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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Der General reichte ihn, die Hand und sagte: „Sie tragen keine Cocarde?“

Das blasse Gesicht des Soldaten färbte sich purpurn.

„Nehmen Sie meine Cocarde – erweisen Sie mir die Ehre! Ich bin stolz darauf, sie Ihnen geben zu dürfen, stolz, wenn Sie sie nehmen.“

„Achtung! – Schultert das Gewehr! – Präsentirt das Gewehr! – Ihre Cameraden präsentiren vor Ihnen – das ist eine Ehre – denn Ihre Cameraden sind brave Männer – aber Sie sind der bravste!“

Ein Strom von Thränen drang aus den Augen des verwundeten Kriegers – kein Auge blieb thränenleer.

„Achtung! – Schultert das Gewehr!“

„Leute, ich habe Euerem Cameraden Unrecht gethan, habe ihn einen Lurbaß genannt. Er ist kein Lurbaß, sondern stehende Ordonnanz bei dem Commando der Avantgarde und nicht mehr in der zweiten Classe, sondern in der ersten Classe des Soldatenstandes. Nicht wahr, Jäger?“

„Ja, Herr General!“

„Oeffnet den Kreis! – Rechts und Links um! Marsch! Halt!“

Der General faßte Johannsen unterm Arm und zog ihn ins Zimmer, wo ein gedeckter Frühstückstisch bereit stand. Die Officiere des Stabes tranken das Wohl des ehrlichen schleswig-holsteinischen Bauerjungen, der glühend vor freudiger Aufregung dem Wiederhersteller seiner Ehre die Hand reichte. - -



Zehn Jahre später begegnete mir auf einer einsamen Wanderung am Missourifluß ein zum Skelet zusammengefallener Mensch. Er schleppte sich mühsam weiter in der brennenden Sonnenhitze, in dem giftigen Boden des Waldes. Bestürzt über sein geisterhaftes Aussehen bot ich dem Kranken meine Hülfe an – es war Matthias Johannsen! Ob er mich erkannte? – ich weiß es nicht. Dankend nahm er meine Hülfe an. Ich erquickte ihn durch einen frischen Trunk und eilte nach der nächsten Farm, um einen Wagen zu holen. Als ich zurückkehrte, war der Kranke geheilt! Er lag neben einer umgestürzten Eiche, die Hände über die Brust geschlagen; – auf dem zerrissenen Hemde saß die schleswig-holsteinische Cocarde!

Ich habe ihn begraben in fremder Erde und das Gewehr präsentirt, als der Sarg in die Gruft gesenkt wurde. Wohl ihm!

– sein Herz hat ausgeblutet. Sein Leib ruht in freier Erde!




Das deutsche Sängerfest in Nürnberg.

Nürnberg! Nürnberg! Das war das Losungswort, welches unlängst die Herzen vieler tausend Sänger wunderbar erregte.

Im Osten begann es bereits zu dämmern, als wir zwischen Vierzehnheiligen und Banz hindurch fuhren. Das ehemalige reiche Stift Banz blickte wie trauernd über all die geschwundene Herrlichkeit in das reizende Mainthal hernieder. Drüben im Kloster Vierzehnheiligen herrscht noch immer reges Leben, und wer weiß, ob nicht die von dorther tönende Frühmettenglocke schon jetzt wieder gläubige Wallfahrer zur Eile antrieb.

Mit der prächtig aufgehenden Sonne wurde das schöne Bamberg erreicht, und der Jubel, der uns hier empfing, ermunterte auch die hartnäckigsten Schläfer. Ueber Nacht waren die Sänger aus dem Frankenlande und aus Frankfurt a. M. in gewaltiger Menge hier eingetroffen, um sich unserm Zuge anzuschließen. Das bunte Durcheinander auf Bambergs Bahnhofe bot ein köstliches Bild. Die ganz oder theilweise geopferte Nacht war rasch vergessen; hier und da wurde schon wieder ein Gesang angestimmt, und voller Herzlichkeit begrüßten sich die aus Nord und West hier zusammentreffenden Sänger. Die balsamische Morgenluft hatte Herz und Gemüth urplötzlich wieder frisch gemacht. Jeder Einzelne fühlte sich stolz gehoben, wenn er auf den mächtigen Zug von Sangesbrüdern blickte, die voll herrlicher Zuversicht kaum den Augenblick erwarten konnten, der sie dem herzlich ersehnten Ziele nun so bald zubringen sollte.

Je näher wir Nürnberg kamen, desto ruhiger und ernster wurden Alle. Seit Monden war dies ja der Brennpunkt unsrer innigsten Wünsche gewesen, wir hatten geträumt und geschwärmt von dem Augenblicke, wo wir Nürnberg erreichen würden, und jetzt klopften die Herzen schneller, denn dort erhoben sich die wunderbaren Thürme der ersehnten Stadt, und über ihr thronte die alte, mächtige Burg. Einzelne, weit von der Stadt abgelegene Häuser winkten uns schon mit ihrem festlichen Schmuck die ersten Grüße zu. Ein wirklich zauberhafter Anblick bot sich uns jedoch dar, als wir in den Bahnhof einfuhren. Die lange Halle schien in einen schwebenden Blumengarten verwandelt, denn von der Bedachung herab hingen zahllose Guirlanden und Kränze, welche wieder prächtige Blumenampeln trugen. Dazwischen und an den Wänden aber war ein so reicher und doch so geschmackvoller Schmuck von Flaggen und Wappen angebracht, daß man kaum wußte, wohin das entzückte Auge sich zuerst wenden solle. Da war das Wappen keines deutschen Landes vergessen, denn alle Länder sandten ja Sänger hierher, und mächtig wehte das erhabene schwarz-roth-goldene Banner darüber und dazwischen, wie in gemeinsamer Liebe Alles vereinigend zu einem einzigen, mächtigen Stamme.

Ein tausendfaches Hoch tönte uns entgegen, als der kolossale Wagenzug hier endlich hielt, und ein begeistertes Hoch erklang als Gegengruß. So manchem Auge entquoll eine Freudenthräne, wenn man all die Hände sah, die sich uns zum brüderlichen Empfang entgegenstreckten. Man empfing uns nicht als Fremde, deren Wohnort hundert und mehr Meilen weit entfernt lag; nein, man empfing uns wie alte, treue Freunde, wie Brüder.

Am Bahnhofe bot sich uns ein überraschendes Bild dar. Gegen dreihundert Bürger der Stadt hatten sich erboten, die fremden Sänger hinein zum Rathhause zu geleiten, und jedem dieser sich aufopfernden Männer war ein auf hohem Stabe befindliches, mit Bändern und Kränzen geschmücktes Schild zugetheilt, welches den Namen einer der Städte zeigte, von woher man laut der eingegangenen Anmeldungen Sänger erwartete. Die Masse dieser dicht neben einander aufgestellten Schilder bildete jetzt gleichsam eine große, bewegliche Städtekarte des gesammten deutschen Reiches. Aber auch fremdländische Namen waren hier zu finden, z. B. London, Constantinopel, Hermannstadt u. s. w., denn von da aus waren wenigstens Deputationen der dortigen deutschen Männergesangvereine angemeldet.

Nach herzlicher Erwiderung des unerwartet treuherzigen Empfanges hatten sich die mit uns angelangten Sänger um ihre rasch enthüllten Fahnen und Banner geschaart, und so traten wir unsern langersehnten Einzug in die herrliche Stadt unter klingendem Spiele und in stattlicher Zahl an. Das alte Frauenthor empfing uns in wahrhaft poetischer Weise, denn über dessen äußerem Eingange war folgender Spruch angebracht:

Von ihrer Zinnen Höhen, von ihrer Thürme Kranz
Begrüßt die Stadt, die alte, des heut'gen Tages Glanz;
Der Feste sah sie viele, ein solches nimmermehr:
Zieh ein in ihre Mauern, du fröhliches Sängerheer!

Und als wir das altehrwürdige Thor durchschritten, welch ein überraschender Anblick bot sich da uns plötzlich dar! Das alte, königliche Nürnberg strahlte im herrlichsten Festschmucke. Auf den Straßen wogte die Menge auf und ab, und die dicht mit jubelnden Menschen besetzten Fenster waren von Blumenguirlanden umgeben oder mit Tannen- und Eichenkränzen geziert, und von allen Dächern wehten gewaltige blau-weiße und schwarz-roth-goldene Flaggen, die fast bis auf die Straße herabreichten.

Du armes, so lange verfolgtes und verpöntes schwarz-roth-goldenes Banner, dessen Farben sich einst Achtung gebietend über einen halben Welttheil verbreiteten, hier also durftest Du endlich wieder einmal frisch und frei wehen über den Söhnen des gemeinsamen Vaterlandes! Mit Freuden mußte man dies als ein Zeichen begrüßen, daß man hier sich fern hielt von, kleinlichen Separatismus, von der erbärmlichen Selbstsucht, die so gern der Welt glauben machte, wie gefährlich und wie revolutionär Alles sei, was unter unseren alten, geheiligten Farben sich kund giebt.

Als unser Zug an der herrlichen Lorenzkirche vorüberkam, die mit erhabener Schönheit vom Glanze vergangener Zeiten erzählt, senkten sich wie unwillkürlich die wehenden Fahnen vor diesem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_571.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)