichtung des deutschen Volkes geworden und bis zum

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_442.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)