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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 35.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Schluß.)

Bei diesem Bedenken Reichardt’s wurde der junge Frost, die Augen fest auf das Gesicht des Sprechenden gerichtet, einen Schatten blässer und neigte nur zustimmend den Kopf. „Sie wissen,“ fuhr Reichardt vor sich niedersetzend fort, „daß ich letzten Sommer Ihre Schwester Margaret und Harriet Burton in Saratoga traf, und daß Harriet, die mein Geigen zum Tanz ein Niggergeschäft nannte, mich als Organisten nach Tennessee schickte. Ich hatte mit Margaret damals nur wenige Worte gewechselt, und doch waren sie hinreichend gewesen, mir das ganze Herz zu öffnen, als habe ich sie schon längst gekannt, als stehe ich auf durchaus gleicher Stufe mit ihr, und während mir Harriet trotz des engen Beisammenlebens in ihrer Heimath, trotz des Dankes, welchen ich ihr schuldete, innerlich völlig fremd blieb, war Margaret meine stete und liebste Erinnerung, mein Denken im Wachen und im Traume. – Sie wissen, wie ich in Ihr Geschäft kam,“ fuhr der Redende nach einem tiefen, halbunterdrückten Athemzuge fort, „entsinnen sich des ersten Abends, an welchem ich Ihrer Schwester wieder Aug’ in Auge gegenüberstand – nun, John!“ unterbrach er sich, entschlossen den Blick hebend, „an diesem Abende kam plötzlich die Erkenntniß über mich, daß ich eine Leidenschaft unbewußt in mir groß gezogen hatte, die, so sehr sie mich auch oft beseligt, mich doch jetzt um so elender machen mußte; ich war der jüngste Clerk im Geschäfte, hatte dazu meine Stellung nur Mr. Frost’s Wohlwollen zu danken, und auch die leiseste Hoffnung für meine Herzenswünsche erschien mir Wahnsinn. Sie wissen, wie ich an diesem Abende Ihr Haus verließ, und das war der Anfang eines Kampfes gegen mich selbst, den ich redlich mit allen meinen Kräften durchfocht, der mich aber wohl aufgerieben hätte, wenn ich nicht als einzige Rettung zu dem Entschluß gekommen wäre, New-York zu verlassen. Da haben Sie Alles, was Ihnen räthselhaft erschienen sein mag!“

„Und nun?“ rief John, in dessen gespanntem Blicke ein ganz neues, verändertes Leben zu blitzen begann.

„Ich weiß kaum selbst, was ich Ihnen weiter sagen soll,“ erwiderte Reichardt, von Neuem das Auge senkend, „Harriet hatte mich errathen, überrumpelte mich und nahm mir das Wort ab zu bleiben –!“

„Das ist wirklich so?“ fragte der Andere, als wage er der Gewißheit noch nicht vollen Raum zu geben. „Und doch –“ brach er dann plötzlich aus, „ich glaube Ihnen, Reichardt, ich bin ein Esel gewesen, geben Sie mir einen Kuß!“ Beide Arme schlang er um den überraschten Deutschen und zog diesen dann mit sich auf die bereitstehenden Stühle nieder. „Ich sage Ihnen, Mann, Sie haben mit Ihren Worten einen glücklichen Menschen gemacht,“ fuhr er erregt fort, „einen doppelt glücklichen, und ich will’s Ihnen verzeihen, daß Sie mich, und sich selbst so lange auf die Folterbank gespannt haben; es ist einmal so, wo die Mädchen in’s Spiel kommen, wird auch der Klügste zum Narren! Machen Sie Ihre Sache mit Margaret fertig – ich verstehe jetzt Vieles, was mir auch an ihr unverständlich war – und nach Allem, was bis jetzt geschehen, denke ich kaum, daß Vater einen großen Schrecken über die Geschichte bekommen wird. Daß ich mich aber einen Esel nannte – well, Sir! ich war bis heute noch nicht völlig über Ihre Beziehungen zu Harriet klar; als sie hier eintraf, wollten Sie plötzlich weg; heute Morgen erfahre ich, daß ein Brief von ihrem Vater angekommen ist– wann, weiß ich nicht – der sie wieder nach Hause ruft, und eben so plötzlich entschließen Sie sich wieder zu bleiben; ich habe mich gewehrt gegen die aufsteigenden Gedanken und konnte doch nicht davon loskommen – weg damit! Sie werden mich aber besser verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Harriet morgen in ihre Heimath zu begleiten und nicht ohne sie wieder zurückzukehren gedenke!“

„Und was treibt sie so schnell wieder weg?“ fragte Reichardt, in dessen Innerm es bei John’s Ergießung klarer, wolkenloser Frühlingshimmel geworden war.

„Familiengeschichten, Teufelsgeschichten!“ erwiderte der Andere, „Mrs. Burton hat kopfüber das Haus verlassen und ist abgereist, so viel ich verstehe, und Harriet soll ihren Vater nicht allein lassen. – Aber jetzt kommen Sie, um irgendwo einen Imbiß zu nehmen,“ rief er aufspringend, „ich habe noch so viel Geschäfte, daß ich nicht zum Essen nach Haus gehen kann, und Sie schenken mir die Zeit, die Sie noch haben. Heute Abend werden Sie natürlich, um von Harriet Abschied zu nehmen, in unserm Hause sein.“

Als Beide den Broadway erreichten, holten sie den alten Frost ein. „Fertig mit Johnson?“ fragte John, ihn aufhaltend.

„Ich glaube, wirklich fertig, und wir werden ihn schwerlich wieder in unserm Hause sehen!“ entgegnete der Angeredete. „Er scheint so wenig an eine wohlmeinende Ermahnung gewöhnt zu sein oder eine Verpflichtung zum Dank anerkennen zu können, daß ich ihm den Stand der Dinge völlig habe klar machen müssen, und erst, als er sich schriftlich gebunden, die Hälfte der ihm werdenden Versicherungssumme zu Black’s Einlage in sein Geschäft zu schlagen, habe ich seine Forderung bewilligt. Sein Geschäft verliert nichts bei dem Arrangement, Black aber erhält dadurch die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_545.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)