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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

in Preußen nicht fehlte, daß alles Unheil dieses Krieges nur von wenigen der Großen verschuldet war. In der Geschichte wird diese That meist gänzlich übergangen, weil es ein einfacher Secondelieutenant war, der sie ausführte. Wir wollen sie der Vergessenheit entreißen, die sie wahrlich nicht verdient. Solche Thaten sind immer ein schöner begeisternder Ruf für die Zukunft.

Die zweite Schwadron des preußischen Husarenregiments von Plöz war durch die Gefechte bei Saalfeld abgeschnitten und dadurch in den Rücken der französischen Armee gekommen. Es stand in der Gegend von Eisenach, während Erfurt übergeben wurde. In dieser Schwadron befand sich der Secondelieutenant Hellwig, ein junger, feuriger und tapferer Mann, der unter all seinen Kameraden für einen der Bravsten galt. Auch er hörte von der schmachvollen Kapitulation, und sein Herz bebte vor Unwillen. Sein Leben würde er hingegeben haben, hätte er diese That ungeschehen machen können, denn sie warf einen Flecken auf die ganzen preußischen Waffen. Zugleich erhielt er aber auch die Nachricht, daß man in Eisenach den Durchmarsch der ganzen gefangenen Garnison von Erfurt, über 9000 Mann, unter einer nur schwachen Bedeckung erwarte.

Ein Gedanke blitzte in ihm auf. Wenn es ihm gelänge, durch eine kühne That zum Theil wieder gut zu machen, was in Erfurt verschuldet war! Und dieser Gedanke wurde sofort bei ihm zum Entschluß, ohne daß er nach den Schwierigkeiten und Gefahren, welche sein Vorhaben darbot, fragte. Ohne Zögern eilte er zu dem anwesenden Flügeladjutanten des Königs, Major Graf v. Götzen, und trug ihm vor, daß er entschlossen sei, die durchmarschirenden Gefangenen zu befreien. Dem Grafen gefiel des jungen Mannes kühner Plan, doch zweifelte er an dem Gelingen; er versprach es in Ueberlegung ziehen zu wollen.

„Nein!“ rief Hellwig, „sogleich müssen Sie sich entscheiden. Gestern in der Frühe sind die Gefangenen von Erfurt abmarschirt, jede Stunde können sie hier ankommen!“

„Es sind über 9000 Gefangene, die Bedeckung wird nicht gering sein,“ erwiderte der Graf. „Ohne einige Compagnien Bedeckung ist ein solcher Transport nicht möglich, und ich kann nicht viel Leute an ein solches gewagtes, ja ich muß sagen tollkühnes Unternehmen setzen.“

„Ich verlange auch nicht viel!“ rief Hellwig begeistert. „Geben Sie mir fünfzig Husaren, lassen Sie mich dieselben aus dem Regiment aussuchen, und ich stehe dafür, daß mein Vorhaben gelingen wird!“

Der Graf lächelte.

„Die Bedeckung wird nicht daran denken, daß sie angegriffen wird,“ fuhr Hellwig fort, „sie weiß nicht, daß wir hier stehen, und sie hat nach der Schmach von Erfurt nicht Ursache, sich vor den preußischen Waffen zu fürchten!“

„Es geht nicht – es ist unmöglich!“ rief der Adjutant, so sehr ein solches Unternehmen auch ihm selbst zusagte. „Sie und all die fünfzig Braven würden sich nutzlos opfern!“

„So lassen Sie uns zum Opfer fallen!“ rief Hellwig. „So wollen wir zeigen, daß es unter den Preußen noch Männer giebt, welche ihr Leben gern für die Freiheit ihrer Cameraden in die Schanze schlagen. Wir wollen zeigen, daß Ehre und Ruhm uns höher gilt als das Leben! Nur fünfzig Mann geben Sie mir, Freiwillige, obschon ich weiß, daß Alle von unserm Regiment mit Freuden bei solchem Unternehmen in den Tod gehen würden! Nur fünfzig Mann!“

Der Adjutant zögerte noch.

„Nun, so sei es!“ rief er endlich, indem er Hellwig die Rechte entgegenstreckte. „Schlagen Sie ein, Lieutenant! Zehn Jahre meines Lebens wollte ich darum geben, hätte nur ein Mann mit Ihrem Herzen und Ihrem Muthe in dem Kriegsrathe zu Erfurt gesessen! Bei Gott, es wäre anders gekommen!“

„Wir wollen die Schmach sühnen!“ entgegnete der junge Mann, indem er die dargebotene Rechte ergriff. „Falle ich, so soll zum wenigsten ein Jeder sagen: Er hat seine Pflicht gethan, wie’s sich für einen braven Soldaten gebührt!“

Der Graf vermochte eine innere Bewegung nicht zu verbergen. „Kommen Sie – kommen Sie, Lieutenant!“ sprach er und eilte mit ihm hinaus zu den Husaren. Mit wenigen Worten theilte er ihnen Hellwig’s Vorhaben mit, und über hundert meldeten sich sofort als Freiwillige.

Fünfzig Husaren und fünf Unterofficiere wählte Hellwig selbst sich aus, und keiner von ihnen zweifelte an dem Gelingen, denn sie kannten den kühnen und unerschrockenen Sinn des Lieutenants.

„Wir bringen Euch 9000 freie Cameraden mit!“ rief er heiter seinen zurückbleibenden Gefährten zu und sprengte mit seiner kleinen Schaar rasch davon. Er ritt auf die Landstraße zu, welche von Erfurt über Gotha nach Eisenach führt, und dort bei Eichrodt, kaum eine Viertelstunde von Eisenach entfernt, stellte er seine Husaren in einem kleinen, bis an die Straße reichenden Gehölze versteckt auf. Mit seinem Plane hatte er sie bereits bekannt gemacht. Die große Anzahl der Gefangenen mußte einen langen Zug bilden. Wie es bei solchen Transporten in der Regel zu geschehen pflegte, marschirte eine Abtheilung der Bedeckung voran, während die andere den Zug beschloß. Zu beiden Seiten pflegten Voltigeurs zu marschiren oder Husaren zu reiten, um das Entweichen einzelner Gefangenen zur Seite zu verhüten.

Ruhig, ohne sich zu verrathen, wollte er fast den ganzen Zug an sich vorbei marschiren lassen und sich dann plötzlich mit Ungestüm auf die letzte Abtheilung werfen. Erst nachdem diese überwältigt, wollte er auf die vordere Abtheilung der Bedeckung sich stürzen, und der mehrfach erprobte Muth seiner Husaren gab ihm die Gewißheit, daß keiner von ihnen zagen werde, wenn der Feind ihnen auch an Zahl mehrfach überlegen war. Auf das Strengste hatte er den Husaren befohlen, sich nicht eher zu rühren und auch durch günstigste Gelegenheit sich nicht zum Hervorbrechen bewegen zu lassen, als bis er ihnen das Zeichen dazu gegeben.

Er selbst stieg, von einem Unterofficier begleitet, auf eine kleine Anhöhe in der Nähe des Gehölzes. Ihre Pferde hatten sie zurückgelassen. Um sich zu verbergen, streckten sie sich hinter einen Busch und schauten erwartungsvoll durch ein Fernrohr die nach Gotha und Erfurt führende Straße hinab. Stunde auf Stunde verrann, und die Erwarteten erschienen nicht. Einzelne kleine versprengte Haufen des preußischen Heeres zogen auf der Straße vorüber, und der Unterofficier schlug vor, sie an sich zu ziehen, um sich durch dieselben zu verstärken. Hellwig lehnte es ab. „Wir sind stark genug,“ sprach er, „und wir dürfen unsern Plan nicht Unbekannten anvertrauen. Hätte ich den Major von Götzen um eine größere Schaar gebeten, er würde sie mir gegeben haben, aber ich freue mich darauf, daß man später erzählen wird, ein halbes Hundert preußischer Husaren haben dem Feinde 9000 Gefangene abgenommen. Die Bedeckung wird auf unsern Ueberfall nicht vorbereitet sein, er muß gelingen, und glaubst Du, daß die Gefangenen, sobald wir nur einen geringen Vortheil errungen haben, uns nicht selbst unterstützen werden?“

„Sie sind ohne Waffen,“ warf der Unterofficier ein.

„In der Noth wird jeder Stein am Wege, jeder Stock zu einer gefährlichen Waffe, und die bloße Faust eines unerschrockenen muthigen Mannes ist noch mehr zu fürchten, als ein Säbel in der Hand eines Feiglings!“ rief der junge Lieutenant mit begeistertem Muthe. Er richtete das Fernrohr wieder auf die Landstraße und er hätte laut aufjubeln mögen, denn in der Ferne erblickte er die Erwarteten in langem Zuge. Es war gegen 5 Uhr Abends.

„Sie kommen – sie kommen!“ rief er seinem Begleiter zu. „Eile hinab zu unsern Gefährten und präge ihnen noch einmal ein, daß sie bis auf meinen Befehl ganz ruhig bleiben! Doch nein – warte,“ fügte er seinen Entschluß ändernd hinzu, „ich selbst will hinabeilen!“

Er sprang auf, verließ vorsichtig, halb kriechend die Anhöhe, und eilte in das Gehölz, wo die Seinen in größter Ungeduld harrten.

„Haltet Euch in Bereitschaft!“ rief er ihnen zu. „Sie kommen! Aber noch einmal hört meinen Befehl: keiner rührt sich, bis ich das Zeichen gebe!“

Er eilte wieder hinauf auf die Anhöhe. Das Herz schlug ihm schnell, laut. Der Augenblick nahte, der die Entscheidung für ihn brachte: Sieg und Ruhm oder – Tod!

Der Zug war nahe gekommen. Auf’s Deutlichste erkannte er die den Gefangenen voran schreitenden französischen Soldaten. Ihre Gewehre blitzten in der Abendsonne. Er konnte sie überblicken, sie marschirten ziemlich sorglos, aber in Einem war er falsch berichtet: die Bereitung war nicht so schwach. Eine ganze Compagnie Linien-Infanterie marschirte dem Zuge voran und eine nicht geringe Anzahl Voltigeurs zu beiden Seiten. War die den Schluß bildende Bedeckung ebenso stark, so hatte er eine schwere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_503.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)