Seite:Die Gartenlaube (1861) 556.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und ehe der Hahn noch einen Ton von sich gegeben hatte, wälzte er sich bereits in seinem Blute.

Ein Stimmgewirr ohne Ende folgte dem Knall des Schusses, welcher donnernd von dem Berge zurückklang. Die Hühner waren mäuschenstill, aber alle Regenpfeifer und Strandläufer zeigten durch ihr lautes und wiederholtes Geschrei deutlich genug, wie unangenehm sie aus ihren Nachtträumen erweckt worden waren; aus einem nicht fernen Teiche hob sich mit harten Flügelschlägen eine Entenschaar, dem starken Geräusch nach zu schließen, ein Flug von Trauerenten, welche eben jetzt an die Paarung gedachten, und mit lärmendem „Schack, Schack“ rauschten Wachholder-Drosseln durch das Gebüsch.

Das Huhn wurde aufgenommen, und die Jagd ging weiter. Schon nach wenigen hundert Schritten ließ der Alte wieder seine verführerischen Lockungen hören, und diesmal antworteten anstatt eines Hahnes deren zwei. Ganz wie vorhin wurde der Hitzigste von ihnen herbeigezaubert. Jetzt aber gönnte ich mir die Freude der Beobachtung.

Am entgegengesetzten Rande des Schneefelds fiel der stolze Vogel ein, betrat dort leichten Gangs das Schneefeld und lief gerade auf uns zu. Es war hell genug, um ihn schon in der Ferne deutlich wahrzunehmen. Aber der liebesrasende Gesell dachte gar nicht an Gefahr und kam näher und näher, bis auf wenige Schritte an uns heran. Das Spiel halb erhoben, die Fittiche zu beiden Seiten gesenkt, daß sie fast den Schnee berührten, den Kopf niedergebogen: so lief er vorwärts. Plötzlich schien er sich zu verwundern, daß die Lockungen geendet hatten, und nunmehr begann er seinerseits sehnsüchtig zu rufen. Mehrmals warf er in ganz eigenthümlicher Weise den Kopf nach hinten, und tief aus dem Innersten der Brust heraus klangen, dumpfen Kehllauten vergleichbar, abgesetzte Rufe, welche man ungefähr durch die Sylben „gabâuh, gabâu“ ausdrücken könnte. Die Norweger übersetzen sie mit den Sorten: „Hvor er hun?“ zu deutsch: „Wo ist sie? Wo ist sie?“

Und der Alte war wirklich so frech, mit seiner Menschenstimme zu antworten, den Hahn glauben zu machen, daß das Weiblein, die ersehnte Braut, sich blos im Gebüsch versteckt habe. Leiser und schmachtender als je, rief er wiederholt in der vorhin angegebenen Weise, und eilfertig rannte der Hahn mit tief gesenktem Kopf und Flügel herbei, dicht an uns heran und buchstäblich über unsere Beine weg; denn wir lagen natürlich der Länge lang auf dem Schnee. Doch jetzt mochte er seinen Irrthum wohl eingesehen haben, er stand plötzlich auf, stiebte davon und rief allen übrigen Mitbewerbern ein warnendes, leises Knurren zu. Jetzt mochte Erik locken, wie er wollte, die zahlreich versammelten Hähne zeigten blos Bedenken; kein einziger aber ließ das laut schallende Err – reck – eck – eck wieder vernehmen.

Doch wir zogen weiter und verhielten uns auf eine Strecke von mehreren Minuten hin ganz ruhig, bis unser Alter glaubte, daß wir in das Gebiet noch ungestörter Hähne eingetreten wären. Dort wurde die Jagd fortgesetzt, und ich erlegte nach den ersten Lockungen einen zweiten Morasthahn und nach wenigen Minuten bereits den dritten. Nunmehr aber schienen die Thiere gewitzigt worden zu sein; es war vorbei mit der Jagd, nicht aber auch mit der Beobachtung. Denn zu meiner Freude bemerkte ich, daß fortan die Weibchen, welche sich bisher ganz unsichtbar gemacht hatten, die Warnungen übernahmen, um ihre Liebhaber von dem Verderben abzuhalten. Aus diesem Umstande, den ich später durch vielfache Beobachtungen bestätigt fand, glaube ich schließen zu dürfen, daß der Herr Gemahl eines Morastschneehuhns sich zuweilen Artigkeiten gegen andere Schönen seines Geschlechts erlaubt, welche sich mit dem Begriff einer wohlgeordneten Ehe nicht recht vertragen; auch der alte Erik versicherte mir, daß die erlegten Hähne keineswegs blos ungepaarte, noch nach einer Gattin seufzende, sondern die Herren Ehegemahle wären, welche zu Ehren des schönen Geschlechts hier einen Kampf zu bestehen oder vielleicht gar der Minne süßen Lohn sich zu erwerben gedächten.

Unsere Jagd hatte doch einige Stunden gedauert, Mitternacht war vorüber, der neue Tag graute bereits im Nordost. Der Kukuk ließ sich wieder vernehmen, das Blaukehlchen brachte noch träumerisch seine ersten Klänge dem Morgen dar, im tiefen Sumpf wurde es lebendig, und die klangvollen Stimmen der Strandläufer mischten sich öfter als in der Nacht mit dem fast schwermüthigen Rufe des Goldregenpfeifers oder des Morinells, welcher mehr in der Höhe seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Wir wendeten uns heimwärts und störten unterwegs noch viele, viele Paare des Morasthuhns auf. Denn sicherlich hatten auf dem kleinen Gebiete, welches wir durchwanderten, 50 bis 60 Paare Herberge genommen. Doch sie waren alle viel zu scheu geworden, als daß sie uns hätten nahe genug kommen lassen, um einen Schuß auf sie abzufeuern; nur eine Ente versah es und wurde unsere Beute. Aber wir waren auch so zufrieden mit unsern drei Schneehähnen, daß wir uns gar kein größeres Jagdglück wünschten.

Wir schliefen bis gegen Mittag, merkten aber gar bald an dem bleiernen Dahinschleichen der Zeit, daß unsere Sehnsucht nach dieser reizenden Jagd durch das gestrige Glück nur noch vergrößert worden war. Kaum konnten wir die Nacht wieder erwarten, und trotz des feinen Sprühregens, der eisigkalt vom Himmel fiel, gingen wir mit dem zehnten Glockenschlag wieder hinaus, und diese, und die folgende, und die dritte und jede Nacht, welche wir auf dem Dovre-Fjeld zubrachten, und später noch viele andere. Da habe ich denn den merkwürdigen Vogel genau genug kennen gelernt und kann nun schon aus eigener Anschauung die Beschreibung von ihm geben, welche ich nach dieser Schilderung meinen Lesern schuldig zu sein glaube.

Das Morastschneehuhn ist ein schönes, großes Thier, welches ungefähr zwischen Birk- und Rebhuhn in der Mitte steht. Seine Länge beträgt 15, die Breite 24 Zoll. Je nach der Jahreszeit ist es verschieden gefärbt. Im Winter ist es bis auf den schwarzen Schnabel und Schwanz, sowie einige bräunliche Federsäume an den Flügeln und den hochrothen, prachtvollen Augenkamm, blendendweiß, im Sommer dagegen bunt, wie der Morast selber. Schon Mitte Aprils zeigen sich am Kopfe die dunkleren braunen Sommerfedern; Anfangs Mai ist bereits der Rücken gescheckt; im Juni vollendet sich die Mauser, und im Juli endlich trägt das Thier sein volles Sommerkleid. Die Federn sind kastanienbraun und an der Spitze dunkel gebändert; auf dem Rücken sind sie gewöhnlich lichter gesäumt, doch wird dieser Saum nach kurzer Zeit abgestreift, und dann sieht die ganze Oberseite gleichmäßig rothbraun aus; aber die Farbe wird durch viele schwarze Punkte und Strichelchen unterbrochen; die Schwungfedern bleiben immer weiß, die äußern Schwanzfedern immer schwarz. Gleichzeitig mit der dunkeln Befiederung der Vorderseite hebt und röthet sich beim Männchen der Brauenkamm, welcher ja bekanntlich auch bei unserem Birkhahn während der Balze anschwillt. Die Hennen sind den Hähnen immer voraus, wenigstens in der Sommermauser; sie tragen bereits das volle Sommerkleid, während jene noch ganz buntscheckig sind. Aber trotzdem wissen sich auch die Männchen vortrefflich zu verstecken. Ihr Kleid ähnelt auch im Uebergange dem Gelände selbst mit den von der Schneeschmelze noch übrig gelassenen Schneehäufchen und Schneefeldern, und sie, wie alle Hühner, verstehen die Kunst meisterhaft, Oertlickkeiten aufzusuchen, welche der Gleichfarbigkeit mit ihrem Gefieder wegen sie decken und schützen. Man kann recht eigentlich sagen, daß dieses Thier das Kleid sich beständig nach der Heimath paßt; es wird bunt mir dem Frühjahr und weiß mit dem Winter, wie die Landschaft selber. Wenn die Schneehühner ihr Sommerleben durchgelebt, wenn sie ihre Liebeskämpfe ausgefochten und die zahlreiche Brut groß gezogen haben, schecken sie sich wieder, wie im Frühjahr; aber nun kommt zunächst die weiße Farbe zum Vorschein und zwar eher an dem übrigen Körper, als am Kopfe. Fällt dann plötzlich Schnee, so sieht man die klugen Thiere eifrig beschäftigt, sich die dunklen Federn auszurupfen, und Eines hilft dabei dem Andern. Da liegen an einer Lagerstelle oft die dunklen verrätherischen Federn des Sommers massenweise; so versicherte mich wenigstens mein alter naturkundiger und von mir oft erprobter Jäger; denn ich selbst konnte die Morasthühner eben blos im Frühjahr und Sommer beobachten.

Das Morasthuhn ist ein ganz reizendes Geschöpf in allen seinen Bewegungen. Sein Flug ist sehr leicht und schön; er ähnelt dem des Birkwildes, nicht dem der Rebhühner, und zeichnet sich besonders dadurch aus, daß das Huhn auf ganze Strecken hin schwebt. Gegen das Ende hin, also kurz vor dem Einfallen. stößt das Männchen regelmäßig sein lautschallendes „Err-reck-eck-eck-eck“ aus; das Weibchen fliegt immer stumm. Der Lauf ist überaus gewandt. Das Thier versteht es ebenso meisterhaft, über die trügerische Moosdecke, als über den frischen Schnee

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_556.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)