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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

neue Algenart, die er Tridochesmium erytrhaeum nannte. Aehnliche Algen sind im fallenden Schnee, den sie ganz carminroth zu färben vermögen, bemerkt worden.

Es giebt auch einige Pilzgattungen (Palmella, Telephora), welche durch warme Gewitterregen aus dem Boden hervorgelockt werden, sich in der Feuchtigkeit überraschend schnell entwickeln und dann in eine dunkelrothe, gallertartige Masse verwandeln, die eine große Ähnlichkeit mit geronnenem Blute hat und oft bei Unkundigen den Gedanken an einen atmosphärischen Ursprung erregt haben mag, wenn nicht der Gedanke an wirkliches menschliches oder thierisches Blut sich in den Vordergrund drängte. Haben doch viel abweichendere Erscheinungen die Gemüther in Schrecken zu setzen vermocht.

Im Jahre 1608 geriethen die Bewohner von Aix in Frankreich durch rothe Blutstropfen, die man hie und da in großer Anzahl auf dem Erdboden, den Blättern und Stengeln der Pflanzen, an den Thürpfosten, an Bretergewänden, kurz überall antraf, in große Bestürzung. Es hatte „Blut geregnet“ über die sündhafte Menschheit, und die Geistlichkeit vermehrte noch die Furcht der abergläubischen Menge. Als man nun, gänzlich zerknirscht, überzeugt war, die Gottheit hätte durch diese Erscheinung ein Zeichen ihres Zürnens gegeben, fand Peiresc die Ursache der blutrothen Flecken darin, daß Schmetterlinge, welche gerade in unerhörter Menge vorhanden waren, nach dem Ausschlüpfen aus den Puppenhälsen einige Tropfen einer rothen Flüssigkeit fahren ließen, welche jene blutartigen Flecken veranlaßt hatte.

In einem andern Falle fand ein Edelmann Blutflecke auf dem Schnee in seinem Garten. Genauen Untersuchungen zu Folge waren es die Excremente kleiner Vögel, welche von den mit einem rothen Saft erfüllten Beeren der Phytolacca decandra, die in dem Garten stand, gefressen hatten.

Diese Thatsachen, denen sich in manchen Fällen noch andere erklärend anschließen können, werden das Unhaltbare und Thörichte des Glaubens an den übernatürlichen Ursprung und die dämonische Bedeutung derjenigen Substanzen, welche mit dem Regen herabfallen, dargethan haben; sie werden in den meisten Fällen auch zur Deutung ähnlicher Erscheinungen den Schlüssel an die Hand geben.

Man wolle nur nicht sich selbst täuschen; man wolle nicht mit Gewalt die klare Vernunft, das göttlichste Geschenk, welches der Mensch erhalten, beirren und umschleiern lassen von dem Nebel der abergläubischen Furcht, sondern die Kräfte des Verstandes benützen zur Forschung, welche den Irrthum verbannt.




Aus den Erlebnissen eines alten Sachwalters.

Nr 2.

Das unterlassene Testament.

Mein Nachbar in X. war ein pensionirter Beamter mit einem hübschen Vermögen; er lebte mit seiner Ehehälfte, da er kinderlos war, sorgenlos und mit behaglichem Genuß des Lebens; denn wenn schon die Jahres- und Tagesordnung mit einer für jeden Dritten höchst peinlichen Genauigkeit und Gleichförmigkeit inne gehalten wurde, so war doch diese Regelmäßigkeit so eng mit der Natur des in der Handhabung eines strengen und pünktlichen Dienstes ergrauten Mannes verwachsen, daß ohne sie ein Lebensgenuß für ihn nicht möglich war. Es fehlte meinem Nachbar auch nicht die höhere Weihe des Lebens; denn unter einem trockenen und etwas kurz angebundenen Aeußern trug er ein warmes und fühlendes Herz in seiner Brust, und war der unverschuldeten Armuth im Stillen ein trostreicher Berather und Helfer; namentlich erstreckte sich seine Fürsorge auf Waisenkinder, die er in seiner Eigenschaft als Mitglied des Armenvereins des Orts mit großem Takt in braven Familien unterzubringen wußte. Die Unterbringung in einem Waisenhause mit seiner äußerlichen Ordnung und Regelmäßigkeit wäre ihm vielleicht noch erwünschter gewesen; zum Glück gab es aber ein solches in der Stadt nicht.

Oft pflegte ihm ein Freund zu rathen, die Armenbehörde wohl auch an’s Herz zu legen, daß er, der kinderlose und wohlhabende Mann, sich doch selbst ein Kind annehmen möge; das lehnte er aber stets ab. Er sah wohl ein, daß seine Frau hierzu nicht tauge; denn obwohl gutherzig, war sie doch kränklich, alternd und eigensinnig, daher zu Kindererziehung durchaus ungeeignet; so blieb also unser Ehepaar im altgewohnten, einsamen Gleise.

Dieses harmlose Leben sollte durch ein schlimmes Mißgeschick unterbrochen werden. Es brach ein bösartiger Typhus in der Stadt aus und raffte auch meines Nachbars Frau weg. Zugleich mit andern Opfern wurde der Seuche auch eine ganze Familie zur Beute; es war dies meines Nachbars Amtsnachfolger mit Weib und drei Kindern. Verschont von dieser Familie blieb nur ein vierzehnjähriges Mädchen, ein frisches, munteres, sanftes Wesen, Namens Clara. Dessen nahm sich eine wohlhabende Familie an, während mein Nachbar die Stelle seiner Hausfrau durch eine alte Wirthschafterin zu ersetzen suchte. Es erwies sich aber bald, daß sie sich in die starren Eigenthümlichkeiten des alten Herrn nicht finden konnte; sie ward entlassen, eine andere angenommen, und diese mußte einer dritten weichen, welche ebenfalls nicht einschlug. Mein Nachbar, durch den Tod der Gattin ohnehin tief gebeugt, gerieth dadurch in die allerbedenklichste Stimmung und ward, obwohl sonst trotz seiner Sechszig ein noch rüstiger Mann, völlig lebensmüde. In solcher Lage hielt ich es für meine Pflicht, dem Armen mit Rath und That beizustehen; ich begriff wohl, daß eine alte Person mit ihren eingewurzelten Gewohnheiten sich in die Eigenheiten des Nachbars nie finden werde, wußte aber auch, daß eine junge ihm in keiner Weise bequem war, und ich lenkte daher seine Aufmerksamkeit auf die ihm von seinem Umgange mit ihrer Familie her wohlbekannte und lieb gewordene Clara, welche in der Familie, die sich ihrer angenommen, eine mehr dienende Stellung einnahm und nicht eine solche Thätigkeit entfalten konnte, als sie ihrer Bildung entsprach. Ich schlug ihm vor, sie als Pflegetochter in sein Haus zu nehmen und damit nicht nur die Leere seines Herzens auszufüllen, sondern sich auch zugleich eine Sorgerin für sein Hauswesen zu schaffen. Er ging auf diesen Plan ein, auch Clara, die schon als Kind viel in seinem Hause verkehrte und manch Liebes und Gutes da genossen hatte, folgte gern seinem Rufe; sie nannte ihn Vater, er sie Tochter; er sorgte aber auch für sie als ein Vater und ließ es an Nichts fehlen, was zur Weiterbildung ihres Geistes und Herzens dienen konnte; sie liebte ihn wie eine Tochter und wußte sich ihm anzuschmiegen und in seine Eigenheiten zu schicken, daß daraus ein Verhältniß erwuchs, wie es reiner und schöner nicht gedacht werden konnte. Um seiner Tochter eine unschuldige Freude nicht zu verderben, geschah nicht selten das früher Unerhörte, daß er die seit einem Menschenalter mit der größten Pünktlichkeit innegehaltene Speise-, Spazier- oder Ruhestunde verrückte. Wenn er sich dabei ertappte, pflegte er selbst darüber zu lächeln und kopfschüttelnd zu sagen: „Ich hätte doch nimmer geglaubt, daß ich auf meine alten Tage noch so ein lüderlicher Kerl werden würde.“

Es konnte sich über den glänzenden Erfolg, den mein Rath gehabt hatte, Niemand mehr freuen als ich, wenn mein Nachbar mir oft mit Dank und Stolz von seiner Tochter erzählte. Bei einer solchen Gelegenheit lenkte ich denn auch das Gespräch auf das künftige Schicksal Clara’s, was ja doch größtentheils in seiner Hand liege, und welches möglichst sicher zu stellen seine Pflicht, dazu aber eine förmliche Adoption der beste Weg sei.

„Nein,“ sagte er, „von Adoption will ich nichts wissen, das ist mir wie eine Spielerei, das kann uns nicht näher bringen, als wir uns schon sind; seinen ehrlichen Namen mag das Kind behalten, so lange sie Jungfrau bleibt, denn sie hat ihn von einem würdigen Vater geerbt; wenn sie heirathet, verliert sie ihren wahren und meinen Namen; beerben soll sie mich ohnehin.“

Ich erwiderte, daß es aber dann eines Testamentes bedürfe, und daß es gut wäre, daran bei Zeiten zu denken.

Er sagte: „ei, bin ich denn plötzlich so alt und schwach geworden, daß ich schon mein Testament machen muß?“ in so bestimmtem Tone, daß ich abbrechen mußte; auch später, so oft ich auch davon anfing, konnte ich ihn nicht bewegen, mit mir über diesen Gegenstand zu verhandeln; denn kurz, fast finster ging er auf etwas Anderes über. Clara selbst hatte einen viel zu feinen Takt und zartes Gemüth, als daß sie je hätte diese Saite berühren können.

Der Grund zu diesem Eigensinne des Alten war vielleicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_458.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)