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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Für mich kann man die Grabschrift aus dem Stegreif fertig machen!“

„Ah, darauf wären wir doch neugierig!“ rief der Förster mit mehrern Andern. „Wie hieße dann die Grabschrift?“

„Sie heißt:

Der Mann, den hier die Erde deckt,
Ward oft zum Kampf und Streit der Waffen
Von Kriegstrompeten aufgeweckt;
Jetzt läßt der Tod ihn ruhig schlafen,
Bis zum Appell aus dieser Gruft
Ihn wieder die Posaune ruft –
O himmlischer Feldherr, reihe dann
Ihn Deinem rechten Flügel an!“ –

Alle Anwesenden brachen in Ausrufungen der Verwunderung und des Beifalls aus, nur der Holzgraf stieß das Glas, aus dem er eben getrunken, stark auf den Tisch und lachte höhnisch.

Augenblicklich war es still im Zimmer; Alles blickte betreten nach dem Eindringling, und der Wachtmeister, dem das Blut zu Kopfe stieg, sah scharf nach ihm hin. „Habt Ihr etwas einzuwenden gegen die Grabschrift?“ rief er ihm zu.

„Gar nichts für meinen Theil,“ erwiderte der Bauer, „ich muß nur lachen, daß man sich um so was auch kümmern kann!“

„Was liegt d’ran, was sie mir oben auf die Tafel schreiben, wenn ich d’runter doch verfaulen muß!“

„Das ist, wie man’s nimmt,“ war die Antwort, „die eigentliche Grabschrift macht sich freilich ein Jedes selbst … und für alle Fälle möchte ich die Eurige nicht zu machen haben …“

„Und warum etwa?“ fragte der Bauer lauernd und tückisch. offenbar begierig, ein Häkchen zu finden, um einen Wortwechsel daran zu hängen und seinem Grolle Luft zu machen. Beides wäre auch sicher nicht ausgeblieben, denn der Invalide hatte bereits eine bittere Antwort auf der Zunge. Seit dem Vorgange, dessen Zeuge er gewesen, hatte er eine unüberwindliche Abneigung gegen den wilden und ungefügen Menschen gefaßt.

Gerade im rechten Augenblick unterbrach Pochen an der Thüre die unangenehme Spannung, und ein Mann in tyrolischer Kleidung trat ein, die hochbeladene Kraxe auf dem Rücken, und bot in etwas fremd klingender Mundart seine Waare zum Kaufe au. Das Unwetter hatte ihn früh zur Herberge getrieben: es litt ihn nicht, so müßig zu liegen, und so kam er aus der untern Zechstube herauf, bei den Herren sein Glück zu versuchen. Die Waare bestand in einer Menge zierlich geschnitzter Spielsachen, krauswolliger Pudel und Lämmer, schlanker, rothwangiger Puppen und Hanswürsten mit curiosen Bärten und scheckigem Gewand: auch an Gemsjägern und Sennerinnen, an Engeln und Heiligen war kein Mangel, sämmtlich sehr fein gearbeitet und doppelt sauber anzusehen durch die angenehme weißgelbliche Farbe des geschmeidigen Holzes der Zirbelkiefer, aus dem sie geschnitzt waren.

Der Händler stellte seine Kostbarkeiten auf einem der Tische zur Schau, und die Anwesenden drängten sich hinzu und lobten die feine Arbeit und die Zierlichkeit der Zeichnung. „Aber, guter Freund,“ sagte der Eine derselben, selbst ein wackerer Bildschnitzer. „das heißt doch Wasser in den Fluß tragen, daß Du mit Deinen Schnitzereien nach Ammergau kommst, wo wir selber so viel von solchen Dingen zusammenschnitzeln, daß wir die halbe Welt versorgen könnten damit! Nach Deiner Sprache scheinst Du ein Grödner zu sein?“

„Ja,“ erwiderte der Tyroler mit starker welscher Betonung, „ich bin aus Urteschei im Val Gherdeina.“

„Nun ja,“ sagte der Andere, „das heißt in gutem Deutsch: Sanct Ulrich im Grödnerthal. Es heißt, daß Ihr vor hundert Jahren die Schnitzerei von uns gelernt habt – Du willst uns wohl zeigen, daß uns die Schüler keine Unehre machen ...?“

Der Grödner konnte nicht antworten, denn er mußte Mehrern Bescheid geben, welche nach dem Preise des einen oder andern Stückes fragten, die laute Stimme des Holzgrafen übertönte das Gespräch „Was kostet Dein ganzer Kram, Tyroler?“ fragte er rasch. Verwundert sah ihn dieser an und als er in der Miene des Fragenden die Bestätigung seiner Rede las, nannte er eine nicht unbedeutende Summ.

Korby griff in die Tasche und warf klirrend eine Hand voll Thaler auf den Tisch.

„Mein ist der Bettel.“ rief er lachend, während der Verkäufer, seelenvergnügt über das unvermuthet rasche und günstige Geschäft sich daran machte, das Geld zu zählen und einzustreichen.

„Aber,“ fragte er mit einem Male innehaltend. „was willst Du mit all den feinen Sachen anfangen? Du siehst mir nit aus, als wenn Du auch ein Schnitzer oder ein Händler wärst.“

„Was ich damit anfangen will?“ entgegnete der Holzgraf wild. „Das geht Dich nichts an. Tyroler! Ich zahle Dir den ganzen Kram, und wenn ich auch nichts weiter wollte, als meinen Zorn darüber auslassen, daß es Leut’ giebt, die nichts Besseres wissen, als ihre Zeit mit solchen Spielereien zu verderben!“

Damit ergriff er einige der Figürchen und drückte sie in seiner plumpen Hand, daß sie in Stücke brachen.

Ein lautes Murren des Unwillens flog durch die Versammlung; der Grödner aber hatte im Augenblick Alle weggedrängt und stand abwehrend und schützend zwischen seinen Schnitzereien und dem sie bedrohenden Bauer. „Ho,“ rief er zornig, „so ist es nit gemeint, übermüthiger Bauer, daß ich Dir meine lieben Figuren verkaufen soll, daß Du sie zerbrichst! Ich hab’ sie geschnitzt, daß ein gutes Gemüth sich daran ergötzen und erbauen soll, und nicht zum Spott für Dich! Da hast Du Dein Geld wieder – um solchen Preis sind mir meine Figuren nicht feil!“

Hingeschleudert rollten die Thaler über den Tisch; der Holzgraf wollte über die Schnitzereien hin und behauptete, sie seien sein und Niemand habe ihm vorzuschreiben, was er damit thun dürfe.

Abwehrend stellte sich jetzt der Wachtmeister neben den Grödner. „Haltet Ruh’, Durnerbauer.“ sagte er finster zu dem Lärmenden. „Nehmt Euer Geld, und der Händler nimmt seine Schnitzereien wieder – merkt es Euch einmal, daß es gar Manches auf der Welt giebt, was man um Geld nicht haben kann! – Was haben Euch die schönen unschuldigen Schnitzereien gethan? – Der Grödner da ist nickt der Schnitzer Domini, auf den Ihr’s doch abgesehen habt, – und wenn er’s wäre und Ihr all’ diese Sachen zerbrecht, könnt Ihr’s doch nicht ändern, daß er Euer Schwiegersohn ist!“

„Der Teufel ist mein Schwiegersohn!“ rief der Bauer wüthend. „Ja, wenn’s auf's Wollen ankäme – aber da haben andere Leute auch ein Wörtl darein zu reden ...“

„Wie? So wüßtet Ihr nicht ...?*

„Was?“ fragte der Korby, dessen Augen sich im Zorn verdunkelten. „Was weiß ich nicht?“

„Was sonst, als daß der Domini nach Petersburg gegangen ist? Daß ihn sein Vetter dort mit offenen Armen aufgenommen und ihm eine prächtige Stellung gegeben hat ? Daß er in München war und die Vesi abgeholt und mit sich genommen hat als seine Frau?“

„… Und das wär’ wahr?“ stammelte der Bauer.

„Wahr.“ entgegnete der Wachtmeister. „ich weiß es vom alten Zehentbauer, der in München war und selber gesehen hat, wie sie getraut worden sind am Antonius-Altar in Sanct Peter.“

Der Holzgraf wurde wechselnd roth und blaß; er vermochte einige Secunden lang nicht zu sprechen. „Niedergütler,“ rief er dann einen seitwärts sitzenden Bauer an, der etwas stark getrunken zu haben schien und mit gläsernen Augen vor sich hinstarrte. „Du hast den Durnerhof kaufen wollen? Was willst Du geben dafür?“

„Ich steh’ mein Wort nicht um,“ lallte der Angereredete, „die Dreißigtausend, wenn Du willst ...“

„Eingeschlagen! In acht Tagen zahlst Du mir das Geld auf den Tisch mir kannst aufzieh’n!“

„Morgen, wenn Du willst!“

„Aber den alten Thurm nehm ich aus und den Steinbruch dazu! Ich zieh’ in die Stadt – aber ich will meine Sommerwohnung auf dem Lande haben, wie die anderen Herren aus der Stadt …“

„Auf die Baracke und den Steinhaufen soll’s mir nit ankommen!“

Beide gaben sich den Handschlag. Der Holzgraf stülpte den Hut auf den Kopf und stürmte aus der Stube.

– – – Jahre gingen vorüber: der Holzgraf war wirklich in die Hauptstadt übergesiedelt und kam nicht wieder. So war es nicht zu verwundern, wenn er vergessen wurde und zuletzt in der Erinnerung des Volks vollständig verlosch. Gab es doch genug der Dinge, welche Kopf und Herz in Anspruch nahmen und vollauf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_467.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)