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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

haben Sie sich den Weg gemacht und bis jetzt gewartet?“ fragte Reichardt mit einem Lächeln voll halben Zweifels und führte den Gast nach dem Parlor zurück. „Wollten Sie nicht auch nebenbei hören, zu welchem Punkte meine Verhandlungen mit der „Gnädigen“ geführt?“ fuhr er launig fort, als ihn ein Blick durch den Raum versichert, daß sie allein waren.

„Hatte nicht daran gedacht!“ erwiderte Meißner, den Kopf schüttelnd, „jetzt allerdings sehe ich, daß etwas darauf ankommt, ob Sie noch dasselbe Interesse für das Geschäft Ihres Principals haben, als früher!“

„Etwas Geschäftliches?“ fragte der Andere aufmerksam, „ich werde immer mein Interesse für Frost’s bewahren, Meißner, selbst wenn ich bereits aus ihrer Office geschieden wäre, was noch nicht einmal der Fall ist.“

„So hören Sie eine Minute und thun Sie dann, was Ihnen gut dünkt; nennen Sie mich auch einen Esel, wenn Sie wollen, daß ich erst jetzt damit herausrücke,“ sagte der Kupferschmied, sich vorsichtig umsehend und dann nach einer der Fenstervertiefungen gehend. „Seit Sie von Johnson’s weg sind,“ fuhr er fort, nachdem ihm Reichardt mit einiger Befremdung gefolgt war, „scheint der alte Black sein besonderes Zutrauen auf mich übertragen zu haben. Ich muss wenigstens jeden Abend vor dem Geschäftsschlusse zu ihm kommen, und er hat immer einige besondere Aufträge für mich. Als ich heute Abend nach der Office kam, sitzt der alte Mann bleich wie der Tod vor einem Briefe, der eben angekommen sein mußte, und steht, als er mich sieht, von seinem Sessel auf, als könne er kaum seinen Beinen trauen. „Bill, holen Sie mir rasch einen Wagen,“ sagt er, „lassen Sie sich aber vor den Anderen nichts Besonderes anmerken!“ Als ich aber mit dem Wagen zurück bin, liegt der Alte mit dem Kopfe auf seinem Pulte und weiß von sich selbst nichts. Zum Glück war der Doctor nebenan zu Hause, der ihn wieder zu einer Art halber Besinnung brachte, sich aber dann auch gleich mit ihm in den Wagen setzte und den Kranken nach seinem Quartier schaffte. Ich hatte mir nichts anmerken lassen sollen, sagte also auch dem Doctor von dem Briefe nichts; schickte aber den Porter fort, um Einen von den jungen Johnson’s aufzutreiben – der alte Herr liegt schon seit einer Woche hart krank von denen war aber wie gewöhnlich kein Einziger daheim, und so hielt ich es für das Beste, selbst einmal in den Brief, der offen dalag, zu sehen. Ich bin noch immer schlecht in Meinem Englischen beschlagen, aber ich buchstabirte doch so viel heraus, daß das Schiff Mary Lee zu Grunde gegangen und nur die Mannschaft gerettet worden sei, daß die telegraphische Depesche darüber, allem Anscheine nach im Interesse einer Versicherungs-Compagnie, die irgend einen Schlag auszuführen beabsichtige, zurückgehalten werde, und daß jeder an der Ladung Betheiligte am Besten thue, sofort nach dem Rechten zu sehen. Ich wußte nicht, ob ich nicht mit jedem Worte, das ich über den Inhalt redete, mehr verderben, als gut machen konnte, und ließ die Schrift, wo sie war und wo sie morgen früh doch von den Johnson’s sogleich entdeckt werden muß. Als Sie zu mir kamen, vergaß ich über Ihrem blassen Gesichte sogar die ganze Geschichte, und erst später fiel mir ein, daß Frost’s an der Sache wohl ebenso betheiligt sein könnten, als Black oder Johnson’s, und daß ich Ihnen jedenfalls noch ein Wort darüber sagen müßte –“

„Und wo ist der Brief jetzt – wird ihn nicht der alte Black längst haben holen lassen?“ unterbrach ihn Reichardt eifrig.

„Der Alte ist noch immer nicht ganz bei rechter Besinnung,“ erwiderte der Andere, „ich fragte in seinem Hause nach, ehe ich hierher ging, und gerade deshalb habe ich Ihnen jedes Wort von der Geschichte erzählt.“

Reichardt machte sichtlich erregt einen raschen Gang durch das Zimmer. „Ich muß das Papier selbst sehen, Meißner,“ sagte er, plötzlich stehen bleibend; „Frost’s sind wirklich zu einem großen Theile an der Ladung der Mary Lee betheiligt, und was geschehen kann, um einen Schwindel der Versicherungsgesellschaft zu verhindern, muß sofort geschehen. Dazu gehört aber wenigstens ein gegründeter Verdacht, der sich nur durch den Brief selbst feststellen läßt – können wir jetzt nach der Office von Johnson’s gelangen? der Porter schläft ja wohl im untern Raume, und ein Vorwand muß sich finden –“

„Können? Natürlich können wir!“ rief der Kupferschmied, fuhr sich aber auch zugleich mit der Hand hinter die Ohren, „was dann aber, wenn der Brief morgen früh nicht mehr da ist? dann um das einfache Hineinsehen wird es Ihnen ja wohl nicht zu thun sein!“

„Hören Sie, Meißner,“ rief Reichardt, den Andern bei beiden Armen ergreifend, „morgen ist der Brief wahrscheinlich nicht mehr werth als ein Stück Papier; heute aber können wir neben Frost’s Capitale wohl auch das Interesse von Johnson oder Black retten. Wagen Sie einmal für den schlimmsten Fall Ihre Stelle, Sie machen damit, wenn Sie Ihr Englisch nicht betrogen hat, den Einsatz für einen viel bedeutenderen Gewinn „Vorwärts also!“ rief der Kupferschmied, seinen Hut fester auf den Kopf schlagend, „die Sache ist mir ein Bischen spitzig, aber Sie haben wohl noch keinem Menschen zu etwas Unrechtem gerathen –“

„Und hoffe es auch niemals zu thun, verlassen Sie sich darauf!“ gab Reichardt zurück, und in der nächsten Minute hatten die beiden jungen Männer scharfen Schritts den Weg nach Johnson’s Geschäftshause eingeschlagen. „Es ist kaum elf,“ sagte der Kupferschmied, welcher an der nächsten Laterne seine Uhr gezogen hatte, nachdenklich, „und wahrscheinlich ist der jetzige Porter, der seine Abende gern lange benutzt, noch nicht einmal zu Hause. Wir könnten uns wohl, wenn wir nicht zwei oder drei Stunden warten wollen, einen Weg von dem Hinterhause nach der Office bahnen, könnten aber auch dabei als ganz ordinaire Einbrecher abgefaßt werden – wenn’s aber durchaus sein müßte –“

No, no!“ erwiderte Reichardt, der sich über den todesverachtenden Ton von Meißner’s letzten Worten eines Lächelns nicht erwehren konnte, „wir sind die Personen, von denen jetzt Alles abhängt, und dürfen uns deshalb keiner unnöthigen Gefahr aussetzen. Sehen wir, wie wir die Sachen finden, und nehmen dann unsere Maßregeln – vorläufig vertraue ich auf gutes Glück; die ganze Sache ist zu sonderbar an mich gekommen, als daß ich einen Fehlschlag sehr fürchten sollte!“

„Auch ein guter Glaube – aber nur los; einmal eine Sache unternommen bin ich zu Allem fertig!“ brummte der Kupferschmied, und schweigend setzten Beide nebeneinander ihren Weg fort.

(Fortsetzung folgt.)

Aus den Zeiten der schweren Noth.
Nr. 3.
Ein Secondelieutenant.

Die beiden unheilvollen Schlachten bei Jena und Auerstädt (am 14. October 1806) waren beendet. Nicht durch den fehlenden Muth der Soldaten waren sie verloren, sondern durch eine unbegreifbare Sorglosigkeit und Verwirrung ihrer Führer und durch ein Geschick, das sich mit aller Schwere gegen Preußen wendete. Preußen hatte große Verluste in den beiden Schlachten erlitten; es würde sie verschmerzt haben, hätte es Männer besessen, welche die aus beiden Schlachten geretteten Trümmer seines Heeres mit besonnenem Muthe gesammelt hätten, wären nicht so schmachvoll feige Männer unter denen gewesen, welchen es einen Theil seiner Macht anvertraut hatte. Es verlor hundert Mal mehr durch die Folgen dieser Schlacht, als durch sie selbst. Die letzten Monate des Jahres 1806 sind die trübste Zeit in Preußens ganzer Geschichte.

Durch den Verlust dieser beiden Schlachten war der ganze preußische Operationsplan vernichtet. Das geschlagene Heer zog sich nicht zurück, es war gleichsam in alle Winde zerstreut, seine Führer hatten jede Besinnung verloren, es dachte nur auf seine Rettung und floh in heilloser Verwirrung. Es wußte nicht, wohin es sich wenden sollte. Ein Theil wendete sich gegen die Unstrut, ein anderer schlug die Straße nach Sondershausen ein, um von dort im Norden des Harzes auf Magdeburg zu ziehen, ein dritter flüchtete gegen Erfurt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_500.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)