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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und Bürgerschaft, als Mitregenten zur Seite habe, Männer, von dem Grafen im Bart persönlich und namentlich als die Würdigsten bezeichnet. Das Volk und des Volkes Wohl ist es, worauf es ankommt, nicht der Fürst, sagte der Graf im Bart damit. In dem gleichen Geiste hatte er schon früher die Mündigkeit des Landesfürsten auf achtzehn, später sogar auf zwanzig Jahre hinaufgerückt. Er wußte, was durch Jahre Unmündige einem Lande schaden konnten; aber er wußte auch, daß es lebenslang Unmündige gebe. Er hatte ja seine Vettern vor Augen. Darum setzte er dem jüngern Eberhard für den Fall, daß er zur Regierung käme, den Regimentsrath als Vormundschaft. Sollte auch dieser, der so untauglich zur Regierung sich zeigte, dennoch zur Regierung kommen, so sollte er sein Lebenlang nicht eigentlich regieren, sondern in Wahrheit und Wirklichkeit der Regimentsrath, die edelsten und erfahrensten Männer des Landes, auf Grund der von Eberhard im Bart gemachten Regimentsordnung und in Uebereinstimmung mit der Landschaft zusammengesetzt aus den Ständen des Landes.

Begabt, wie wenige Fürsten, zur Selbstherrschaft in unumschränkter Form, hat Eberhard im Bart selbst die ständische Vertretung belebt und gefördert. Kein Kaiser, kein Fürstencongreß, kein zuvor in der Noth gegebenes Fürstenwort, das er einzulösen gehabt hätte, hat ihn dazu bestimmt; auch nicht das gereifte Bewußtsein, das Verlangen oder Drängen seines Volkes, wie das anderswo der Fall war, in späterer Zeit und an anderem Ort. Geliebt und geehrt im Reiche, genoß der Graf im Bart eine unbegrenzte Liebe seines eigenen Volkes. „Wenn Gott nicht Herrgott wäre, so müßte unser Eberhard Herrgott sein!“ sagten die Württemberger.

Das, um was neuerdings so oft Minister im falsch verstandenen Interesse ihrer Fürsten mit den Ständen sich streiten, und was so oft als etwas, das der Fürstenwürde entgegen sei, dargestellt werden will, das hat ein württembergischer Fürst, der Graf im Bart, ohne irgend einen Anlaß von seinem Volk aus, aus eigenen freien Stücken, aus Tag und Nacht für sein Volk sinnender und thätiger Liebe, seinem Lande gegeben, und zwar nicht blos als ein Recht, sondern als eine heilige Pflicht des Volkes. Das ist das Recht der Steuerverwilligung durch die ständische Vertretung; nicht im metternich’schen Sinne einer die alten Verfassungen fälschenden Politik, sondern im wahren Sinne des Worts. Als Recht wie als Pflicht war es ausdrücklich ausgesprochen, dem das Testament des Grafen im Bart, seine Regimentsordnung und Verfassung, nicht einhaltenden Nachfolger – die Steuern zu verweigern. Das hat der Graf im Bart als heiliges Vermächtniß seinem Volke, und den deutschen Fürsten und Völkern zur Nachahmung hinterlassen. Das ist das sogenannte „Eberhardinische Testament“, die Grundlage der heutigen württembergischen Verfassung.

Sein ganzes Dichten und Trachten ging dahin, das Volk gegen jede Willkür, gegen jeden Gewaltmißbrauch des Regierenden zu sichern. Das ständische Recht der Selbstbesteuerung ist zwar ein altes gewesen in den vorderösterreichischen und württembergischen Landen, und kommt urkundlich als solches schon auf dem Landtage von 1464 vor. Aber es schlief wieder ein, und der Graf im Bart erst stellte es nicht nur wieder her, sondern durch einen geschriebenen Verfassungsartikel für alle Zeiten fest. So saßen von da an Ritterschaft, Prälaten und Landschaft, d. h. aus jeder Stadt einer vom Gericht und einer von der Gemeinde, auf den Landtagen zusammen, „um in den Sachen zu rathen und zu thun, als sich gebühren würde.“ Er gab Württemberg die erste vertragsmäßige Grundverfassung, und selbst in den Regimentsrath setzte er vier Bürger neben vier Ritterschaftliche und vier Geistliche. In allen diesen Anordnungen spricht sich, wie die Liebe zum Bürgerstand, so die Einsicht aus, daß der Bürgerstand jetzt in den Vordergrund zu treten habe, und die Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten das Zeitgemäße sei; drei Jahrhunderte voraus begriff der Graf im Bart die Bedeutung des „dritten Standes“, und zog ihn selbst in die Berathung und in die Beschlußnahme über die Staatsverwaltung.

So war der Reichstag von Worms gekommen im Jahre 1495, auf welchem der Kaiser ihm zum Danke erklärte, daß er Willens sei, ihm die herzogliche Würde zu verleihen. Der Kaiser willigte in alle Bedingungen Eberhard’s, wodurch er dem Volke Württembergs seine eigenen Gesetze, seine eigenen Rechte und Freiheiten gegen jede Willkür, gegen jeden Wechsel zu wahren suchte.

Ob Eberhard auf der Grafen- oder der Herzogsbank saß, sein Geist, seine Beredsamkeit, seine Rechtlichkeit hatten unter allen Fürsten des Reichs ein Uebergewicht; und als auf eben diesem Reichstage zu Worms, statt um die Sache, um die Herstellung des inneren Rechtszustands im Reiche, sie vielmehr um Sitz, Titel und Rang sich stritten, da erklärte Eberhard geradezu: „ihm sei es nicht um die Ehre des Sitzes, sondern nur um den Nutzen der Berathungen zu thun, und er wolle gerne hinter dem Ofen sitzen, wenn nur die Sache, über die man sitze, zu Stande komme.

Auf diesen Reichstage war es auch, wo jenes Wort Eberhards fiel, das von Dichtern besungen ist und im Munde des Volkes lebt. An einem Abende luden die Herzoge von Sachsen dem neuen Herzoge zu Ehren, wie der Kaiser es ihm zuvor gethan, die Fürsten des Reiches zu einem Mahle. Die Vorzüge der verschiedenen deutschen Länder kamen zur Sprache. Die von Sachsen rühmten ihre reichen Silberbergwerke, der Pfalzgraf am Rhein seine köstlichen Weine und Früchte, die von Baiern ihre schönen Städte. Eberhard im Bart, der neue Herzog, hörte ihnen zu und schwieg. „Nun,“ sprach Herzog Albert von Sachsen, „warum lassen wir den Herzog von Württemberg nicht auch von seinem Lande reden?“ – Es mochten die Fürsten sich wohl etwas fühlen, daß sie Herzoge von großen und reichen Landen waren, dem Mann im Barte gegenüber, der trotz seines kleinen Landes soeben Herzog wie sie geworden war und mehr als sie galt beim Kaiser und im Reiche. – „Ich kann,“ antwortete der Herzog im Bart bescheiden, „mein Land nicht groß herfürziehen, denn ich habe ein geringer Land als Euer Liebden alle; aber Eines gleichwohl, dünkt mich, mag ich rühmen: wohin ich komme in meiner Herrschaft, wenn ich mich etwa verritten hätte, im Feld oder im dicksten Wald, ganz allein, und wäre müde, so dürfte ich ganz ohne alle Furcht und Sorge einem Jeglichen meiner Unterthanen, möcht’ ich treffen, wen ich wollte, das Haupt in den Schooß legen und sicher schlafen.“ Alle Fürsten umher gestanden, daß er bessere Schätze und Güter habe als sie. „Herzog im Bart, Ihr seid der Reichste!“ hat der Dichter einem der Fürsten in den Mund gelegt.

Fünf Monate dauerte der Reichstag zu Worms, sieben Monate Eberhard’s Herzogswürde. Heimgekehrt zur Freude seines Volkes, fing er an zu kränkeln. Er erkannte das Ziel seines Wirkens. In den letzten Tagen des Februars 1496 versammelte er seine vornehmsten Räthe im Schlosse zu Tübingen um sich und legte ihnen in feierlicher Rede ihre Pflichten gegen das Vaterland an’s Herz. Die Herzogin tröstete er mit liebreichen Worten. In tiefer Rührung standen die Räthe umher. Kurz zuvor noch hatte er die wohlthätigsten Anordnungen für die Armen im Lande eingeführt. Drei Tage lang lag er in schwerem Kampf, er vermochte nicht zu reden. Auf einmal erhob er sich, saß ganz aufrecht im Bette zu Aller Verwunderung und sprach deutlich, daß es Alle hören konnten: „Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, ich bitte Dich, Du wollest mir zu erkennen geben, wenn ich einmal einem meiner Unterthanen wider Recht gethan habe und überlästig gewesen bin, damit solches ihm von meinem Hab und Gut wiederum erstattet werde; oder wenn solches auch nicht genug ist, so hast hier meinen Leib, barmherziger Gott, züchtige ihn immerfort und schone dort der Seele!“

Laut seines letzten Willens wurde von allen Kanzeln des Landes verkündet, daß, falls er Jemand durch unziemliche Reden an der Ehre gekränkt oder erzürnt oder an Leib und Gut beschädigt hätte, diese Personen ihm um Gotteswillen verzeihen wollen, und daß er es seinen Erben auf das Gewissen gebunden habe, jeden Schaden zu ersetzen. Ebenso nach seinem letzten Willen wurde er still und einfach, ohne allen Prunk, begraben in der Kirche zu St. Peter im Einsiedel, seinem Lieblingsort; eingekleidet in die blaue Kutte der Brüder des gemeinsamen Lebens, in der Mitte des Laienbrüderchors. Da ruhte er vierzig Jahre, bis das Stift abbrannte, wo dann sein Sarg nach Tübingen in den Chor der dasigen Stiftskirche gebracht wurde. Ein einfacher Stein bezeichnete in St. Peter sein Grab, nichts darauf, als sein Name, sein Geburts- und Todestag. Die Besten im deutschen Reiche trauerten um ihn.

Nach drei Jahren wallete Kaiser Max zu seinem Grabe in St. Peter im Schönbuch. Als er auf dem einfachen Stein stand, sprach er zu den Umstehenden: „Hier liegt ein Fürst, weise und tugendhaft wie keiner im Reich. Sein Rath hat mir oft genützt.“

Der Kaiser kam herüber von Rottenburg am Neckar und von

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