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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zwei Mal werth ist! Wenn Du das Geld nit zahlst, kannst Du heut’ noch zum letzten Mal da schlafen – aber morgen ist Alles mein, und Du kannst Dir um ein anderes Quartier umschau’n …“

„Ich will zum letzten Mal da schlafen,“ brachte Korby mit hörbarer Anstrengung hervor und wollte fort.

„Oder – ich will Dir einen andern Vorschlag machen,“ begann der Andere wieder, „damit Du siehst, das; ich’s gut mit Dir mein’ und einen alten Speci wie Dich nit drücken will … Du bist noch ganz rüstig und kräftig, ich könnt’ einen tüchtigen Arbeiter brauchen – wie wär’s, wenn Du als Knecht eintreten wolltest bei mir?“

„Hund von einem Kerl,“ schrie Korby aufflammend, indem er auf den Bauer mit geballter Faust lossprang. „Zu Deinem Knecht willst Du mich machen?“

„So geh’ zum Teufel, wenn Du willst,“ rief der Bauer, welcher sich schnell in die Thüre geflüchtet hatte und diese zuschlug, „aber morgen kannst Du marschiren!“

Wenige Secunden später war Korby in dem Thurmgemach allein und zündete ein Restchen Kerze an, das letzte, das er besaß, und das nur noch ein kurzes Stündchen zu dauern verhieß. Bei dem unsichern, schwachen Schein sah das Gemach noch unheimlicher und unwirthlicher aus, als bei Tage. Die einstige Pracht und Zierlichkeit war der Abnutzung und dem Verfall gewichen und bildete in ihren Ueberresten einen wirksamen Gegensatz zu den Spuren armseliger Verkommenheit, die darin hauste. Der Eingetretene schien das auch zu fühlen; indem er den Kerzenstumpf auf das zerbrochene Ofensims stellte, warf er einen flüchtigen Blick um sich und sagte halblaut: „Es ist die höchste Zeit, wie mir scheint – wir geh’n zu Ende – alle zwei!“

Ermüdet warf er sich dann auf das dürftige Lager hin und versuchte zu schlafen – aber er vermochte es nicht. Heißer und immer heißer drängte ihm das Blut nach Stirn und Augen – rascher und immer rascher zogen Gestalten und Bilder vor seinem Geiste vorüber; er hatte die lange zurückgedrängten und vergessenen durch seine Erzählung auch für sich heraufbeschworen, und einmal befreit, wollten die Geister nicht so schnell wieder zurückkehren in ihre Gräber. In steigender Unruhe wälzte er sich auf dem Lager hin und her, eine verwirrende Angst überkam seine Sinne, er wußte zuletzt selbst nicht mehr, ob ihn wache Träume umgaben oder fieberhafte Phantasieen. Bald war er im Unterlande, bei der Hochzeit am St. Andreastage, im Handgemeng mit dem Alburger Galli, aber dieser hatte die Oberhand über ihn und würgte ihn tödtlich an der Wand – dann sah er sich wieder verzweifelnd im Gefängnisse oder hinter dem Wollrade im Zuchthause; bald befand er sich mitten unter den Cameraden seiner Schwelgereien und wollte sich durch Trinken und Lärmen übertäuben, aber es ging nicht, denn durch Alles hindurch schnurrte ihm das Spinnrad und das Gemurmel der alten Ahn’l in die Ohren – dann tauchten wieder der drei starre todtenblasse Gesichter an seinem Lager auf und drängten sich näher und beugten sich über ihn, daß er ihre kalte Berührung zu spüren glaubte; es waren Margareth, seine Tochter Vesi und Domini, der Bildschnitzer, die sich zu freuen schienen, daß er so verlassen war, und ihm die eiskalten Hände auf das Herz legten, um zu prüfen, ob es noch schlage …“

Es litt ihn nicht länger – aufschreiend und mit einer Gebehrde, als wollte er die Phantome von sich abwehren, sprang er auf, aber er machte dadurch das Uebel nur ärger. Die Kerze war herunter gebrannt, und der qualmende Docht verbreitete nur noch in der nächsten Nähe des Ofens seinen röthlichen Schein – um so unheimlicher starrte die Finsterniß des ganzen Gemachs in die weit aufgerissenen Augen des Entsetzten. Das Dunkel begann sich zu bewegen und gespensterhaft durcheinander zu wogen und zu flimmern, daß er wieder die Augen schloß und die Hände fest vor’s Gesicht schlug … „Wenn ich nur nit so allein wär’ ...“ murmelte er, „… so ganz allein … es ist schrecklich, wenn man so mutterseelenallein sein muß …“ Er brach ab, denn im Augenblick stand es vor ihm, wie es so ganz anders sein könnte – er sah sich von seinen Angehörigen umgeben und liebend und sorgend umringt, und etwas wie Reue wollte ihn anwandeln, etwas wie ein Gewissensvorwurf, als sei es seine Schuld, daß es so gekommen, aber er sträubte und stemmte sich dagegen mit dem ganzen Trotz seines Gemüthes. „Ich bin nit schuld daran,“ sagte er halblaut vor sich hin, „… sie hätten auch nachgeben können. …

Warum soll’s gerade ich sein, der überall Andern den Willen thut? … Ich bin nit schuld, daß das Herz in mir so kalt ’worden ist … und so steinhart. …“

Er ballte und preßte die Hände an der Brust zusammen, denn es schraubte ihn inwendig schmerzlich und krampfhaft, als wenn etwas, das lange gefangen oder begraben gewesen wäre, auf einmal lebendig würde oder seine Kette zerbrechen wollte. Es war vollständig finster im Gemach – nur die Nachthelle ließ das grauliche Fenster erkennen, dessen Schein allerlei befremdliche unsichere Gestalten auf den Boden warf. Plötzlich kam es dem Einsamen vor, als wenn in der Ecke daneben eine dunkle Gestalt säße und dann auf ihn heran käme … er täuschte sich nicht, sie saß wirklich da, die alte Ahn’l mit dem nicht ruhenden zahnlosen Munde und den knochendürren Händen! Diese hatte sie starr gegen ihn ausgespreizt und sah ihn mit den weit offenen blinden Augen unbeweglich an und murmelte: „Bet, Korby, bet’ – das Beten hilft“ – Immer näher kam das Gespenst gegen ihn heran … wild schlug er sich vor die Brust und fuhr sich schreckensvoll in das weiße Haar. … „Bleib’ mir vom Leibe,“ rief er außer sich … „es ist nit wahr … erlogen ist’s, daß das Beten hilft … ich kann nit beten … ich hab’ die Kraft nit mehr dazu im Gemüth, und die Wort wollen nit mehr heraus auf die Zung’ … und ich will auch nit beten … will nit schwachherzig werden zu guter Letzt …“

Mit diesen Worten, immer lauter schreiend, schleppte er sich vom Lager weg gegen die Mitte der Stube zu … er flüchtete vor der Gestalt der alten Ahn’l, die ihn mit den ausgespreizten Fingern und den starren, lichtlosen Augen fortwährend murmelnd verfolgte und immer näher kam. Jetzt war sie hart an ihm, jetzt berührten ihn die gespenstischen Finger … da stürzte er mit einem lauten Aufschrei des Entsetzens bewußtlos zusammen.

Wiederholtes, erst leises, dann stärker werdendes Pochen an der Thüre rief ihn nach einiger Zeit aus der Betäubung zurück – allein eh’ er etwas zu erwidern oder sich vollständig aufzurichten vermochte, ging die Thüre auf, und voller klarer Lichtschimmer fiel herein. Korby wußte nicht recht, ob er vollkommen wachend und bei sich war, oder ob die Bilder und Gesichter seiner Einsamkeit noch fortdauerten – denn in der erhellten Thüre, lebendig, schön und jugendfrisch, wie sie von ihm gegangen, die gefalteten Hände wie bittend weit gegen ihn vorgestreckt, stand – Vesi.

Einen Augenblick starrte er die Erscheinung zweifelnd und unentschieden an; im nächsten lag ihm die Tochter zu Füßen und umklammerte sie, indem sie vor Schluchzen und Weinen kaum die Worte hervorzustoßen vermochte: „Verzeihung, Vater … Verzeihung …!“

Dem Manne stieg es wie siedend und wallend nach Herz und Kopf; er bebte und zuckte am ganzen Körper und rief abgebrochen und stammelnd: „Laß meine Füß’ los – was willst Du von mir? Ich hab’ nichts zu verschenken und zu geben …!“

„O Vater,“ rief Vesi wieder, „ich will ja nichts von Dir! Ich will nichts, als daß Du mich lieb haben und wieder bei Dir aufnehmen sollst und daß ich bei Dir bleiben darf all’ meiner Lebtag …“

„So?“ entgegnete er hart, aber durch die Härte des Tones zitterte eine innere Erweichung, wie der Schnee mürbe wird, noch eh’ der Thauwind wirklich weht, der ihn schmelzen soll. „Ist es um die Zeit’ ? Ist es Dir gegangen, wie ich’s voraus gewußt hab’ und gesagt? Ist Noth und Elend über Dich ’kommen, mit Deinem Burschen, um den Du Deinen Vater aufgeben hast und Deine Heimath? Kommst zurück in Noth und Schand’ und meinst, Dein Vater wär’ noch der reiche Holzgraf, wie dazumal? Hast Dich verrechnet, Schatz – geh’ nur wieder fort und geh’ betteln in der weiten Welt – ich bin auch ein Bettler wie Du!“

„Vater, sei nit so hart mit mir! Es ist ja nit die Noth und das Elend, was mich zu Dir treibt! Ich bin so glücklich mit meinem Mann, so glücklich, wie ich mir’s gar nie hab’ hoffen können! Der Vetter Steinbacher in St. Petersburg hat den Domini aufgenommen, wie er den eignen Sohn nit besser hätt’ aufnehmen können – wir haben Arbeit gehabt und Verdienst und Freude vollauf …“

„Und warum bist Du dann doch fort von ihm und hast den weiten Weg gemacht bis aus Rußland heraus?“

„Es hat mir keine Ruh’ mehr gelassen – Vater, um Deinetwegen! Der Gedanken, daß ich Dich so verlassen hab’, daß Du vielleicht krank sein könnt’st und Niemand hast, der Dich wart’

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_484.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)