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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Anfluge von Verlegenheit. „Mr. Frost hatte mich genau zur jetzigen Zeit hierher bestellt –! “

Very well, so sind wir schon mit einander in Ordnung,“ unterbrach sie ihn, und ein leises Lächeln trat in ihr Gesicht, „Mr. Frost wird nicht vor einer halben Stunde hier sein, Sie mögen also ruhig Platz nehmen und sich eine Viertelstunde mit mir langweilen!“ Sie hatte sich wieder bequem in den Divan niedergelassen, ihr Buch wie ein Spielzeug zwischen die Finger nehmend, während der junge Mann nothgedrungen nach einem Stuhle griff. Nachdem er sich niedergelassen, trat eine Pause ein, welche er in seiner jetzigen Stimmung am wenigsten auszufüllen vermocht hätte.

„Lassen Sie mich Ihnen gleich eine Erklärung geben, Sir,“ begann endlich das Mädchen, als wolle sie einen lästigen Zwang von sich werfen, während ein leichtes Roth in ihr Gesicht stieg; „ich wäre Ihnen nicht entgegen getreten, wie ich es gethan, wenn Sie ein anderer Mann wären, als der Sie sind, und wenn ich Ihnen jetzt von Grund meines Herzens für das, was Sie mir schrieben, danke, so erwidern Sie kein Wort darauf, aber geben Sie mir Ihre Hand und sagen Sie mir, daß Sie Harriet Burton’s Freund geblieben sind.“

„Miß Harriet,“ versetzte er, eigenthümlich von ihrem weich gewordenen Tone angeregt ihre Hand ergreifend, „war es denn etwas Anderes als die wärmste Dankbarkeit und Freundschaft, was mich zum Schreiben drängte? und warum soll ich Ihnen dieselben Gefühle nicht stets bewahrt haben?“

„Gut, Sir, und so lassen Sie es zwischen uns bleiben.“ erwiderte sie groß in sein Auge sehend und seinen Händedruck leise erwidernd, „ich denke, Harriet wird jetzt anfangen kalt und vernünftig zu werden, wie andere anständige Leute. – Aber,“ fuhr sie wie von einem andern Gedanken berührt fort, „sind Sie nicht verwundert über meine Vergnügungsreise nach dem Norden, fast mitten im Winter? – und doch,“ setzte sie, seine Antwort unterbrechend, hinzu, „sind Sie die recht eigentliche Ursache davon. – Warten Sie,“ unterbrach sie ihn auf’s Neue, „die Angelegenheit, in die Sie so tief eingeweiht gewesen, interessirt Sie jedenfalls, wenn ich sie auch nur mit wenigen Worten andeute. – Sie haben es wohl längst errathen,“ fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, „daß Ihr ganzes Unglück in unserer Stadt nur durch die Machinationen von Curry und Young hervorgerufen worden war; nach Ihrer Abreise nun entstand eine Art Rückschlag in der öffentlichen Meinung, die Meisten schämten sich dessen, was geschehen; mehr aber als gegen Curry richtete sich der stille Unwille gegen Young, dessen thätige Theilnahme zur Aufreizung des Mob bekannt war; Curry wurde wegen seines Schwarzen als der Beschädigte mehr entschuldigt. In unser Haus kam Keiner von ihnen meines Wissens mehr, sie mochten vermuthen, daß ich im Besitz von wenigstens einem Theile ihres Geheimnisses war, und ich hatte Ruhe. Da kündigt plötzlich Young seinen Bankerott an, und zugleich durchläuft eine Sage die Stadt, daß er den Pastor Curry eines entsetzlichen Verbrechens angeklagt habe; der Pastor aber, als er habe festgenommen werden sollen, sei verschwunden gewesen und habe einen Brief hinterlassen, worin er Alles ableugne und die ganze Beschuldigung Young’s nur als einen Versuch, von ihm Geld zu erpressen, hinstelle. Young aber ließ seine Schwester vernehmen; Bob, der frühere schwarze Kirchendiener, ward, obgleich er schon bald nach dem Mob nach einer Farm im Lande geschickt worden war, herbeigeschafft, und Curry durch die Zeitungen verfolgt – seine eigene Gemeinde hatte eine Belohnung auf seine Habhaftwerdung ausgesetzt. Da – an demselben Tage, an welchem die Beschreibung seiner Person erschienen war, hatte ich noch spät Abends am Piano gesessen und versucht, die Melodie des deutschen Liedes, welches Sie bei uns gesungen, mir wieder in’s Gedächtniß zurückzurufen, und gehe im Mondlichte, das durch die Treppenfenster schien, nach dem obern Corridor hinauf, um nach meinem Zimmer zu kommen – da höre ich plötzlich ein leichtes Geräusch an der Thür, die zum Balkon führt, und herein tritt lautlosen Schritts eine Gestalt – ich erkannte sie auf den ersten Blick – es war Curry. Leise schleicht er bis zu der Thür von Mrs. Burton’s Zimmer und klopft zweimal in eigenthümlicher Weise – er war wohl nicht erwartet worden, denn er mußte eine lange Weile harren, eine Weile, in der ich glaubte, das Pochen meines Herzens, müsse mich verrathen; endlich aber nach einem dritten Klopfen öffnet sich das Zimmer, und er schlüpfte hinein.

„Ich stand noch eine geraume Zeit, die Hand gegen das Herz gedrückt, rath- und thatlos,“ fuhr die Erzählerin nach einem tiefen Athemzuge fort. „Ich hätte meinen Vater wecken sollen, aber ich hätte es nicht über mich gewonnen, selbst ihm eine Nachricht, die ich kaum hätte in Worte fassen können und deren Folgen ich nicht abzusehen vermochte, zu hinterbringen; ich war so unentschlossen und zaghaft, wie noch selten in meinem Leben, und schlich endlich leise nach meinem Zimmer. Aber ich schlief die ganze Nacht nicht, und wenn ja einmal ein halber Schlummer über mich kommen wollte, schreckte mich das leiseste, zufällige Geräusch wieder auf.

Ich war am Morgen sicher, daß Curry noch im Hause war. Beim Frühstück meldete eine unserer Schwarzen, daß Mrs. Burton wegen Unwohlsein ihr Zimmer nicht verlassen möge; Vater war an dergleichen Launen längst gewöhnt und nickte nur still mit dem Kopfe – ich aber erkannte schnell den Stand der Dinge, und eine unsägliche Unruhe über das, was mir zu thun obliege, überkam mich.

Soweit ich meinen Vater kannte, wußte ich, daß ein öffentlicher Eclat ihm seinen Frieden für lange Zeit nehmen mußte, daß er bei Entdeckung des Geschehenen seine Frau wohl zu irgend einem stillen Uebereinkommen zwingen, sich aber schwerlich öffentlich von ihr trennen werde; daneben aber fühlte ich auch, daß meinerseits ein ferneres Zusammenleben mit dieser Frau völlig unmöglich war. Ich hatte zwei Tage zuvor Briefe von Margaret und John erhalten, und als sich mir jetzt die Nothwendigkeit aufdrang, für die Zukunft nach irgend einem Halte außerhalb des väterlichen Hauses zu suchen, war ich mir auch über mein nächstes Handeln bald genug klar. Ich verbrachte fast den ganzen Morgen damit, meinen Vater schriftlich von dem Nöthigen zu unterrichten und den Schritt, welchen ich zu thun Willens war, zu rechtfertigen. Als er aber Nachmittags wie gewöhnlich nach der Farm ritt, packte ich meinen Koffer, ließ die kleine Kutsche anspannen und mich zu einer Freundin zwei Meilen von der Stadt fahren, wo der Postwagen passiren mußte. Meinen Brief hatte ich auf Vaters Schreibtisch, auffällig in’s Auge springend, zurückgelassen – und jetzt bin ich hier, um,“ setzte sie mit einem halben Seufzer hinzu, „wahrscheinlich das väterliche Haus und den schönen Süden sobald nicht wieder zu sehen. Was während meiner Reise dort vorgegangen ist, soll ich erst noch erfahren. – So!“ begann sie von Neuem, als wolle sie einen aufsteigenden trüben Gedanken von sich schütteln, „indessen ist das Alles noch nicht die Hauptsache, die ich Ihnen mittheilen und in der ich Ihre Ansicht als Freund hören möchte: Sie sind der einzige Unparteiische, zu dem ich jetzt sprechen kann: Sie verlassen heute schon das Haus, und so darf ich mich Ihnen um so eher anvertrauen.“ Sie machte, die Augen niederschlagend, eine kurze Pause, als wisse sie nicht recht, wie mit ihrer weitern Mittheilung zu beginnen. „John sagt,“ fuhr sie endlich fort, die Blätter des Buchs in ihrer Hand durch die Finger laufen lassend, „Sie seien sein bester Freund – hat er Ihnen etwas in Bezug auf mich vertraut?“ Nur einen Moment schlug sie das Auge zu ihm auf und ließ es dann wieder sinken.

„Er hat zu mir von seiner innigen Verehrung für Sie gesprochen, Miß.“ erwiderte Reichardt, welcher jetzt erst den Zweck des herbeigeführten Gesprächs zu errathen glaubte, „er hat auch wohl die Hoffnung, seinen schönsten Wunsch erfüllt zu sehen, geäußert – “

„Und was würden Sie mir rathen?“ unterbrach sie ihn, noch immer ohne aufzusehen.

„Ich soll Ihnen dabei rathen?“ rief Reichardt überrascht, „haben Sie denn nicht den besten Rathgeber an Ihrem eigenen Herzen? “

Sie blickte rasch, mit einem eigenthümlichen Lächeln zu ihm auf. „Und warum folgen Sie nicht Ihrem Herzen, Sir, wenn der Rathgeber so untrüglich ist?“

Der junge Mann verfärbte sich leicht. „Ich verstehe Sie nicht, Miß!“ sagte er nach einer augenblicklichen Pause.

„O, meinen Sie wirklich auch gegen mich den Geheimnißvollen spielen zu können?“ erwiderte sie. „Betrügen Sie sich selbst und die ganze Welt,“ fuhr sie, sich plötzlich erhebend, fort, während ein wunderbarer Glanz in ihr Auge trat, „Harriet Burton aber betrügen Sie nicht, Sir, und Harriet will Sie glücklich wissen! Ich darf Ihnen Eins sagen, und ich will es,“ fuhr sie erregt fort, ihre Hand leicht an den Arm des sich erhebenden Deutschen legend, „John ist noch der einzige Mann auf dieser Erde, den ich mir jetzt in näherer Verbindung mit mir denken könnte;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_531.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)