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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und weder Handel noch Gewerbe blühen in der Mutterstadt, die das junge silberreiche und deshalb geadelte Cerro lang überflügelt hat. Auch ein paar Haciendas sahen wir unterwegs, aber die Eigenthümer derselben müssen sich auf dieser Höhe einzig und allein auf die Viehzucht beschränken, denn allen Feldfrüchten sind die Nachtreife, die hier das ganze Jahr eintreten, stets verderblich. Auf dieser Höhe kann natürlich weder Sommer noch Winter einen Einfluß haben, und wenn die Sonne auch im Sommer, wo sie über Kopf steht, am Tag etwas wärmer scheinen mag und etwas mehr Schnee von den Gebirgen wegfrißt, so bleibt die Luft doch immer kalt und dünn, und die Nächte sind immer dem Frost und Reif preisgegeben.

Einen wundervollen Anblick hatten wir aber auf dieser Hochebene, denn als sich gegen Mittag der auf den Flächen lagernde Nebel hob, sah ich das herrlichste Panorama von Schneegebirgen um mich her, das sich auf der Welt denken läßt. Diese schneebedeckten Kuppen schienen allerdings von dort aus, wo wir uns befanden, nicht übermäßig hoch – lag doch die Ebene selber wenigstens 14000 Fuß über der Meeresfläche –! aber wie ein weißer zackiger Gürtel spannten sie sich um uns her, oft tüchtige Hörner in die Wolken reckend, um deren scharfgerissene Spitzen dünne, schleierartige Nebel hingen. Thätige Vulcane schienen übrigens nicht darunter zu sein, wenigstens konnte ich nirgends die dunklen Rauchsäulen erkennen, die in Ecuador so manches Schneegefilde überhängen.

Die Pampa bildet hier solcher Art einen von mächtigen Hängen eingeschlossenen Kessel, der ebenfalls eine mehrere Leguas im Umfang haltende Lagune trägt. Alle die Wasser aber, die hier entspringen, nähren schon den Amazonenstrom und fließen in ihm dem atlantischen Meere zu. Diese Lagune weit zur Rechten lassend, zieht sich der Weg, während die Stadt Pasco ebenfalls an dem rechten Hügelhang liegen bleibt, mehr nach links hinüber, und etwa um drei Uhr Nachmittags erreichten wir die Minenstadt Cerro de Pasco.



Das erste deutsche Schützenfest.
(Schluß.)

Eine Zeit lang schien es, als könnte aus diesen Verhandlungen über die Stellung beim Schießen ein Zwiespalt entspringen, der alte Hader zwischen Norden und Süden! Es bedurfte manches Zusprechens, um das heiße Blut der scheinbar Zurückgesetzten zu besänftigen; der Herzog selbst war eifrig bemüht, jeden Einzelnen zur Unterordnung zu bestimmen. Es wurde durch ihn und den Ausschuß vorgeschlagen, einzelne Stände zum Schießen mit Einstemmen einzuräumen, auch Festgaben dafür auszusetzen. Aber die Süddeutschen setzten eine Ehre gerade in die Concurrenz und wollten von besonderen Ständen nichts wissen. Es stand immer noch kritisch. Da erhob sich bei der Festtafel Berthold Auerbach und sprach in seiner zugleich sinnigen und markigen Art Worte voll Nachdruck und Eindruck. Er verglich zuerst Schriftsteller und Schützen in ihren Mitteln, der Feder und der Büchse von Stahl, und in dem Wege, auf welchem sie ihre Ziele erreichen, dem vielmaligen Drucke, dessen die Schriftsteller, dem einen Drucke, dessen der Schütze bedürfe. Dann forderte er für beide das rechte eine Ziel. Ob eingestemmt oder mit freiem Arm, das gelte gleichviel, der treffe in’s Schwarze, der sich füge und unterordne. Hätten die Süddeutschen sich um einer solchen Bagatelle willen ausgeschlossen, so hätten sie das „deutsch“ aus ihrem Namen streichen sollen. Das sei des Uebels Kern: „tausend Wege und keine Bahn, tausend Meinungen und kein Gehorsam!“ Gewaltig war die Wirkung dieser Worte, überall klangen sie an und hallten sie nach, nicht blos bei der Festtafel, wo nach diesem Redner kein andrer aufzutreten wagte, sondern in der Schießhütte, auf dem ganzen Festplatze, wo Einer dem Andern davon mittheilte. Der Schriftsteller hatte in’s Schwarze getroffen! Nur einzelne Wenige entfernten sich, bei weitem die Meisten blieben und fügten sich, und Manchem gelang es auch so, wie er nicht gewohnt war zu schießen, eine Festgabe zu erringen,

Jeden Vormittag vertheilte der Herzog selbst die als Prämien ausgesetzten Festgaben an diejenigen, die an den vorausgegangenen Tagen die meisten Treffer erlangt hatten. Fröhlich ging es dabei her. Denn von mehreren Seiten war für diesen Zweck ein Festtrunk geliefert worden, feine Biere von Culmbach und Gotha, vorzügliche Weine von Schweinfurt, von Hallgarten im Rheingau (vom Gute des alten Itzstein – der Geber, Dr. Eisenlohr, empfing ein dankendes Telegramm), von Pfälzer und von Wormser Schützen. Der glückliche Gewinner mußte seine Eroberung hoch empor halten über die dicht um den Gabentempel gedrängten Zuschauer und wurde mit Zuruf begrüßt, die vertheilten Becher empfingen ihre Weihe im Festwein, einen Pokal Liebfrauenmilch leerte der Herzog auf das Wohl der Stadt (Worms), wo solcher Wein gedeihe. Wie erwähnt, waren auch denen Festgaben ausgesetzt, die während des ganzen Festes am meisten in’s Schwarze getroffen hatten; diese Gaben, sowie die für die vier Hauptscheiben und die Scheibe „deutsche Flotte“ bestimmten Ehrengaben wurden am Abend des letzten Tags, gleichfalls vom Herzog persönlich, den Gewinnern eingehändigt. Unermüdlich hielt dieser dabei bis in die späte Nacht aus.[1] Der Wein floß auch da noch in Strömen. – Einige Schützen trugen fast Berge von Gewinnen davon, und wir hörten darüber manche Klage, daß die Schießordnung dies nicht genug verhindert und damit den „Brodschützen“ zu große Vortheile eingeräumt habe. Als die sichersten und eifrigsten Schützen mit freier Hand bewährten sich de Leuw aus Arnheim und Keil aus Sondershausen ohne Diopter (jener schoß auch da ohne Diopter, wo dasselbe gestattet war), und Dorner aus Nürnberg mit Diopter. Beim Aufgelegtschießen that sich ein Schütze – wenn ich nicht irre, Kummer aus Dresden – dadurch hervor, daß er, nachdem er die Büchse aufgelegt und gezielt hatte, seinen Hut darüber deckte, dann noch eine Zeit wartete und, ohne visiren zu können, abschoß, aber fast regelmäßig in’s Schwarze traf, ein Kunststück, das fast wie eine Satire auf das Schießen mit Auflegen gedeutet werden könnte. Die Glücklichen, welche die besten Schüsse auf die vier Hauptscheiben hatten, waren Trump aus Stutzhaus bei Gotha und de Leuw aus Arnheim aus freier Hand, und Reinhard aus Frankfurt a. M. und Koch aus Kiel mit Auflegen.

Wir nannten es ein nicht allen Wünschen entsprechendes Resultat, daß so wenig aus freier Hand und ohne Hülfsmittel geschossen wurde; denn das ist doch ohne Zweifel die allein wahre Kunst zu schießen, die keiner äußeren Hülfsmittel, keiner besonders construirten Büchse bedarf, um zu treffen, die auch im freien Felde zu jeder Zeit angewandt werden kann. Aber freilich, es war ein erstes deutsches Schützenfest, erst von ihm wird sich eine neue Periode der deutschen Schießkunst datiren, erst wenn über der Schützengilde der Schützenbund steht, wenn die Gilde damit aus dem engen Kreise ihres Herkommens in das fortschreitende Leben der Gegenwart eintritt, erst dann wird die Schießkunst den Wünschen und Anforderungen der Gegenwart genügen.

Indessen wir legen auf das Wettschießen und seine Erfolge nicht zu großen Werth, obgleich es den Mittelpunkt und eigentlichen Zweck des Festes bildete; es kommt auch auf den rechten Hintergrund an. Wir haben der „Schießteufel“ und „Brodschützen“ gedacht; das öffentliche Kampfspiel für sich, ohne das Vorwiegen der nationalen Idee, hat nur die Bedeutung einer Kunstproduction,


  1. Es sei hier eines spaßhaften Quidproquo gedacht. Eine Schützengesellschaft, ich denke die von Fulda, hatte zwei silberne Trinkbecher mit vier Flaschen Johannisberger zur Ehrengabe gestiftet. Der Wein konnte natürlich im Gabentempel nicht aufgestellt werden, ohne zu verderben, aber symbolisch wollte man ihn doch unter den Geschenken paradiren lassen, der Wein kam also, wo er hin gehört, in den Keller, und an seine Stelle traten vier mit Wasser gefüllte, aber wohl versiegelte und stattlich mit Etiquette versehene Flaschen. In der Eile der Preisvertheilung am letzten Abend fiel es aber Niemandem ein, an diesen Tausch zu denken, und der Schütze nahm richtig seine vier Flaschen Johannisberger-Wasser in Empfang und mit nach Hause. Das Schicksal wollte nun, daß der glückliche Schütze hier ein anderes glückliches Ereigniß, eine Kindtaufe nämlich, zu feiern hatte. Die Gäste sind geladen, der Johannisberger soll die Krone des Festes bilden, gespannt ist die Erwartung. Da, o Schrecken, entströmt den schönen Flaschen ein Stoff, den keine Zungenprobe, keine Analyse anders nennen kann als reines Wasser!
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_539.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)