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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Freundlichkeit des alten Frost, der er so gern genug gethan hätte, wenn er nur gekonnt hätte!

Er hatte den Eisenbahnwagen bestiegen, war in die Nähe des Geschäftshauses gelangt und hatte dieses erreicht, ohne sich dessen nur recht selbst bewußt zu sein, und erst als er beim Eintritt in die Office einige bereits wartende Geschäfte zu erledigen fand, raffte er sich zum Bewußtsein der nächsten Gegenwart auf. Er hatte eben seinen Platz im Cassenzimmer wieder eingenommen und wollte sich auf’s Neue seinen Gedanken überlassen, als sich die Thür langsam öffnete und des Kupferschmieds Gesicht sich vorsichtig hereinbog. „Ausgezeichnet, daß Sie allein sind, Professor!“ rief dieser halblaut und schlüpfte in’s Zimmer; „müssen übrigens hier verdammt gut angeschrieben stehen; die Herren da vorn haben mich mit einer Artigkeit hereingewiesen, die ich kaum einem von ihnen zugetraut hätte.“

Reichardt, welchem in seiner gedrückten Stimmung der bekannte Ton wie eine Herzstärkung an’s Ohr schlug, erhob sich lächelnd und zog einen Stuhl herbei. „Etwas Neues, Meißner?“ fragte er. „Weiß nicht, was Ihnen von meinen Neuigkeiten noch neu ist,“ erwiderte Jener, sich niederlassend, „hätte mich ihrethalber auch nicht hier herauf gewagt, wie der Kranich unter die Pfauen; ich komme wegen etwas Anderem, wegen des alten Mr. Black, den die Freude wieder ganz auf die Beine bringt, freilich nicht so geschwind, als er gestern umfiel. Es war mein Erstes heute Morgen, als ich nicht mehr bei der Teufelsgeschichte nothwendig war, nach seinem Hause zu gehen – ruhig wieder in’s Geschäft zu gehen, hatte ich, ehrlich gestanden, noch keinen rechten Muth – schenkte dem Doctor klaren Wein ein, und der gab dem alten Manne tropfenweise so viel davon, als er auf einmal vertragen konnte, und ich sage Ihnen, schon die erste Portion brachte ihn zu richtigen klaren Sinnen zurück – zuletzt aber saß er mit gefalteten Händen da, und die Thränen liefen ihm hell über die Runzeln, und –“ der Erzähler unterbrach sich mit einer Grimasse und schlug mit der Faust auf sein Knie, „das Wasser trat mir beinahe selber in die Augen, denn so was hätte ich mein Lebtag nicht bei ihm zu sehen erwartet, – ich hörte dann aus ein paar Worten, daß es all sein Erspartes gewesen, was auf dem Spiele stand, und daß er sich, wenn das Geschäft gut ausgefallen, damit hätte zur Ruhe setzen wollen. Well, ich mußte hinter dem Bett hervor und erzählen; er wollte wissen, wie es mit Johnson’s stände – ich hatte wohl etwas munkeln hören, mochte’s aber nicht sagen, und dann mußte ich ihm versprechen, Sie zu ihm zu bringen, sobald Sie abkommen könnten – es schien ihm viel daran zu liegen, daß Sie kämen. Zuletzt gab er mir noch einen Auftrag an William Johnson, und jetzt hatte ich doch wenigstens einen Grund für mein Ausbleiben. Als ich in die Office trete, geht William Johnson mit langen Schritten auf und ab, während die andern Beiden mit trübseligen Gesichtern an den Pulten sitzen. „Da ist er!“ ruft der Aelteste und kommt auf mich zu, als wolle er mich verschlingen.

„Wo sind Sie im Geschäft, Sir?“ schreit er. – „Im Geschäft von Johnson and Son, Sir!“ sage ich ruhig. – „Und wenn Sie eine Entdeckung machen, so theilen Sie diese andern Häusern auf Kosten Ihrer Principale mit? “ – „Wenn Einer von den Herren Johnsons in der Office oder auch nur anderwärts zu finden gewesen wäre,“ sage ich, „so hätte ich ihnen meine Meldung gemacht, ich habe lange genug nach den Herren suchen lassen. Mr. Black wußte nichts von seinen Sinnen, und so hielt ich es für das Beste, meinen Freund Reichardt im Geschäft von Augustus Frost um Rath zu fragen. Der Brief war im Uebrigen nicht an Johnson and Son gerichtet, sondern an den alten Mr. Black, der ganz zufrieden mit dem ist, was ich gethan.“ – „Ah, Reichardt! dieser Mensch schon wieder! nun ist mir Alles erklärlich!“ sagt er, es war aber ein richtiges Zischen, mit dem er es von sich gab, und daneben habe ich selten noch so viel Haß in einem Auge gesehen – weiß der Herrgott, was er gegen Sie haben mag; „well, Sir,“ sagte er weiter, „so mögen Sie sich auch von dem Mr. Reichardt für die Zukunft beschäftigen lassen!““

„Und wenn ich es nicht thue, so werde ich jedenfalls ein Unterkommen für Sie schaffen, mit dem Sie zufrieden sein sollen,“ unterbrach ihn Reichardt, der mit reger Theilnahme der Erzählung gefolgt war, „was Frost’s für mich nicht mehr thun können, das sollen sie an Ihnen thun, und ich weiß, daß mir der alte Gentleman unter den obwaltenden Umständen meine letzte Bitte nicht abschlagen wird!“

„Das ist wenigstens einmal ein Wort, das dem Herzen wohlthut,“ erwiderte Meißner, dem Andern die breite Hand hinhaltend, „ich denke indessen in keine Verlegenheit zu gerathen. Der alte Mr. Frost muß sich wohl selbst abgefingert haben, was mir passiren könne, denn er sagte mir, als er mich heute Morgen wegschickte, wenn ich Unannehmlichkeiten haben sollte, möchte ich mich nur bei ihm melden. Aber –“ unterbrach er sich, „was sprechen Sie denn da von Ihrer letzten Bitte und so weiter? Sie werden doch um Gotteswillen nicht Ihre Mücken von gestern Abend noch im Kopfe haben?“

„Es steht genau noch so wie gestern Abend, Meißner!“ versetzte Reichardt, das Auge auf sein Pult senkend und mit der Feder Striche auf dem vor ihm liegenden Papier ziehend.

„Aber sie werden Sie nicht gehen lassen!“ rief der Kupferschmied. seine Stimme dämpfend, eifrig. „Ich habe diese Nacht hier und da ein paar Worte zwischen dem alten und jungen Herrn fallen hören, die Ihnen, denke ich, von selbst die Tollheiten austreiben werden!“

„Ist Alles schon durchgesprochen,“ erwiderte der Andere, mit einem trüben Lächeln den Kopf hebend, „ich soll Cassirer werden – aber ich kann nicht, Meißner, und werde heute Abend austreten.“

Der Kupferschmied sah dem Freunde zwei Secunden schweigend in’s Gesicht. „Nun, so gehen Sie denn –! Heiliges Gewitter!“ rief er wie in ausbrechendem Unmuthe. „Adieu!“ setzte er plötzlich hinzu und erhob sich rasch, um das Zimmer zu verlassen.

„Ich weiß noch nicht, wo Mr. Black wohnt, Meißner!“ sagte Reichardt.

Der Andere unterbrach wie nur widerwillig seine Bewegung. „Glaub’ kaum, daß es dem Alten jetzt noch viel Freude machen würde, Sie zu sehen!“ sagte er, sich nur halb zurückwendend, „aber sagen Sie mir, wo ich Sie heute Abend treffen soll.“

„Nicht heute Abend, aber morgen früh will ich Sie bis zehn Uhr in meinem Boardinghause erwarten.“

Der Kupferschmied nickte verdrießlich und schritt ohne jedes weitere Wort hinaus. Reichardt sah ihm einen Moment nach und wandte dann den Kopf mit einem tiefen Athemzuge seinem Pulte zu; nur wenige Minuten aber hing er jetzt seinen Gedanken nach, dann raffte er sich plötzlich auf und begann eine sorgfältige Ordnung aller geschäftlichen Papiere vorzunehmen; zuletzt griff er nach einer am Tage zuvor unbeendigt gebliebenen Arbeit und hatte bald in der Vollendung derselben seine ganze Aufmerksamkeit concentrirt.

Erst als die Zeit des Geschäftsschlusses herankam, erhob er sich wieder, überblickte noch einmal prüfend das Zimmer, stellte jeden Stuhl gerade und verließ dann sichern Schritts die Office.

Eine Viertelstunde später zog er an Frost’s Hause die Klingel – er war entschlossen, seinen Abschied möglichst kurz, wenn auch mit herzlichen Worten abzumachen, bei seiner Abreise von New-York aber sich ohne Rückhalt schriftlich gegen John auszusprechen, und in voller Fassung öffnete er jetzt die Thür nach dem Vorderzimmer.

Von einem der Divans erhob sich Harriet bei seinem Eintritt und legte das Buch, mit welchem sie beschäftigt gewesen zu sein schien, bei Seite; aus ihrem Blicke aber, mit welchem sie ihn begrüßte, meinte Reichardt fast einen Wiederschein ihres frühern kecken Muthwillens sich entgegen blitzen zu sehen. Es war ihm unangenehm, das letzte schwere Geschäft, zu dem er einmal vorbereitet war, nicht ohne Verzug abmachen zu können. „Ich dachte Mr. Frost hier zu treffen –“ sagte er.

„Und sind sicherlich ganz glücklich. Sir, mich an seiner Stelle zu finden,“ lachte sie, „nehmen Sie Platz – oder,“ fuhr sie fort, sein Zögern bemerkend, „darf ich Ihnen vielleicht selbst einen Stuhl herbeiholen?“

Er war genöthigt, ihren Arm zu fassen, um sie von der wirklichen Ausführung ihres Anerbietens zurückzuhalten. „Quälen Sie mich jetzt nicht, Miß Harriet,“ bat er, „und sagen Sie mir, ob ich Mr. Frost sprechen kann!“

Ihr Lachen verschwand. „Haben Sie wirklich vorher nicht eine Viertelstunde für mich, Sir? “ fragte sie, und Reichardt glaubte es fast wie Vorwurf in ihrem Auge zittern zu sehen. „Sie wollen Frost’s verlassen – ich habe kein Urtheil über Ihre Beweggründe; aber bin ich Ihnen denn so unangenehm, daß Sie mir vor Ihrem Gehen nicht zwei Worte gönnen mögen?“

„O Miß, wie falsch verstehen Sie mich!“ rief er in einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_530.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)