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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Goethe, indem er schon früher einmal zu dem Hofgärtner Sckell äußerte, es werde eine Zeit kommen, wo sich die Jugend und das Volk gegen seine angestammten Herrscher erheben würde – und zwei Jahr darnach war die Julirevolution und zwanzig Jahre später die des März 1848.

Soviel von Goethe! Aber wie wir Eingangs erwähnten, knüpfen sich an Dornburg auch noch große historische Erinnerungen. Und auch bei diesen können wir uns nicht versagen, etwas zu verweilen. Dornburg ist eine der ältesten Städte in Thüringen. Sie hatte schon im Jahre 937 Stadtrecht und war früher weit größer als heutzutage. Schon in der Goethe’schen obigen Beschreibung wird angedeutet, daß das obere nördliche Schloß in seiner alten Herrlichkeit ein kaiserliches Schloß war. So ist denn auch urkundlich nachgewiesen, daß Dornburg zu Zeiten der sächsischen Kaiser eine kaiserliche Pfalzstadt war. Hier hielt Mathilde, Aebtissin von Quedlinburg, im Jahre 999 in Vertretung ihres in Italien abwesenden Neffen, des Kaiser Otto III., einen Reichstag, zu welchem sie auch die schöne Luitgarde, Markgraf Eckardt’s von Thüringen und Meißen liebliches Töchterlein, mitgenommen hatte, welche vom gestrengen Herrn Vater der Aebtissin Schutz und Obhut anvertraut war, um mit dem rückkehrenden Kaiser verlobt zu werden. Nun aber wollte es das Schicksal, daß das Fräulein dem jungen Sohne eines nordthüringischen Grafen, Namens Werner, von Herzen zugethan, auch früher schon mit ihm versprochen war. Während nun die hochehrwürdige Frau Aebtissin in dem Rittersaal zu Dornburg saß, um mit den Ständen über das Wohl und Wehe des Reiches zu berathen, ersah sich Herr Werner die Gelegenheit, mit einigen Getreuen in Dornburg einzudringen und die mathildische Schutzbefohlene auf schnellem Rosse nach Walberk zu entführen. Vergebens eilten die aufgeschreckten Getreuen des Reiches dem kühnen Räuber nach, es gelang demselben inzwischen die schützenden Mauern des genannten Ortes zu erreichen. Dennoch aber brachte nicht das kühne Wagniß, sondern erst der bald erfolgende Tod des hartherzigen Brautvaters das treu ausharrende Paar an das ersehnte Ziel. Also ein schön Stück mittelalterlicher Romantik! Noch jetzt zeigt man Mathildens vergoldete Bettstelle. Auch im Jahre 1004 wurde von Heinrich II. ein Reichstag zu Dornburg abgehalten, bei welchem es sich namentlich um die Wiederaufrichtung des Bisthums Merseburg handelte. Später kam Dornburg in den Besitz der Schenken von Vargula und Tautenburg, von denen sich dann ein besonderer Zweig als die Schenken von Dornburg bildete. Durch Kauf ging es an die Grafen von Orlamünde und Schwarzburg über, und in dem sogenannten thüringischen Grafenkriege wurde es nach einer fünftägigen Belagerung durch den Friedensschluß vom 26. Juli 1345 ein Lehn der Landgrafen von Thüringen, welche es seit dem Jahre 1358 in völligen Besitz nahmen und Burgmannen drein setzten.

Das vordere Schloß ist gegenwärtig der Sitz eines Justiz- und Rechnungsamtes und Beamtenwohnung. In dem ursprünglich sehr geräumigen, aber jetzt durch Bauten verkleinerten Rittersaale, wo einst die Großen des damals so herrlichen deutschen Reiches rathend und thatend saßen, erschallen jetzt die Stimmen kreischender Männer und Weiber, die sich um eine nichtbezahlte Rechnung oder um ein ausgestoßenes Schimpfwort zanken, und wie grollend schauen von den Wänden hernieder die edlen Häupter aus den Zeiten alter deutscher Herrlichkeit. Sie transit gloria mundi!

Das kleinere Schloß in der Mitte ist in den Jahren 1728 bis 1748 vom Herzog Ernst August in dem pittoresken Geschmacke damaliger Zeit erbaut worden und ist das eigentliche Wohnhaus der großherzoglichen Familie im Falle ihrer Anwesenheit in Dornburg. Und wie in dem ersten vor fast tausend Jahren Reichstage, so wurde in diesem Schlößchen im Jahre 1818 der erste verfassungsmäßige weimarische Landtag, einer der ersten in Deutschland abgehalten.

So vereinigt die Erinnerung auf einem kleinen Stück Erde des Großen und Schönen gar viel. Dir aber, freundlicher Leser, ruft es von dort her scheidend und einladend zu:

Freudig trete herein und froh entferne Dich wieder,
Ziehst Du als Wandrer vorbei, segne die Pfade Dir Gott.“

F. Hbg.





Die Hollandsgänger in Nordwest-Deutschland.

Nicht nur unsere Künste, Gewerbe und Handwerker, sondern auch unser Ackerbau und unsere Bauern haben ihre Wanderburschen. Man findet diese Erscheinung einer von Zeit zu Zeit zum Wanderstabe greifenden Land-Bevölkerung in verschiedenen Theilen Europas. Sie zeigt sich überall da, wo sehr fruchtbare Landstriche von mannigfaltigem Anbau, in denen zur Zeit der reichen Ernte die Arbeit begehrt ist, mit dürftigen, von der Natur vernachlässigten Gegenden, in denen der Arbeiter viele und der Bodenproducte wenige sind, nachbarlich zusammenstoßen.

So zieht alle Jahre im Herbst die arme slovakische Bevölkerung der Karpathen mit Gesang und in froher Aussicht auf Erwerb in die üppigen Landschaften an der ungarischen Donau hinab, um dort den Bewohnern der „goldenen“ Insel Schütt und anderer ungarischen „Paradiese“ bei der Weizenernte zu helfen. So wandern die Thalbewohner verschiedener Alpendistricte aus ähnlichen Gründen und zu ähnlichen Zwecken in die üppige Po-Ebene hinab. Eben so helfen in Spanien die kräftigen, aber armen Bewohner der Gebirge Galiciens ihren castilischen und portugiesischen Nachbarn an den Niederungen der Flüsse. Und aus Irland ziehen die armen celtischen Torfhüttenbewohner alljährlich über’s Meer nach und von Schottland hinüber und herüber, um sich in den reichen Lowlands die Tasche zu füllen.

Auch bei uns in Deutschland haben die Contraste der Natur- und Bodenverhältnisse in verschiedenen Provinzen unter unsern sonst so sehr an dem Boden klebenden Bauern solche Bewegungen erzeugt, die nun schon seit Jahrhunderten Jahr aus Jahr ein so regelmäßig wiederkehren, wie die Schwalben- und Kranichzüge.

Eine der bedeutendsten Wanderungen dieser Art bringt der Gegensatz zwischen den armseligen Haide-Districten und den fetten, ihnen anliegenden Marschländern des nordwestlichen Deutschlands zu Wege. In den wundervollen Triften von Holland und Friesland sproßt in jedem Frühling eine solche Fülle von schönen Gräsern und Wiesenkräutern und darnach im Sommer ein solcher Segen von Raps, Flachs, Weizen und Roggen auf, daß die einheimischen Knechte der reichen „Mynheers“ nicht Alles rechtzeitig und schnell genug einheimsen können. Seit uralten Zeiten haben ihnen daher die Bewohner der deutschen Haiden ihre Arme geboten. Diese, die nicht an das üppige Leben der Marschleute gewöhnt sind, können sich in ihren Dörfern während des an Feiertagen reichen Winters billiger durchbringen, und vermögen daher ihre Dienste für eine geringere Entschädigung zu leisten, als die Knechte, welche die Marschenherren sich in ihrem eigenen Lande zuziehen könnten.

Es ist daraus das in einem großen Theile von Nordwestdeutschland bekannte sogenannte „ Hollands-Gehen “ entstanden. Dasselbe ist in der ganzen Osnabrück’schen Gegend, im nördlichen Westphalen, in der südlichen Hälfte des Herzogthums Oldenburg, in den Grafschaften Hoya und Verden, überhaupt vorzugsweise in allen Landschaften auf der linken Seite der Weser zur Sitte und zu einem eigenthümlichen Erwerbszweige geworden. Es setzt sich aber mit Variationen, wie die Haidestriche selbst, auch noch in’s Innere der Niederlande fort. Auch dort hilft natürlich wieder der einheimische Haidebewohner seinem reichen Nachbar in den Marschen und concurrirt mit den fremden Arbeitern aus Deutschland.

In den Dörfern aller der bezeichneten Striche thun sich im Frühjahr die arbeitslustigen Männer, die noch kein eigenes Besitzthum haben, die jüngeren Söhne der Bauern zusammen und beginnen ihre friedlichen Razzias in das lockende Niederland. Auch kleine Eigenthümer, schon besitzliche und verheirathete Leute schließen sich ihnen wohl an. Denn da in den Marschen andere Culturen herrschen und die Haupternten früher fallen, als auf den Haiden, so können sie, nachdem sie ihre dürftigen Roggen- und Buchweizenfeldchen bestellt haben, die Hütung derselben während des Sommers ihren Frauen und Kindern überlassen und dann noch rechtzeitig zur späten Ernte in der Heimath zurück sein.

Weil das guldenreiche Holland seit alten Zeilen ihr vornehmstes Ziel war, nennt man diese Leute gemeiniglich „Hollandsgänger“,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_519.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)