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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Wiener Hofleben zur Zeit Maria Theresia’s.

Von Johannes Scherr.

Man ist mit Ertheilung des Eigenschaftswortes „groß“ heutzutage viel weniger freigebig als früher, und seitdem nicht mehr phantastische Ueberschwänglichkeit und gelehrter Servilismus, sondern nüchterne Kritik und patriotischer Sinn die Wage der Geschichtschreibung halten, dürften gar viele „Größen“ von ehemals zu leicht befunden werden. Es überkommt uns ein Gefühl der Scham, wenn wir sehen, daß vordem Fürsten, wie August der Starke von Sachsen, als „Große“ angeschmeichelt wurden, Fürsten, die meist nur im Laster groß gewesen sind. Die Anschauungen der Epoche des brutalen wie des aufgeklärten Despotismus, daß das Sittengesetz nur für den „gemeinen Haufen“, nicht aber für die Fürsten und Vornehmen verbindlich sei, ist in verdiente Verachtung gefallen, und wir bekennen uns zu der Ansicht, daß nur der gute Mensch ein wahrhaft großer sein könne.

Ist man, in Anwendung des Gesagten auf Maria Theresia, berechtigt, noch ferner von ihr als der „großen Kaiserin“ zu sprechen? ..... Ich glaube diese Frage aus vollem Herzen bejahen zu müssen. Sie war vielleicht die schönste Frau ihres Jahrhunderts, und jedenfalls war sie eine der bedeutendsten und edelsten desselben. Es wollte fürwahr in jener Zeit kolossaler Sittenverderbniß schon Etwas sagen, wenn eine unbeschränkte Herrscherin, deren Temperament noch dazu ein sehr feuriges war, von Freund und Feind als makellos nicht nur, sondern als das Muster einer Gattin, Hausfrau und Mutter anerkannt wurde. Sie war Despotin, ja; aber sie hat es mit dem „patriarchalischen“ Despotismus wenigstens ernst und redlich genommen und die Pflichten desselben gewissenhaft erfüllt. Sie hat für Oesterreich Vieles, ja in Betracht der Umstände sogar Großes gethan. Sie war es, welche den Staat aus seiner bodenlosen mittelalterlichen Versumpfung herauszureißen begann, und der Grad, in welchem sie die Bedürfnisse der Zeit erkannte, muß als ein um so höherer geschätzt werden, wenn man bedenkt, daß Maria Theresia am Hofe Karl’s VI. aufgewachsen ist, an einem Hofe, wo hispanische Bornirtheit, hispanischer Hochmuth und hispanische Bigoterie noch einmal in vollster Glorie sich breit machte. Und Maria Theresia hatte nicht nur den eigenen, sondern auch fremden Völkern gegenüber das Bewußtsein der Pflicht und des Rechts. Was auch ihre Fehler als Herrscherin sein mochten – und sie hatte deren genug – Etwas besaß sie, was der verworfenen Cabinetspolitik des 18. Jahrhunderts ganz abhanden gekommen war: ein Gewissen. Als Friedrich der Große – allerdings nur, um Katharina der „Großen“ zuvor- oder vielmehr halbwegs entgegenzukommen – das ausgesonnen hatte, was ein ungeheures Verbrechen und noch dazu ein ungeheurer politischer Fehler war, die Theilung Polens, da regte sich nur in Maria Theresia ein sittliches Bedenken, über welches Friedrich und Katharina als über eine Kinderei weit hinweg waren. Ihr berühmtes Handbillet an Kaunitz in dieser Sache ist meines Erachtens das schönste Document für Maria Theresia’s Ruhm. Sie fühlte tief und sprach es lebhaft aus, daß „in dieser Sach nit allein das offenbare Recht himmelschreiet wider uns, sondern auch die gesunde Vernunft wider uns ist,“ und man darf ihr glauben, daß sie „die Sachen nit ohne größten Gram ihren Weg gehen ließ,“ nur „weil sie allein war und nit mehr en vigueur.“ In der Vollkraft ihrer Jahre und Energie hätte die Kaiserin sicherlich in die Theilung von Polen nicht gewilligt.

Das Gefühl unumschränkter Machtvollkommenheit war in der letzten Habsburgerin gewiß so stark wie in irgendeinem ihrer Vorfahren. Aber es gesellte sich mildernd und sänftigend dazu ein Zug schöner Menschlichkeit und edelster Weiblichkeit. Ihrem Gemahl, dem flatterhaften Franz von Lothringen, mit zärtlicher, ja leidenschaftlicher Neigung zugethan, wußte sie ihm dennoch seine kleinern und größern Treulosigkeiten zu verzeihen. Noch mehr, sie vermochte es auch über sich, ihren Nebenbuhlerinnen zu verzeihen. Es ist ein Beweis von erstaunender Seelengröße, daß die Kaiserin, vom Sterbebette ihres hochgeliebten Gemahls kommend, es über sich vermochte, der letzten Favoritin des Kaisers, der verlassen und mißachtet in einer Ecke stehenden und bitterlich weinenden Fürstin Auersperg-Neipperg, tröstend zu sagen: „Meine liebe Fürstin, wir haben wahrlich viel verloren!“ Heutzutage zucken wir über die sogenannte „Landesväterlichleit“ die Achseln und zwar mit Recht; wir wissen ja, was dahinter ist. Im Sinne Maria Theresia’s aber war die Landesmütterlichkeit eine Wahrheit. Sie betrachtete sich in der That als die Landesmutter Oesterreichs, ihre Völker als eine Art erweiterter Familie, und sie hat diese Anschauungsweise nicht selten in herzgewinnend-naiver Form ausgeprägt. So, wenn die Kaiserin, nachdem sie die Nachricht erhalten, daß ihrem Sohne Leopold in Florenz sein erster Sohn geboren worden, im Nachtkleid in’s Burgtheater läuft, um in ihrer großmütterlichen Freude aus ihrer Loge dem Publicum zuzurufen: „der Pold’l hat ’n Bub’n!“ ein Zug, dessen Echtheit bezweifelt worden, den aber ein neuerdings von Karajan aufgefundener Brief Metastasio’s an seinen Freund Azzoni in Siena (vom Febr. 1768) als historisch bestätigt hat.

Der Wiener Hof war unter Karl VI. bei aller Verschwendung – die einmalige Ausführung einer Oper kostete nicht selten 60,000 Gulden – eine Stätte spanischer Grandezza, Etikette und Langweile gewesen. In der damals vollständigen Entnationalisirung der habsburgischen Familie änderte der Regierungsantritt Maria Theresia’s wenig oder nichts. Erst mit und durch Joseph II. wurde das deutsche Element in der Wiener Hofburg wieder bedeutender. In die hispanische Atmosphäre derselben hatte Franz von Lothringen eine gute Dosis französischer Beweglichkeit gebracht und auch, soweit sein Einfluß reichte, ein Stück französischer Frivolität. Unter Maria Theresia war die italienische Sprache die in der kaiserlichen Familie bevorzugte und demnach Hofsprache. Der süße Metastasio, von dem man mit Anwendung eines Grabbe’schen Grobianismus zu sagen versucht ist, er stinke vor Süßigkeit, war Hofpoet und galt für das Non plus ultra eines Dichters. Von dem Aufschwunge deutscher Literatur nahm man in den vornehmen Kreisen keine Notiz. Die Erziehung innerhalb derselben war überhaupt eine sehr unzulängliche, die Bildung eine sehr dürftige. Mit der Sittlichkeit war es in diesen Kreisen auch nicht eben vortrefflich bestellt. Weder das Beispiel der Kaiserin noch ihre „Keuschheitscommissionen“ brachten mehr zuwege, als daß, wie ein englischer Tourist von damals sich ausdrückte, in Wien die Galanterien unter einem mysteriöseren Schleier sich bargen, als dies gleichzeitig anderwärts der Fall war. Die Hofhaltung gestaltete sich, nachdem nur erst die herben Prüfungen des Erbfolgekriegs überstanden waren, sehr glänzend und geräuschvoll. Kaiser Franz liebte das Vergnügen, und Maria Theresia ließ ihrem Gemahl hierin um so mehr freien Willen, da sie selber, zumal in jüngeren Jahren, einer heitern, glanzvollen, an buntwechselnden Zerstreuungen reichen Lebensführung zugeneigt war. Die Einrichtung des Hofstaats war reich und prächtig. Im kaiserlichen Speisesaal funkelte bei festlichen Gelegenheiten ein goldenes Tafelservice im Werthe von 1,300,000 Gulden. In den Hofställen standen 2200 Pferde. Zu den Banketten, Caroussels, Opern und Bällen in der Burg, in den kaiserlichen Lustschlössern und Gärten wurden oft 2000 Gäste geladen. Der ganze Hofhalt kostete jährlich an 6 Millionen Gulden, eine Summe, die uns heutzutage nicht sehr groß vorkommt, welche aber für eine Zeit, wo der Millionenschwindel noch nicht erfunden war, bedeutend genug war. Friedrich der Große verbrauchte für seinen Junggesellenhofhalt in Potsdam und Sanssouci bekanntlich jährlich nicht mehr als 220,000 Thaler. Freilich mußte er sich bei solcher Sparsamkeit und seiner ganzen Art zu leben gefallen lassen, daß er in seiner eigenen Familie nicht anders als der „alte Sauertopf“ hieß und daß Besucher seines Hofes fanden, die Anwesenheit des Königs „verscheuche jedes Gefühl des Behagens und der Freude“.

Seine Glanzperiode erlebte der Wiener Hof unter Maria Theresia in der Friedenszeit zwischen dem zweiten schlesischen und dem siebenjährigen Kriege (1745–56). Versuchen wir es in möglichster Kürze, durch Hervorhebung einzelner Züge den Charakter dieses Hoflebens zu veranschaulichen. An authentischem Material hierzu fehlt es nicht, insbesondere seitdem A. Wolf die Memoiren des Fürsten Joseph von Khevenhüller, Oberstkämmerers Kaiser Franz I., auszüglich veröffentlicht hat.

Maria Theresia war eine devote Katholikin, und die Art und Weise, wie der Hauptrepräsentant des Protestantismus im Reiche, Friedrich von Preußen, gegen sie verfahren war, konnte sie unmöglich dem Lutherthum geneigt machen. Man weiß, welche Mühe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_473.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)