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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Kaiser im Exil.

Von Schmidt-Weißenfels.

In den Hauptstraßen der Neu- und Altstadt der schönen alten Königsstadt Prag sieht man, mit Ausnahme der Sommerzeit, fast täglich gegen Mittag einen reich verzierten Wagen, von herrlichen Rossen langsam dahin gezogen. Der Kutscher, in grotesker Livree, in Schuhen und weißen Strümpfen, kurzen Sammethosen, gelbem Rock und mit riesigem Dreimaster auf dem gepuderten Haupt, thront in seiner Majestät hoch oben auf dem Sitz. Niemand befindet sich im Innern des Wagens; aber unweit davon, auf dem Trottoir, bemerkt man einen stattlichen Diener in derselben Livree, wie sie der Kutscher trägt, und zweien Herren in einfach bürgerlicher Kleidung – augenscheinlich den Besitzern der Karosse – in langsamem Tempo und mit der üblichen vornehmen Lakaienmiene folgend. Rechts und links grüßen die Vorübergehenden respektvoll einen von diesen beiden Herren; es ist ein kleiner Greis – der Kaiser Ferdinand I. von Oesterreich. Sein Begleiter ist einer der Kammerherren, die zugleich seine Wächter abgeben.

Ferdinand I., obwohl jetzt 68 Jahr alt und von jeher schwächlich an Körper wie an Geist, ist doch in seinen Bewegungen noch keinesweges als hinfällig zu bezeichnen. Rastlose Arbeit in der Jugend bildete die Keime seiner Kränklichkeit aus, und als er 1835 Kaiser wurde, war er geistig und körperlich so leidend, daß man seine Auflösung in Bälde voraussetzte. Aber er erholte sich mit den Jahren mehr und mehr, und viel mag dazu beigetragen haben, daß er seit seiner Thronbesteigung wenig mehr als die Form der Regierung repräsentirte und alle Geschäfte in vormärzlicher Zeit, so gemüthlich wie man eben damals verwaltete anstatt zu regieren, von einem Regentschaftsrath erledigt wurden, der aus Erzherzog Ludwig, Fürst Metternich und Graf Kolowrat bestand.

Des alten Kaisers Kopf zeigt den echten sogenannten Ferdinandeischen Typus auf: eine große hervorspringende Stirn, ein nach dem Kinn fast zugespitztes Gesicht, halbaufgeworfene Lippen und eine lange gerade Nase ohne Schönheitslinie. Wie träumend, immer vor sich hinsehend und doch niemals den scheuen matten Blick auf Etwas haften lassend, geht der kleine alte Herr willig wie ein Kind, und sichtlich auch wie ein solches geleitet, an der Seite oder am Arme seines Kammerherrn, der mit ihm plaudert und dem er wie mechanisch antwortet. Hier und da, namentlich an den Schaufenstern von Delikatessenhandlungen, bleibt der Kaiser stehen und so lange, bis sein Begleiter ihn wieder fortzieht, selbst oft wider des Kaisers Willen. Ferdinand I. hat nicht einmal als Privatmann im Exil die Freiheit, zu thun und zu lassen, was er will. Er ist immer noch der Kaiser, über dem der Kammerherr steht, der seine Instructionen hat. So wandert er ein Stündchen durch die Straßen der Stadt, mit einer Mitleid erregenden automatischen Behendigkeit fast unaufhörlich seinen Cylinderhut von dem mit spärlichem Silberhaar bedeckten Haupt ziehend, mehr aus Instinct als durch den Blick vergewissert, daß man ihn grüße. Viele kennen ihn nicht, beachten ihn nicht in seiner unscheinbaren, schlichten Erscheinung, und Wunder konnte es nicht nehmen, daß einmal ein nach Prag verschlagener Natursohn der Pußta, der erfuhr, daß der Kaiser da spazieren gehe, ehrfurchtsvoll den großen Lakaien in urwüchsigem Loyalitätsgefühl anfiel, weil er diesen wegen seiner Gravität und seines bunten Aufputzes für die Majestät hielt. Ein anderer Sohn des stolzen Magyarenvolkes bewies seine Verehrung für den „König“ zwar der rechten Person, aber ebenfalls so urwüchsig, daß er Fiasco machte. Als er den Kaiser kommen sah, zog er flugs auf offener belebter Straße seine Attila aus und breitete sie auf dem Straßenpflaster aus, indem er dabei dem stutzenden und scheu sich abwendenden „König“ leuchtenden Auges seine Eljón zurief. Die guten Prager, der Kaiser selbst und auch sein Kammerherr hielten den Magyaren für toll, und die herzukommende Polizei brachte ihn bei Seite. Erst hier demonstrirte der Ungar, daß er seinem Könige die höchste Verehrung nach der Sitte seines Volkes dargebracht, indem er ihn bat, über seine hingelegte Attila zu schreiten.

Der Hradschin ist der Ort, wo Ferdinand I. die Residenz seines Exils genommen.

Wer kennt sie nicht, diese Harad, diese stolze Burgstadt der einstigen Könige von Böhmen? Wer hätte nicht den Hradschin Prags rühmen gehört? Vom Ufer der breiten Moldau, welche die Stadt in zwei Hälften theilt, erhebt sich amphitheatralisch auf einem jener Berge, welche die Moldau begleiten, der alte, palast- und klosterreiche Stadttheil der Kleinseite, die Stirn gekrönt mit der wundervollen Fronte der tausendfenstrigen Burg, der Harad Otakar’s, an deren Ecken noch die alten Wachthürme hervorspringen. Der Hradschin giebt Prag jene imposante architektonische Wand, welche, in Verbindung mit dem Berggürtel und dem schön geschwungenen Strom des Flusses, den Anblick der böhmischen Hauptstadt zu einem der entzückendsten macht, so daß ihr Humboldt den dritten Platz unter den am herrlichsten gelegenen Städten des Continents zuerkannte. Vom Hradschin selbst schwelgt das Auge in der Pracht des Städtebilds der hundertthürmigen Praga, die weithin sich ausbreitet in die Ebene, umkränzt von den „Minarets der Christenheit“, den Dampfschloten der Industrie.

Die Burg sieht in ihrer steinernen Majestät auf diese alten Paläste und Kirchen, sprechende Zeugen einer versunkenen Vladikenzeit. In der alten Harad residirte einst das Geschlecht Otakar’s; hier fand 1618 der Fenstersturz statt, der den Anfang des dreißigjährigen Krieges machte, dessen Ende das reiche Böhmen als eine Wüste fand, getränkt mit dem Blut der alten Czechengeschlechter und der Protestanten, die der habsburgische Kaiser ausrottete, weil sein zusammengeheirathet Land zu klein war, um Einen Gott auf zwei Weisen anzubeten. Oede und verlassen stand dann diese Burg Jahrhunderte lang – kein König thronte dort mehr. Erst in neuester Zeit zog wieder ein Fürst hier ein, ein alter, vom Throne herabgenöthigter, ein Exil suchender Kaiser: Ferdinand I., der seither letzte gekrönte König von Böheim und von Hungarn.

Es hat ihn wohl gekränkt, den alten Mann, daß der Sturm des Revolutionsjahres 1848 ihn vom Throne wegfegte, um einem jungen Herrscher, der selber die Zügel des zum Abgrund eilenden Reiches führen konnte, Platz zu machen. Ferdinand I. liebte Wien und liebte es trotz der Ereignisse des Jahres 1848 – es brachte ihm Thränen in die Augen, als er nach der Thronentsagung aus Wien fort mußte, um es nie wieder zu sehen. Ein Kind an Gemüth, bedauerte er, all diese schöne Herrlichkeit des Herrscherdaseins aufgeben zu müssen, diese gewohnte Pietät Aller vor seiner Person, die lärmenden oder ihn sonst wie erheiternden Ehrenbezeigungen, welche die Beschäftigung seiner Monarchenstellung vornehmlich gebildet, fortan nun entbehren zu sollen. So viel es geht, hält er denn auch noch heute auf diese Ovationen, die man ihm als regierendem Kaiser gebracht; er will noch heut als Kaiser respectirt werden, trotzdem er nicht mehr regiert, und geschieht irgend Etwas nicht nach seiner jeweiligen Laune, so bricht seine Empfindlichkeit darüber oft drastisch genug durch. Geht er in der Stadt, wie gewöhnlich, wenn er in Prag ist, spazieren, so ist sein Vergnügen, sich gegrüßt zu sehen und wieder zu grüßen, an der Hauptwache vorbeizugehen, um sich zu vergewissern, daß die Truppen ihm noch die schuldigen Honneurs machen. Seine Freude an Militärmusik wirb ihm so oft wie möglich bereitet. Wenn er aus der Burg geht oder nach Hause kommt, schlägt der Tambour den Wirbel, und die Wache macht die Ehrenbezeigungen. Allmorgentlich spielt eine Musikbande unter seinem Fenster. An seinem Geburtstag wird ein großer Zapfenstreich geschlagen und durch die Soldaten ihm ein Fackelzug gebracht. Dies Alles sind die Erheiterungen, die der alte Kaiser nicht entbehren kann.

Sein übriges Leben verfließt regelmäßig unter der Beschäftigung mit seinen Lieblingsneigungen. Ferdinand I. ist ein leidenschaftlicher Blumenfreund und ein Botaniker von wirklicher Bedeutung. Es scheint, als wenn Metternich, der sich selbst viel darauf einbildete, ein Naturforscher zu sein, und der die Jugend des Thronfolgers leitete, ihm diese Passion eingeflößt habe. Jeden Morgen besucht der alte Herr den Garten im Hirschgraben bei der Burg und unterhält sich eine Stunde lang eifrig mit den Blumen, bis ihn der Kammerdiener zur Promenade führt oder zum „Arbeiten“, worunter einige Verträge über sein Hauswesen, über Almosen und dergleichen begriffen sind. Sein Mittagsmahl ist von regelmäßiger Einfachheit und besteht aus fünf Speisen. Gewöhnlich haben seine Kammerherren ihm gern oder ungern gesehene Gäste dazu gebeten, wie den Cardinal Schwarzenberg, der Nachbar des Kaisers ist, Domherren, Stiftsdamen etc.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_535.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)