Seite:Die Gartenlaube (1861) 490.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Reutlingen, des Reiches Stadt. Hier hatte er den Nachfolger Eberhard’s im Bart, Eberhard den Jüngern, durch Kaiserspruch für immer des Landes Württemberg entsetzt und Alles bestätigt, was die württembergischen Stände gethan hatten. Diese hatten nach zwei Jahren schon ihrem zweiten Herzog, auf Grund des Eberhardinischen Testaments, den Gehorsam aufgekündigt, weil er den Vertrag gröblich und vielfach gebrochen hatte, unter welchem ihm allein gehuldigt worden war, und welchen der erste Herzog, Eberhard im Bart, aufgerichtet hatte als Schutzmauer für die Freiheit und das Wohl seines Volkes gegen Willkür und Tyrannei.

Im Schloßhof zu Stuttgart steht seit einem Jahre das eherne Standbild Eberhard’s, von König Wilhelm gesetzt.




Pariser Bilder und Geschichten.

Von Sigmund Kolisch.
Plaudereien aus den Salons.
Die Macht der Pariser Salons – Scene vor dem Staatsstreich – Frömmigkeit in den Salons – Louis Veuillot und Graf Montalembert – Die Feder eines Bischofs – Lamartine – Die Generäle Türr und Bixio – Aus den Erzählungen Türr’s – Bixio ein zweiter Scävola – Unglaubliche Anmaßung.

Man weiß überall, daß der Salon in Paris eine große Rolle spielt, aber man kann sich im Auslande nur schwer eine Vorstellung davon machen, welchen mächtigen Einfluß derselbe auf alle Verhältnisse des Lebens ausübt. Der Pariser Salon ist ein Markt, wo man verkauft, kauft und eintauscht, wo man gewinnt und verliert; dann ist er ein Capitol, wo man Kränze des Ruhmes verleiht. Bald ist er ein Forum, wo man über Staatsangelegenheiten entscheidet, bald eine Arena, wo Wettkämpfe abgehalten werden, wo Schönheit mit Schönheit, Fähigkeit mit Fähigkeit, Reichthum mit Reichthum ringen. Selten ist er blos Schauplatz des Vergnügens und des geselligen Verkehrs, noch seltener der Zufluchtsort eines freundschaftlich innigen Zusammenlebens, eines unbefangenen, heitern Gedankenaustausches.

Der Sohn des Philipp Egalité wäre schwerlich im Jahre 1830 auf den Thron von Frankreich gelangt, wenn er in seinem Salon nicht die Herren Casimir Perier, Laffitte und namentlich den alten Herrn von Lafayette empfangen hätte, der es nach den Julitagen wagen durfte, der Menge vom Stadthause die denkwürdige Albernheit zuzurufen: „Der Herzog von Orleans ist die beste Republik!“ Durch eine gefällige Conversation und einige glückliche Bons-mots hat der schlaue Herzog eine Krone gewonnen. Wörtlich genommen hat der Herzog von Aumale Recht, wenn er in seinem Schreiben an den Prinzen Napoleon erklärt, daß sein Vater nicht conspirirt hat. Derselbe hielt allerdings keine geheimen Zusammenkünfte, wie etwa Ludwig Napoleon mit Parteiführern, er zettelte keine Aufstände an, er verführte keine Soldaten, er unternahm keine tollen Streiche, wie die von Straßburg und Boulogne, er hat sich überhaupt nie und zu Niemand bestimmt ausgesprochen, dazu war der kluge Mann zu ängstlich und zu vorsichtig; allein er lächelte in seinem Salon diesem Banquier oder jenem General zu und durch dieses Lächeln ließ er errathen, wozu er gegebenen Falles zu bewegen wäre; Blicke und Mienen, aber niemals Worte, sprachen seine Wünsche und Hoffnungen aus. Er wurde von seinen Freunden verstanden, die aus dem Salon des Palais Royal die stillen Eingebungen mitnahmen, nach denen sie handelten, als der Julisturm losbrach.

Als der Staatsstreich vorbereitet und das Nöthige zur Gründung der napoleonischen Herrschaft eingeleitet wurde, fand eine Berathung im Elysée statt; es handelte sich darum, die Listen derjenigen Personen zu fertigen, die aus dem Lande entfernt werden müßten, um den Sieg der Gewalt über Recht und Gesetz zu sichern. Die Vertrauten und Helfershelfer, denen bei dem bevorstehenden Drama wichtige Rollen zugetheilt wurden, waren gegenwärtig, die Generale St. Arnaud und Canrobert, Oberst Espinasse, der Polizeipräfect Maupas, Herr v. Morny und Andere. Die Namen aller derjenigen, welche irgend einen Einfluß, sei es nun auf die Truppen, sei es auf die Arbeiter, üben konnten, wurden vorgeschlagen und ohne Widerrede behufs der Verhaftung aufgezeichnet. Als aber der Name Thiers ausgesprochen wurde, zeigte sich der Präsident der französischen Republik erstaunt.

„Thiers?“ rief er erstaunt aus.

„Es ist nothwendig,“ versicherte mit Nachdruck der Polizeipräfect.

„Er schreibt die Geschichte des ersten Kaiserreichs und schwärmt für meinen Onkel!“ bemerkte der Präsident.

„Er ist deshalb nicht minder dem zweiten Kaiserreich entgegen und Ihr entschiedener Widersacher, Prinz,“ entgegnete unerschüttert der Präfect.

„Was kann der Mann uns schaden, den die Soldaten höchstens dem Namen nach kennen und der unter den Arbeitern unpopulär ist?“

„Aber in den Salons ist Herr Thiers bekannt und populär. Wenn er da erzählt, hört alle Welt zu, und wenn er einen Witz macht, lacht alle Welt. Erzählung und Witz gehen dann weiter von Haus zu Haus, sodaß ganz Paris über ein Wort von Herrn Thiers lacht. Meine Leute, welche in die Salons Zutritt haben, wo Herr Thiers sein Wesen treibt, berichten einstimmig, mit welcher Rücksichtslosigkeit er sich über Sie, über uns Alle ausläßt.“

Der Präsident schwieg.

„Wenn sein Bleiben nicht schadet, so schadet sein Gehen noch weniger,“ meinte der General St. Arnaud.

„Lassen Sie ihn reisen, Prinz,“ sagte Herr v. Morny.

Und der Name des Herrn Thiers wurde auf die Liste gesetzt.

Die Salons des Faubourg St. Germain bieten seit Kurzem Scenen von tragikomischer Wirkung dar, in welchen sich ein Stück Zeitgeschichte abspiegelt, die man ergötzlich nennen könnte, wenn sie nicht gar so trostlos wäre. Die Abkömmlinge der unzüchtigen Marquis und Marquisinnen des vorigen Jahrhunderts haben sich aus Verzweiflung nicht dem Trunk, sondern der Frömmigkeit ergeben, nachdem die Julibewegung sie gezwungen hat, Rechte und Pflichten mit anderen Erdenkindern zu theilen und vor denselben nichts voraus zu haben, als einen Titel, der nichts mehr gilt. Zu stolz und dumm, um sich mit dem Nothwendigen abzufinden, unbrauchbar für die neue Welt und das neue Leben, bleibt ihnen viel Zeit sich mit ihrem Seelenheil zu befassen. Die irdischen Dinge gingen für sie so schlecht, daß sie sich dem Himmel zuwandten, nach Art herabgekommener Wüstlinge und verblühter Frauen, die ein stürmisches Leben hinter sich haben. Der italienische Krieg steigerte die Frömmigkeit der um ihre verlorenen Vorrechte Trauernden zum Fanatismus. Krampfhaft klammern sie sich an das Papstthum, nicht etwa um ihm zu dienen, sondern um sich durch diesen Anker im Sturme vom gänzlichen Schiffbruch zu retten.

Mit einem Male sah man einen Plebejer der ungeschliffensten Art in den ausschließlichsten Salons von Paris nicht nur aufgenommen, sondern gefeiert. Der journalistische Klopffechter Louis Veuillot, der die Gegner der von ihm vertretenen Ansicht beschimpft, statt sie zu widerlegen, der Unrath als Waffe gebraucht, dem eben so die Anmuth des Umgangs, wie die Aufrichtigkeit der Ueberzeugung, dem eben so die Würde im Leben, wie in seinem literarischen Wirken fehlt, wurde von zarten Frauen, die ihre Ahnen bis zu den Kreuzzügen hinan und weiter verfolgten können, in den lichten Räumen, die sonst kein „Ungeborener“ durch seine Gegenwart entweihen durfte, mit Freundlichkeiten und Aufmerksamkeiten überhäuft. Sie nannten ihn einen „großen Mann“ und citirten Stellen aus seinen Artikeln im Univers, durch die er den Raub des Knaben Mortara und die Inquisition und andere ähnliche Vortrefflichkeiten vertheidigte und die von Ungebührlichkeiten aller Art wimmeln.

Nach Louis Veuillot kam der Graf Montalembert an die Reihe, mit dem der Faubourg jenseits der Seine früher geschmollt hat, weil er zuerst liberale und dann bonapartistische Anwandlungen zeigte. Er erhielt förmlich Absolution, und von schönen Augen und süßen Stimmen wurde ihm für die „Rückkehr zu den Seinen“, für die Bekehrung zum alten Glauben an die Allmacht des Papstthums gedankt. „Ein großer Geist giebt seinen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_490.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)