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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

gestiftet werden, nur diese wurden den Schützen zum Preise ausgesetzt und alle Einlagen darauf (der Schuß kostete 10 Sgr.) ohne Abzug bestimmt, zum Bau eines Dampfkanonenbootes für die Nordsee dem preußischen Marineministerium überwiesen zu werden; sie gewährte einen Ertrag von fast 153 Thalern. Aus den vier Ehrenscheiben wurden Festgaben und Geldgewinne ausgeschossen, auf den übrigen Scheiben nur Geldgewinne. Ein Theil der Ehrengaben war zu besonderen Prämien für die bestimmt, welche jeden Tag und während des ganzen Festes die vier höchsten Summen von Treffern erlangt hatten. Das Schießen aus freier Hand war bei der Vertheilung der Festgaben begünstigt.

Die Schießordnung war etwas complicirt. Denn man hatte das Aufgelegtschießen neben dem Freihandschießen zugelassen und bei einzelnen Ständen auch das Diopter und jedes besondere Hülfsmittel ausgeschlossen, es sollte hier vollkommen feld- und jägermäßig geschossen werden. Zum Schießen aus freier Hand wurde Schießen „frei mit erhobenem Arm“ erfordert. Wer auf die Ehrenscheiben schießen wollte, mußte erst einmal Schwarz getroffen haben, auf die Freihandscheiben aus freier Hand, auf die Scheiben für’s Auflegen mit Auflegen; wer dann noch drei Mal aus freier Hand oder sechs Mal mit Auflegen Schwarz getroffen hatte, der durfte noch für jede 3 oder 6 Treffer einen Schuß auf die Ehrenscheiben für die freie Hand oder für’s Auflegen lösen. Für jede 100 Schuß waren 25 bis 30 Gewinne, je nach der Güte der Schüsse, ausgesetzt; die Güte der Schüsse wurde durch Schußmesser und Meßcirkel von besonders erfundener Construction – Erfindungen des einen Mitgliedes des Schießcomités, Helfricht in Gotha – ermittelt. Die obere Aufsicht in der Schießhütte war zwei Personen anvertraut, für jeden einzelnen Schießstand besonders besorgte ein Ordner die Aufsicht nebst dem Ausmessen der Schüsse und der Bestimmung und Austheilung der Gewinne, lauter mühevolle, die höchste Aufopferung erfordernde Aemter! Das Schießamt befand sich in der Mitte zwischen den Ständen für 400 und für 250 Fuß, hier war der Sitz des Schießcomités und von hier aus wurde mit der Zielermannschaft durch eine Correspondenzanstalt eigener Construction schriftlich verkehrt. Die Zieler standen unter der Oberfläche bei den Scheiben, die Gräben für diese waren gegen 8 Fuß tief, hinter den Scheiben Erdaufwürfe, durch Pfähle und Breter gestützt, zur Sicherung der Zieler gegen das Zurückprallen der Kugeln dicht mit Reisig bedeckt; von jedem Schießstande führte ein besonderer Klingelzug zur Scheibe; um eine Verwechselung der Scheiben von den einzelnen Schießständen aus zu vermeiden, waren Reihen von Lärchbäumchen angebracht.

Diese Einrichtungen haben sich im Ganzen bewährt, es ist kein Geringes, daß sich bei so vielem Schießen nicht das mindeste Unglück zugetragen hat. Die „Correspondenzanstalt“ freilich verweigerte einige Male ihren Dienst, weil die Stricke, an denen die Depeschen befördert wurden, durch die Regen vor dem Feste beschädigt worden waren und erneuert werden mußten; und es entstanden dadurch, sowie durch das Zerschießen einiger Klingeln mehrere Pausen. Auch erforderte das Ausmessen der Schüsse für so viele Scheiben, trotz der Einfachheit der Werkzeuge, ein zu großes Personal und eine Aufmerksamkeit, welche nicht leicht längere Zeit ausdauert.

Nachdem wir so die Feststadt und den Festraum beschrieben haben, können wir unsern Einzug halten. Wir mögen kommen, woher es auch sei, an jeder Hauptstraße werden wir von Mitgliedern des Festausschusses, von Schützen und Turnern, von Zielern in rothen Röcken und Mützen feierlich empfangen und begrüßt; am Bahnhof erwartet uns ein Musikchor, auf den Straßen empfangen uns wehende Tücher und froher Zuruf, auf dem Rathhause – da geht es am Vortage (dem 7. Juli) bei dem plötzlichen Zusammenströmen so vieler Gäste bunt her, aber jeder erhält sein Plätzchen! – holen wir unseren Quartierzettel, Zieler begleiten uns zu unseren Wirthen. Ueberall herzlicher Empfang. Wir entledigen uns des Staubs der Reise und eilen auf den Schießplatz, das Terrain zu recognosciren. Noch ist der letzte Hammerschlag an der Schießhütte und sonst hier und da nicht geschehen, denn Regentage haben die Arbeit aufgehalten. Wir begegnen dem Herzog Ernst, der die Arbeiten selbst noch einmal besichtigt; er hat in den letzten Tagen fortwährend mit den Ausschußmitgliedern gewirkt, sein praktischer Blick, sein Geschmack haben dem Feste großen Nutzen gebracht. Wir wandern an den geschmückten Hallen und Häusern hin. Wir betreten eine Restauration – man hat wacker für uns gesorgt – wir treffen andere Gäste, jeden Augenblick vermehrt sich ihre Zahl, hier begrüßt der Pfälzer den Holsteiner, dort der Nürnberger den Rheinländer, da ruft uns selbst ein alter Freund aus der Ferne an; Concertmusik rauscht nach uns herüber, aber wir hören nicht viel davon, weil die Menge fortwährend wächst. Ein dünner Regen treibt uns in die Häuser hinein, schnell vergeht der Abend. Ein müder Nachbar erinnert uns, daß wir nach Hause gehen müssen, denn morgen früh 7 Uhr sollen wir uns zum Festzug versammeln. Wir finden’s probat, denn wir wollen ihn nicht versäumen.

Und wir haben ihn mitgemacht, diesen Festzug! Keiner von uns, darin waren Alle einig – hat jemals einen so schönen Zug gesehen, so gewaltige Eindrücke mit hinweggenommen. Er bildete den Glanzpunkt des Festes und wirkte noch durch die ganze Dauer desselben.

Um 6 Uhr am 8. Juli weckte uns die Reveille, die durch die Stadt zog. Wir begaben uns um 7 Uhr auf den Marktplatz, schon trafen wir eine dichtgedrängte Zuschauermasse, wir stellten uns auf dem uns bestimmten Platze auf. Halb 8 Uhr zogen die Turner heran, ihre Fahnen von Jungfrauen in weißen Kleidern mit rosarothen Schärpen umgeben, gegen 8 Uhr die Festreiterei. Gleich nach 8 Uhr war die Aufstellung vollendet, der Bürgermeister Hünersdorf hielt vom Rathhause aus eine Anrede an die „deutschen Festgenossen“, hieß sie willkommen, sprach den Wunsch aus, das Fest möge das deutsche Nationalgefühl stärken und der Wehrkräftigkeit immer neuen Aufschwung geben, und schloß mit einem Hoch auf Deutschland. Dann erscholl vom höchsten Punkte des Hauptmarkts herab des Festordners Assessor Ewald II. weithin vernehmliches „Vorwärts marsch!“ Der Zug setzte sich unter lautem Hurrah in Gang, alle Glocken der Stadt läuteten, Kanonen donnerten vom Galgenberge und vom Schießplatze, eine unabsehbare Menschenmenge wogte und summte durch einander, alle Fenster, zum Theil die Dächer waren mit Zuschauern besetzt; man glaubt, die Zahl aller Anwesenden, Festtheilnehmer und Zuschauer, habe sich in Folge der Menge der Fremden und des Zuzugs aus der ganzen Umgend auf 2O,000 belaufen, obwohl Gotha nur 16,000 Einwohner hat. Die Zahl der Schützen im Zuge betrug gegen 800, die der Turner gegen 500; gegen 80 Fahnen wurden im Zuge getragen.

Und so, unter beständigem Kanonendonner und Glockengeläute, durch die dicht geschaarten Menschen bewegte sich der Zug sicher dahin, feierlich friedlich, ohne die mindeste Störung, als könnte es gar nicht anders sein. Voran der Festordner mit schwarz-roth-goldner Schärpe hoch zu Rosse, zwei Festreiter zur Seite, dann die Festreiterei, 50 Reiter, alle mit weiß-grünen Schärpen, alle stattlich beritten, ein Musikcorps, eine Abtheilung Communalgardeschützen, der Vorstand des Turnvereins von Gotha, die roth-weiße Fahne des thüringer Turnerbunds, von einem Turner getragen und umgeben von einer aus Turnern bestehenden Abtheilung der Feuerwehr von Gotha in Dienstkleidung, die Deputationen auswärtiger Turnvereine mit Fahnen und Schildern, unter Anschluß der auswärtigen Turner, die Fahne der Turner Gotha’s, umgeben von der Fechtriege, eine Anzahl weißgekleideter Jungfrauen, von den Zugführern der Turner umgeben, die Turner von Gotha, eine Anzahl Studenten, denen ein Trinkhorn vorausgetragen wurde. Ein zweites Musikcorps eröffnete den Zug der Schützen, voran gingen ihre Zieler in rothen Jacken und Mützen, Zielerstäbe, Scheiben und Zielerfahnen tragend, mit Pfeifern; es folgten die Deputationen auswärtiger Schützenvereine mit Fahnen und Büchsen, die auswärtigen Schützen, der Schützenmeister und zweite Vorsitzende des Festausschusses, Sterzing, und der Bürgermeister, drei Knaben in Pagentracht von rothem Sammet, mit Humpen und Pokalen, der Schützenkönig von Gotha im Ornat – einem schweren Gehänge von silbernen Schildern – der Vorstand der Altschützengesellschaft, die Schützen derselben mit ihrer Fahne. Ein drittes Musikcorps reihte sich daran, dem die Männergesangvereine Gotha’s mit ihren Fahnen und Abzeichen und alle Festtheilnehmer, die nicht zugleich Schützen waren, folgten. Eine Abtheilung Communalgardeschützen bildete den Schluß. Zwischen den einzelnen Abtheilungen des Zugs schritten Zugführer mit weiß-grünen Binden und Stäben, alle Fahnen der Turner und Schützen waren von weißgekleideten Mädchen begleitet, die theils schwarz-roth-goldene, theils roth-weiße Schärpen trugen.

Ein wunderbares Schauspiel bot dieser Zug mit seinem bunten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_526.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)