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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Landen sich wiederholt. Ich sehe zu Dörfern versammelte ländliche Wohnsitze, durch Gartenbeete und Baumgruppen gesondert; einen Fluß, der sich vielfach durch Wiesen krümmt, wo eben eine reichliche Heuernte die Emsigen beschäftigt; Wehr, Mühle, Brücken folgen aufeinander, die Wege verbinden sich auf- und absteigend. Gegenüber erstrecken sich Felder an wohlbebauten Hügeln bis an die steilen Waldungen hinan, bunt anzuschauen nach Verschiedenheit der Aussaat und des Reifegrades. Büsche hie und da zerstreut, dort zu schattigen Räumen zusammengezogen. Reihenweis, auch den heitersten Anblick gewährend, seh’ ich große Anlagen von Fruchtbäumen, sodann aber, damit der Einbildungskraft ja nichts Wünschenswerthes abgehe, mehr oder weniger aufsteigende, alljährlich neu angelegte Weinberge.“

Aus diesem ruhigen, wohlgeordneten und die Spuren einer schon früh thätig besorgten Vergangenheit enthüllenden Wesen um sich her abstrahirt sich Goethe den für ein „bekümmertes Gemüth wohlthuenden“ Schlußsatz: „daß die vernünftige Welt von Geschlecht zu Geschlecht auf ein folgerechtes Thun entschieden angewiesen ist.“

Goethe wohnte in dem äußersten, auf der Seite nach Jena zu gelegenen Gebäude, welches früher ein Freigut, aber bereits zur Zeit von Goethe’s Aufenthalt ein Besitzthum des weimarischen Fürstenhauses war. Ueber dem Portale dieses Hauses empfängt uns das schöne lateinische Distichon:

Gaudeat ingrediens, laetetur et aede recedens!
His, qui praetereunt, det bona cuncta Deus!

nach Goethe’s eigener Uebersetzung:

Freudig trete herein und froh entferne Dich wieder!
Ziehst Du als Wandrer vorbei, segne die Pfade Dir Gott!

Diesen menschenfreundlichen Spruch nahm Goethe zum Eingang jenes Beulwitz’schen Briefes und findet in ihm sinnig den Wahlspruch seines verewigten Herrn, seines „Herrn, welcher nach seiner erhabenen Sinnesart jederzeit mehr für die Kommenden, Scheidenden und Vorüberwandelnden besorgt war, als für sich selbst, der, wie der Anordner jener Inschrift, weniger seiner Wohnung, seines Daches gedachte, als derjenigen, welche da zu herbergen, mit Gunst zu verabschieden oder vorbeigehend zu begrüßen wären.“

Das Zimmer, welches Goethe bewohnte, befindet sich im zweiten Stock auf der südöstlichen Seite. Es ist in seiner innern Einrichtung wie ein unantastbares Heiligthum als „Goethezimmer“ getreu wie zu des Dichters Aufenthalt erhalten. Ein kleines Täfelchen erzählt uns, daß Goethe hier vom 7. Juli bis 12. September 1828 gewohnt hat, ein anderes enthält von Goethe’s eigener Hand Notizen über Barometerstände, zeigt uns also den Dichter als Naturforscher.

Einen Haupttheil seiner Studien auch während dieses Landaufenthalts, wie überhaupt in jener spätern Periode seines Lebens, scheinen naturwissenschaftliche Forschungen gebildet zu haben. Darunter namentlich „botanische Betrachtungen“, wozu ihn der reichausgestattete Blumengarten des Schlosses einlud, und „da thut sich“ bei ihm „eine alte wohlfundirte Liebschaft wieder hervor.“ Insbesondere aber füllen – merkwürdig genug – die letzten Dornburger Briefe an Zelter die ausgedehntesten Beobachtungen über – das Wetter. Der große Mann erstrebte nichts mehr und nichts weniger als dem Geheimniß des hundertjährigen Kalendermannes auf die Spur zu kommen. Er sucht die Grundlagen, auf welchen sich die scheinbar so regellosen Erscheinungen des Wetters basiren, zu entdecken und tritt mit Glück als Wetterprophet auf. Wohin geräth nicht die Universalität des menschlichen Geistes! An diese Studien erinnern uns jene noch vorhandenen Barometeraufzeichnungen auf dem Täfelchen, dessen wir oben Erwähnung thaten. Denn an den Stand des Barometers, den er täglich zum Oeftern untersuchte, namentlich an die Vergleichung „seines Steigens und Fallens mit der Physiognomie der Atmosphäre und der Bewegung der Wolken“ knüpfte er hauptsächlich die gedachten Untersuchungen.

Das Zimmer ist hoch, hell und geräumig. Unter dem einfachen Meublement fällt namentlich ein Ofen auf, dessen Aufsatz eine Thurmruine von einer Schlange umwunden darstellt. Der Eintritt zu dem Zimmer ist jeder Zeit durch den jetzigen Bewohner des Hauses, den großherzoglichen Hofgärtner Sckell, zu ermöglichen, der damals Goethe’s freundlichen Wirth machte und in dessen Herzen die Erinnerung an den Goethe’schen Aufenthalt einen unverlöschlichen Heerd hat. Da erfahren wir genau, wie Goethe lebte, wie er um 6 Uhr aufstand, nach dem Kaffee und Frühstück von halb bis 9 Uhr in dem Schloßgarten lustwandelte, nach einem weiteren regelmäßig von einem Glas Moselwein begleiteten Frühstücke dann bis zum Mittagstisch seinem Secretair John dictirte und bis 4 Uhr Nachmittags Besuche empfing. Nach einem weitern kurzen Spaziergang fuhr er im Dictiren fort bis 6 Uhr Abends, wo er statt eines Abendessens regelmäßig ein Glas Wein nebst Zwieback genoß. Nach dieser Erfrischung verkehrte er gern im Gespräch mit vertrauten Freunden, an deren Besuch es ihm selten mangelte. Um 9 Uhr, spätestens eine halbe Stunde vor 10 Uhr ging er zu Bett.[1]

Dieses regelmäßige Leben, das ihm wohl schon sein hohes Alter vorschrieb, hielt er streng ein. Während der ganzen Dauer seines Aufenthalts verließ er Dornburg nur drei Mal, einmal fuhr er in Begleitung Sckell’s nach Großheringen, einem gegen vier Stunden entfernten Dorfe in der Nähe von Sulza, wo er bei dem dasigen Schultheiß Pietzel Einkehr nahm, ein zweites Mal nach Camburg, die dortigen Ruinen in Augenschein zu nehmen, und ein drittes und einziges Mal nach Jena, wo er bei dem Bibliothekar Legationsrath Weller abstieg.

Goethe empfing, wie erwähnt, fast täglich Besuch von nah und fern. Außer seiner Familie, Eckermann und dem gedachten Legationsrath Weller besuchte ihn zum Oeftern der Kanzler Müller und der Landesdirectionsrath Töpfer von Weimar, der Bauinspector Götze von Jena, von Fremden namentlich viele Engländer, worunter der Herzog von Wellington.

Am 12. September reiste Goethe ab, und nur noch zwei Mal vor seinem Tode, in den Jahren 1829 und 1830, kam er, und auch dies auf ganz kurze Zeit, in das ihm liebgewordene Dornburg. Als er das letztere Mal da war, sagte er beim Scheiden zu dem Hofgärtner: „Lieber Freund, es ist wohl das letzte Mal, daß ich Sie besuche, wollen Sie nicht einmal zu mir nach Weimar kommen?“ Sckell entgegnete, daß seine Geschäfte ihm keine Zeit zu einem solchen Besuche übrig lassen würden. „Nun,“ sagte Goethe, indem er ihm mit der einen Hand[WS 1] die seinige drückte, die andere aber gen Himmel hob, „dann sehen wir uns dort wieder,“ – und es ward denn auch sein letztes Mal. – Nur noch einen Sommer schenkte ihm der Genius des Lebens, dann forderte der Tod auch von ihm sein ewiges Recht. Noch eine andere Ahnung begleitete

  1. Aus jener Zeit erzählt man sich die folgende Anekdote: Eine junge Engländerin, qlühende Verehrerin Goethe’s, kam nach Weimar, um dort den Dichter persönlich aufzusuchen und zu sprechen. Zu ihrem nicht geringen Erschrecken erfuhr sie da, daß Goethe nach Dornburg gereist sei und von dort auch nicht bald zurückkehren werde. Einige Stunden darauf saß sie im Postwagen nach Jena und kam endlich erschöpft und ermüdet in Dornburg an, fest entschlossen, den nächsten Morgen den bestimmten Besuch zu machen. Es wird allgemein bekannt sein, wie sehr Goethe durch Besuche, die oft der langweiligsten Art waren, in Anspruch genommen wurde, Oft gab er dann seinen Leuten Befehl, Niemanden zu ihm zu lassen, aber die Zahl der Besucher minderte sich deshalb nicht. Viele derselben wußten dann durch Geschenke an die Kammerdiener sich Zutritt zu verschaffen, und so war es auch mit unserer Heldin, die kein anderes Mittel fand, um zu ihrem Zwecke zu gelangen. Sie wurde in das Empfangszimmer geführt. Ein Sturm der verschiedensten Gedanken bewegte sie; der Moment, den sie so sehnlichst erwartet hatte, war da. Jetzt trat Goethe herein und grüßte mit leichter Verbeugung. Aber war es nun die Größe des Augenblicks oder die Hoheit des Mannes, der sie unverwandt betrachtete und sich an dem Eindruck, den er auf sie machte, zu ergötzen schien – kurz, die junge Dame verlor alle Fassung und stand verwirrt, keines Wortes mächtig vor dem Dichter. Ein böser Genius schwebte über ihr! Da endlich raffte sie sich auf. Unbehülflich lenkte sie das Gespräch auf das Wetter, sprach von der Unbeständigkeit der Witterung und wurde nicht satt, Betrachtungen über den gerade herabströmenden Regen anzustellen. Goethe, auf’s Aeußerste gelangweilt, schützte Geschäfte vor und empfahl sich kurz. Die junge Dame war unglücklich. Einer solchen Art hatte sie sich diesen Besuch nicht geträumt. Was sollte sie ihren Freundinnen in England davon erzählen? Sie war einschlossen, ihren Fehler wieder gut zu machen und einen zweiten Besuch, falle dieser nun auch aus wie er wolle, zu wagen. Nach mancherlei Schwierigkeiten gelang es ihr angenommen zu werden. Goethe empfing sie auf das Freundlichste, unterhielt sich viel mit ihr von Literatur und war so artig, daß sie es endlich wagte, ihm ihr Album zu überreichen und ihn zu bitten, dasselbe durch einige Zeilen zu verherrlichen. Er nahm es lächelnd, schrieb, und unsere Heldin eilte mit demselben, nachdem sie sich beim Dichter mit den größten Danksagungen verabschiedet hatte, in ihr Wirthshaus. Wer beschreibt aber ihren Schreck, als sie dort angekommen die folgenden Worte las:

    „Es regnet, wenn es regnen soll.
    Es regnet seinen Lauf.
    Und wenn’s genug geregnet hat.
    Dann hört es wieder auf!“

    D. Red.

  1. Vorlage: Hund
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_518.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)