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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Eine glänzende Tafel empfing in dem gegenüberliegenden Zimmer die Eintretenden. Formlos und unter lauter Scherzreden erfolgte das Niedersitzen; als aber Reichardt von dem ihm zugefallenen Platze aufsah, traf sein Auge auf Johnson, der, sein Gegenüber bildend, mit zusammengezogenen Brauen des Deutschen ganze Erscheinung zu mustern schien, sich aber dann dem ihm vorgesetzten Teller zuwandte. Bald klang ringsumher nichts als das Klappern der Messer und Gabeln, und Reichardt dankte im Augenblick dem amerikanischen Gebrauche, schweigsam die Haupttheile einer Mahlzeit einzunehmen; er erhielt wenigstens Zeit, sich zu sammeln. Margaret saß an seiner Seite, nicht von ihrem Teller aufblickend; dachte er aber daran, mit ihr ein Gespräch von leichter Färbung beginnen zu müssen, so marterte er sich wieder vergebens ab, einen Anknüpfungspunkt dafür zu finden. Alles, was die Uebrigen vereinte, geselliges Leben und Tagesgeschichte, war noch eine fast unbekannte Welt für ihn, und den einzigen Vereinigungspunkt, den sie auch wohl nur berührt hatte, um mit ihm auf gleich bekanntem Boden zu stehen, Harriet Burton, mochte er ihr gegenüber am wenigsten zum Gegenstande eines Gesprächs machen.

„Haben die Ladies schon von der merkwürdigen Fête gehört, mit welcher Dr. Hostell’s neues Haus eingeweiht werden soll?“ begann Johnson, seinen Teller zurückschiebend und unter die als Dessert aufgestellten Mandeln und Rosinen greifend.

Dr. Hostell, der Patentmedicin-Mann?“ lachte eine Stimme.

„Derselbe,“ fuhr der Sprecher fort, „er wird mit einem noch nicht dagewesenen Glanze Bresche in unsere aristokratischen Kreise schießen und sich den Eintritt in die gute Gesellschaft erzwingen; es wird so viel Erstaunliches von dem, was die Partie bieten soll, berichtet, daß die Neugierde schon unsere Ladies nicht ruhen lassen wird.“

Margaret hob den Kopf, als sei ihr die Gelegenheit willkommen, ihre bisherige Stellung aufzugeben, und ein Schein von Lächeln ging über ihr Gesicht.

„Bill macht Unsinn!“ rief John’s Stimme vom untern Ende der Tafel herauf, „Hostell hat Geld gemacht, bleibt aber immer der Patentmedicin-Mann und nichts weiter.“

„Warum, Sir?“ rief Johnson, „wir leben in einem Lande, in dem nichts unmöglich ist. Heute ist Einer Porter und hat morgen in der besten Gesellschaft Zutritt, heute schlägt Hostell seine letzte Sassaparilla-Kiste zu und empfängt morgen, vom Geschäfte zurückgezogen, die Leute aus der fünften Avenue!“

Ein einziger Blick des Sprechenden hatte Reichardt bei Erwähnung des „Porters“ gestreift, aber diesem das ganze Blut zum Herzen getrieben. „Und so wohl auch umgekehrt,“ begann er plötzlich, „junge Leute in guter Stellung voll Porter-Rohheit, fashionabler Dünkel mit der wunderlichsten Hohlheit gepaart – es sind allerdings die eigenthümlichsten Gegensätze, die besonders dem Fremden hier im Lande entgegentreten!“ Eine augenblickliche Stille folgte den Worten des Deutschen; es war, als ahne Jeder die verdeckte Bedeutung derselben, bis sich unter den einzelnen Paaren ein allgemeines Gespräch zu entwickeln begann. „Glauben Sie nun an die bösen Geister?“ wandte sich Reichardt halblaut an seine Nachbarin.

Sie schlug langsam das große Auge zu ihm auf. „Warum kümmern Sie sich so viel darum und bauen nicht auf den guten Geist in Ihnen selbst?“ fragte sie; aber es war ein Blick so still und ernst, der ihn traf, daß ihm plötzlich die Erwiderung, welche er sich hatte entreißen lassen, als das Thörichtste seines ganzen Lebens erscheinen wollte.

Für ein wirkliches Glück sah Reichardt es an, daß schon nach Kurzem der Wunsch nach einer Fortsetzung des Tanzes laut wurde; er hatte kaum mehr aufsehen mögen; als sich aber die Gesellschaft endlich erhoben hatte und die Mädchen, wie von einem Zwange erlöst, lachend nach dem andern Zimmer flatterten, zog er den jungen Frost bei Seite. „Ich fühle mich so unwohl, Sir,“ sagte er, „daß ich am besten thun werde, nach Hause zu gehen; wäre ich in gewöhnlicher Stimmung, so hätte ich auch nicht den faux pas in Bezug auf Johnson begangen; und ich weiß, Sie thun es mir zu Liebe, meine Entschuldigung gegen Mister und Miß Frost so zu übernehmen, daß kein falsches Licht auf mich fällt!“

John sah den jungen Mann einige Secunden schweigend an, während er dessen Seele ergründen zu wollen schien. „Sie sind der sonderbarste Mensch, Reichardt, der mir noch vor Augen gekommen,“ erwiderte er dann; „Johnson ist ein Esel, und ich hätte ihn vielleicht noch derber abgeputzt, als Sie es gethan – seinethalber gehen Sie aber doch sicherlich nicht –“

„Ich bin krank, Sir, nichts Anderes,“ unterbrach ihn der Deutsche, „und wenn Sie freundlich gegen mich sein wollen, so glauben Sie mir ohne weitere Worte und lassen mich ganz unbemerkt davon schlüpfen.“

Der Andere blickte mit neuem Forschen in die Augen des Sprechenden. „Es steckt Ihnen irgend etwas quer im Kopfe, Sir; das ist es!“ sagte er, „und ich wollte, Sie sprächen dreist heraus, was es ist. Aber,“ fuhr er fort, als Reichardt eine fast ängstliche Bewegung zur Entgegnung machte, „ich will Sie nicht zum Bleiben zwingen, so sehr mir auch Ihr Entschluß in mehrfacher Beziehung leid thut. Kommen Sie, wenn Sie durchaus nicht anders wollen!“

„Aber ich übergebe mich Ihrer Freundschaft, John, daß ich durch keine Mißdeutung lächerlich werde!“

„Werde Alles besorgen, Sir, wenn ich auch nichts weiter weiß, als daß der Teufel aus Ihnen klug werden mag!“

Beide waren nach einer Art Garderobe am Ende der Vorhalle gegangen, Reichardt hüllte sich in seinen Ueberrock und hatte in den nächsten Minuten unbemerkt das Haus verlassen. Er athmete freier auf, als er die kalte Luft der Straße fühlte, und verfolgte raschen Schritts, ohne einem Gedanken Macht über sich zu gestatten, den Weg nach seinem Boardinghause. Erst als er dort in seinem Zimmer Licht angezündet hatte, blieb er in der Mitte des kalten Raumes stehen und sah starr vor sich nieder. „Es ist recht so,“ sagte er nach einer Pause halblaut, „was habe ich mit diesen reichen, fashionablen Menschen zu thun, unter denen ich doch, nur immer der arme Clerk bleibe? Soll ich mir das Herz in Stücke brechen, wenn es fühlt und verlangt, wie Andere? Aber warum bin ich gegangen? habe ich doch vorausgewußt, was kommen mußte,“ fuhr er fort, den Kopf hebend und die Faust gegen die Stirn drückend, „habe mich selbst wahnwitzig in den Strudel gestürzt –!“ Er machte einen raschen Gang durch das Zimmer und blieb dann von Neuem stehen. „O Margaret!“ rief er plötzlich wie im Ausbruche des bittersten Wehes und schlug beide Hände vor das Gesicht, auf den nächststehenden Stuhl sinkend.

Es war manche lange Stunde verflossen, ehe er das Bett suchte und die innere Ermattung ihm die Augen schloß, und als ihn am Morgen die Frühstücksglocke weckte, war es ihm, als sei jedes Glied an ihm halb zerschlagen.

Fast eine Stunde mochte er bereits seinen Arbeitsplatz in der Office eingenommen haben, und er begann sich soeben zu wundern, daß sich der pünktliche Cassirer noch nicht eingestellt hatte, als John aus dem vordern Raume in’s Cassenzimmer trat und die Thür hinter sich zuzog. „Nun, die Krankheit vorüber?“ rief er launig, an den arbeitenden Deutschen herantretend, warf aber den Kopf zurück, als er in das Gesicht des Aufblickenden sah. „By George, Sie sehen schlecht aus, Mann,“ sagte er, „was ist denn los mit Ihnen? ich denke doch nicht, daß Sie im Geschäft Streiche wie gestern Abend machen werden?“

„Hat keine Gefahr, Sir,“ erwiderte Reichardt mit einem halben Lächeln. „Ich bin völlig wieder wohl, und denke mich auch so zu halten!“

„Well, Sir, das ist gut – aber wegen gestern Abend,“ versetzte der Andere, noch immer das bleiche Gesicht des Deutschen betrachtend, „es hat mir etwas Mühe gekostet, die Gesellschaft über Ihr Davonlaufen zu beruhigen; die Mädchen schienen sich sämmtlich für Sie interessirt zu haben, und die alte Miß Henderson war ganz unglücklich!“ Reichardt fühlte seine Brust enger werden; er glaubte jeden nächsten Augenblick hören zu müssen, wie sich Margaret geäußert, und kaum wußte er, sollte er es wünschen oder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_494.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)