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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

auf mich zu und schrieen: „Da ist er! Wir haben ihn! Der hat’s gethan!“ Eh’ ich mich nur besinnen und fragen kann, bin ich auf den Boden gerissen worden und wie ein wildes Thier dagelegen mit gebundenen Händen und Füßen … der Alburger Galli ist erstochen gefunden worden hinter’m Wirthshaus … und ich sollt’s gethan haben …“

So viele Mühe sich der Redende gab, seine Bewegung zu verbergen, gelang es ihm doch nur unvollkommen. Der Pater erwiderte nichts; er wollte die Vorgänge in Korby’s Gemüth durch keine Bemerkung stören, die vielleicht abkühlend gewirkt hätte – aber sein Auge ruhte mit steigender Theilnahme auf dem Gesichte des Holzgrafen. Der Abend und die Dämmerung war eingebrochen, aber Beide beachteten es nicht.

„Am Anfang,“ begann Korby nach kurzem Schweigen wieder, „war ich wild wie ein scheugewordener Stier – dann aber, wie’s mir so recht eingefallen ist, daß ich ja so unschuldig war wie ein neugeboren’s Kind, da hab’ ich mich getrost’ und hab’ angefangen zu lachen. Es ist mich freilich hart an’kommen, wie sie mich in Ketten wie den ärgsten Verbrecher hineing’schleppt haben auf’s Landgericht; im Grund aber bin ich doch froh gewesen, denn wenn ich dem Assessor Alles sagen werd’ wie die Sach’ steht, da hab’ ich gemeint, es kann nit fehlen, daß er mir mehr glaubt, als die wüthigen Bauern, und mich wieder losläßt augenblicklich … ’s ist aber ganz anders ’kommen; der Assessor hat mir’s haarklein vorgerechnet, daß kein anderer Mensch den Galli erstochen haben könnt’ als wie ich, und daß ich ein erzverstockter Böswicht bin, weil ich’s nicht eingestehn wollt. „Alle Leut’ wissen,“ hat er mir gesagt, „was Du für ein unbändiger Mensch bist in Deinem Zorn. Du hast den Galli schon am Nachmittag bei einem Haar erwürgt und hast ihm gedroht, daß Du mit ihn, zusammenkommen willst, daß er an Dich denken soll! Gleich darauf bist Du fort aus dem Wirthshaus, und hinter demselben wird der Galli im Verscheiden gefunden … Du bist auf einmal ohne alle Ursache fort, bist auf einem ganz andern und abgelegenen Weg heimgegangen.

Wie Dich die Leute angerufen haben, bist Du davon gelaufen, und zuletzt hat Dich das Gewissen geschlagen und Du hast in Deiner Angst zu beten angefangen an dem alten Bildstock im Wald … was kannst Du gegen das Alles sagen? Trifft nicht Alles so klar zusammen, daß man so grundschlecht sein muß, wie Du, um es zu leugnen?“ – Es ist wahr gewesen – ich hab’ nit viel sagen können dagegen, und der Assessor hat sein Handwerk gar gut verstanden und hat mich herumgehetzt mit lauter Fragen und Fragen, daß es mir völlig schwindlig geworden ist im Kopfe und daß ich oft gar nit mehr gewußt hab’, was er mich fragt und was ich antwort’… Bei all’ dem, aber bin ich doch im Ganzen immer wieder ruhig gewesen – denn ich hab’ auf unsern Herrgott vertraut … und manchen Tag und manche Stund’ in der Nacht bin ich in meiner Keuchen auf den Knie’n gelegen und hab’ geweint und gebet’t, daß meine Unschuld an den Tag kommen sollt’… es hätt’ sich ein Stein darüber erbarmt … und wenn die Angst hat über mich kommen wollen und die Verzweiflung, da ist’s mir immer gewesen, als wenn die alte blinde Ahn’l vor mir stünd und das Spinnrad schnurrt, und die Alte wispert: „Bet’, Korby, bet’, – das Beten hilft!“ – Aber es ist ein Monat um’s andere vergangen und ich hab’ die Hülf’ nit herunter beten können vom Himmel, und einmal haben sie mich vorführen lassen in’s Verhörzimmer und haben mir das Urtel vorgelesen. Ich sei nit überwiesen, hat’s gelaut’t, aber im höchsten Grad verdächtig – deswegen und weil ich ein höchst gefährlicher Mensch sei, sollt’ ich aufgehoben werden … auf drei Jahr … im Arbeitshaus …“

Der Bauer schwieg vor Erschöpfung; der Pater vermochte einen Seufzer des Mitgefühls nicht zu unterdrücken.

„Mir ist gewesen – wie einem, der träumt und der nicht recht zu sich selbst kommen kann vom Schlaf, oder der einen Schlag vor’s Hirn gekriegt hat – dann hab’ ich gebrüllt und getobt wie ein Unsinniger und hab’ mit den Händen an der Mauer in meinem Gefängniß gekratzt und bin mit dem Schädel dawider gerennt … dann hab’ ich mich wieder auf das Ziegelpflaster hingeworfen und hab’ gebet’t … so lang die Welt steht, hat noch kein Mensch so inbrünstig gebet’t wie ich … Es war doch Alles umsonst … einmal sind die Schergen gekommen und haben mich auf einen Wagen gesetzt und hingefahren vor die Zuchthausthür. ... Ich hab’ mich gesperrt und an den Wagen angespreizt und hab’ Himmel und Erde angerufen um Hülf’ … es hat nichts genutzt – sie haben mich zu Boden geworfen, haben mir die Haar’ abgescheert und das Züchtlingsg’wand angezogen …“

Schluchzen unterbrach den Redenden; er brauchte eine Weile, um sich zu sammeln und fortzufahren. „Ich bin drüben in eine hitzige Krankheit verfallen und weiß nit, wie lang ich so dagelegen bin zwischen Leben und Sterben … wie ich aber wieder zu mir selber 'kommen, da bin ich ein ganz anderer Mensch gewesen …

Alles in mir ist kalt und ausgebrennt gewesen, und ist nichts übrig g’blieben, als die harte steinerne Schlacken wie von den Kohlen im Schmiedfeuer. Ich hab’ nimmer gewüth’, aber mit dem Beten ist’s auch vorbei gewesen, und ich hab’ Woll’ kardätscht und gesponnen, als wenn’s so sein müßte – bis die drei Jahr’ herumgewesen sind. Da haben sie mich laufen lassen, und ich hab’ mir gedacht, ich wollt’ nun geh’n, wo die Welt am weitesten ist – aber ich bin nit weit gekommen, denn vor’m Zuchthaus ist – die Meigl g’standen; die hat’s erfragt gehabt, daß meine Strafzeit aus ist, und hat auf mich gewart’ und hat mir gesagt, sie hat’s immer geglaubt, daß ich unschuldig sei, und sie wollt’ mir’s beweisen und nit von mir lassen – der Vetter sei todt, der Hof gehöre ihr … und ich sollt’ mit ihr geh’n und ihr Mann werden …“

„Braves Mädel,“ sagte der Pater, „und hat Euch so viel Liebe nicht gerührt? Habt Ihr nicht den Finger der Vorsehung darin erkannt, die Euch Trost und Ersatz schickte für die unschuldig ausgestandenen Leiden?“

Korby schüttelte den Kopf. „Ich hab’s nit mehr gekonnt,“ sagte er, „es hat sich nichts mehr gerührt in mir – ich hab’ keinen andern Gedanken mehr gehabt, als daß meine alte Ahn’l nicht Recht gehabt hat mit ihrem „Bet, Korby, bet’ – das Beten hilft“ – daß für uns keine Hand herunter greift vom Himmel … der Mensch, der’s zu was bringen will, muß sich auf Niemand verlassen, als auf sich selbst, und sich um Niemand kümmern, als um sich selbst! – So hab’ ich’s gemacht und gehalten seitdem … ich hab’ die Meigl geheirath’, aber den Hof haben wir zuvor verkauft und haben uns da herinn’ in meiner Heimath angesiedelt, wo kein Mensch was gewußt hat von meiner Schand’ …“

„Und ist Eure Unschuld später nicht an den Tag gekommen?“

„Was hat’s genutzt? – So ein zwölf Jahr’ darnach ist der Bursch’, der den Galli erstochen hat, zum Sterben ’kommen und hat’s einbestanden vor seinem End’ … Dadurch ist’s nicht ungescheh’n gemacht worden, was ich ausgestanden hab’ … und daß es so hat geh’n können, das hat mir’s wieder gezeigt, daß der ewige Richter, von dem Sie reden, Hochwürden, sich um das nit kümmert, was auf der Welt geschieht – und daß er Recht und Unrecht geschehn läßt, wie’s Tag und Nacht wird und wie in dem einen Jahrgang die Frucht gerath’ und in einem andern der Hagel Alles hinein schlägt in Grund und Boden. – Das ist so versteint und verbeint in mir, wie die Felswand da über uns. … Ein einziges Mal – ja, da ist mir gewesen, als wenn’s noch einmal warm werden wollt’ in meinem Herzen. ... Das war, wie meine Toch… wie die Vesi auf die Welt kommen ist – aber es war gleich wieder vorbei, und – sie hat’s auch bewiesen, daß es doch umsonst gewesen wär’. – Jetzt wissen Sie, Hochwürden, warum ich so bin, wie ich bin – und wenn sie mich aus der Ammer herauszieh’n und mich einscharren in dem Eck’ an der Kirchhofmauer – dann erzählen Sie’s den Leuten, damit sie wissen, wie der Holzgraf dahin gefahren ist. …“

Bei den letzten Worten war Korby aufgesprungen, stand mit einem Satze auf der Straße und eilte durch die Dunkelheit dahin. Vergebens rief der Pater ihm nach und schritt dann, als sein Ruf unbeachtet an dem Felsen verhallte, dem Dorfe zu, in frommer Sammlung des Unglücklichen im Gebete gedenkend.

Dieser hatte bald sein ehemaliges Besitzthum, den Durnerhof, erreicht und wollte unbemerkt von dem neuen Eigenthümer seine Thurmwohnung erreichen. Das laute Anschlagen des Hofhundes verrieth den Ankömmling, und der Bauer, der ihn erwartet haben mochte, trat ihm unter den finsteren Bäumen des Hausgartens entgegen. „Nun,“ rief er ihm zu, „wie ist’s, Holzgraf? Kommst wieder heim bei eitler Nacht? Hast Dir’s wohl überlegt, was ich Dir gesagt hab’ heut früh, und bringst das Geld mit?“ „Geld?“ lachte Korby höhnisch entgegen. „Geld werd’ ich, nimmer viel brauchen!“

„Aber ich desto mehr.“ war die Antwort, „und kurz und gut, ich hab’ Dir’s schon heut Morgens gesagt … ich hab’ Dir schon mehr geliehen auf den Thurm und den Steinbruch, als der Bettel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_483.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)