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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Denkmale deutscher Baukunst. Allein zu längerem Anschauen gab es jetzt keine Zeit, denn rüstig drängte der Zug vorwärts über die merkwürdige Fleischbrücke nach dem Herrenmarkte und von da zum altehrwürdigen Rathhause. Dies war der Endpunkt unseres Einzuges. Fahnen und Embleme wurden im großen Rathhaussaale einstweilen aufgestellt, und die alten von Dürer und seinen Schülern gemalten Ritter aus dem Triumphzug Kaiser Maximilian’s I. schienen in dem zu ihren Füßen sich entwickelnden Leben selbst wieder frisches Leben zu gewinnen.

Droben im Rathhaussaale aber waren die mit aufopfernder Liebe thätigen Männer des Festausschusses jetzt in unaufhörlicher Wirksamkeit. Herzlich begrüßten sie die ankommenden Sänger und schmückten deren Fahnen mit nationalen Ehrenbändern. Alsdann wurden die Sängerzeichen vertheilt, welche in der ebenfalls schwarz-roth-goldenen Schleife bestanden, auf der unter dem aus Metall gefertigten Stadtwappen mit entsprechender Umschrift noch ein kleines roth-weißes Band als Vertretung der Stadtfarben angebracht war. Voll Stolz und Freude schmückten wir uns mit dem schönen Sängerzeichen, das fortan der Talisman für das herzlichste Entgegenkommen und für die liebevollste Aufnahme war. Gleichzeitig wurden im Rathhause auch die Quartierbillets vertheilt. Dieselben enthielten auf einem künstlerisch ausgestatteten Blatte den Namen des Inhabers und dabei die Worte: Herr .... findet gastliches Obdach bei Herrn ....... Die Rückseite des Blattes zeigte einen Plan der Stadt, welcher dem Besitzer der Karte sogleich beim Aufsuchen des Weges als Leitfaden dienen konnte.

Allein da brauchte man nicht erst ängstlich die graden und krummen Straßenlinien des Planes zu studiren oder die Bitte um Auskunft über den einzuschlagenden Weg auszusprechen, denn noch ehe wir eines von Beiden thun konnten, boten sich schon freundliche Menschen in Menge an, die uns an den Ort unserer Bestimmung bringen wollten.

„Gastliches Obdach!“ Das versprachen unsre Quartierbillets; allein dies war doch der kleinste Theil dessen, was man uns bot, denn wir begegneten überall einer Herzlichkeit, die wir unmöglich in dieser Weise erwarten konnten. Der lang entbehrte Freund, der nach Jahren aus der Fremde heimkehrende Sohn kann sich kaum eines herzlicheren Willkommens erfreuen. Wie mit einem Zauberschlage hatten wir hier mit einem Male Freunde und Brüder gefunden, von denen man noch im Augenblicke vorher keine Ahnung gehabt. Schon unten auf der geräumigen Hausflur kamen uns die Kinder entgegengesprungen, die mit dem Rufe: „Die Sänger! Unsere Sänger sind da!“ – unsere Ankunft den harrenden Eltern jubelnd verkündeten, und diese empfingen uns mit einer Herzlichkeit, als wären wir von Jugend auf Freunde des Hauses gewesen. Nie aber werde ich den beseligenden Blick stummer Freude vergessen, mit welchem eine seit langen Jahren gelähmte, im altmodischen Lehnstuhle ihre Schmerzenstage verbringende Matrone mir die welke Hand zum Willkommen bot. Die schmerzbewegten Lippen suchten, wenn auch vergeblich, den Gruß zu stammeln, den das verklärte Auge doch so deutlich schon ausgesprochen hatte. – Es kostete Mühe, sich all der Freundlichkeit zu erwehren, mit der man unsern Wünschen in jeder Weise zuvorzukommen suchte. Küche und Keller wurden sofort in Bewegung gesetzt und deren Genüsse in einer Art aufgetragen, als vermuthete man, daß wir die letzten sechs Monate in den nahrungslosen Polarländern zugebracht hätten.

„Wer weiß, ob es einem Jeden just so gut ergangen ist, als dir,“ so dachte ich, als ich zur Mittagsstunde dem Orte zueilte, welchen wir als unsern Sammelplatz bestimmt hatten. Als ich dort ankam, waren die meisten meiner heimathlichen Sangesgenossen bereits versammelt, aber ihre fröhlichen, zufriedenen Mienen machten jede weitere Frage überflüssig. Nicht blos die wohlhabenden Bürger Nürnbergs hatten Alles aufgeboten, um ihre Gäste so glänzend als möglich zu empfangen, auch die weniger Bemittelten hatten nicht hinter jenen zurückbleiben wollen, denn Alle setzten eine Ehre darein, daß der altbegründete Ruhm von Nürnbergs Gastlichkeit in diesen Tagen nichts von seinem Glanze einbüßen sollte.

Ueber 5000 Sänger waren angemeldet, allein an 60000 erschienen, denn so Mancher hatte sich erst spät noch entschlossen, die fröhliche Sängerfahrt mitzumachen. Allein wären ihrer auch achttausend gewesen, so hätten sie doch alle ein gastliches Unterkommen gefunden, denn die braven Nürnberger setzten ihren ganzen Bürgerstolz darein, sich über alle Maßen gastfrei zu zeigen. Die wohlmeinende Fürsorge des umsichtigen Festausschusses, der für überzählige oder verspätet anlangende Sänger noch große Säle gemiethet und eingerichtet hatte, erwies sich als unnöthig, denn fast überall hieß es: wo Zwei Platz finden, wird auch noch für einen Dritten oder Vierten Rath geschafft, und solche Eindringlinge hatten sich fürwahr keiner minder freundlichen Aufnahme zu erfreuen, als ihre schon früher erwarteten Genossen.

Der Nachmittag jenes Empfangstages wurde von den Meisten benutzt, das alte, herrliche Nürnberg zu durchstreifen. Ich kannte die Stadt schon von früheren Jahren her; damit will ich jedoch nicht sagen, daß nicht jeder neue Schritt durch die ehrwürdigen Straßen immer wieder neue Schönheiten in diesem Schmuckkästlein altdeutscher Baukunst entdecken läßt. Mich aber zog es wieder hinaus zum Bahnhofe; ich wollte sehen, ob die mächtigen Regungen, die mich bei dem herzlichen Empfange da draußen ergriffen hatten, das Gemeingut Aller wären, die von nah und fern Nürnbergs freundlichem Rufe Gehör schenkten. Der Nachmittag brachte in fast ununterbrochener Reihe zumeist die Sänger aus Süden. Wien, Innsbruck, Salzburg, Linz, München, Augsburg, Stuttgart und wie die Städte da drunten alle heißen mögen, hatten die ihnen angestammte Liebe für Musik und Gesang auf glänzende Weise bewährt, denn aus jenen Gauen waren die Sänger in einer Anzahl erschienen, zu welcher der Besuch aus Norden in gar keinem Verhältnisse stand. Unvergeßlich bleibt mir der Jubel der tyroler und steierschen Sänger bei ihrer Ankunft und wie sie ihre kurzen, prächtigen Sängerwahrsprüche harmonisch ertönen ließen. Freudenthränen über den herzlichen Empfang glänzten aber in den Augen Vieler, sie mochten nun aus Süden ober aus Norden kommen.

Von Stunde zu Stunde gingen jetzt ähnliche Züge, wie der unsrige am heutigen Morgen, mit Sang und Klang hinein durch die jubelnde Stadt zum Rathhause, und jeder einzelne davon hatte wieder seine Eigenthümlichkeiten. Hier trug man mächtige Trinkhörner mit im Zuge, dort vertraten kunstvolle und originelle Pokale deren Stelle, auch Städtewahrzeichen sah man einhertragen – kurz, es war ein Bild voll steter Abwechslung.

So war der Abend herangekommen, und gegen 7 Uhr versammelten sich die Sänger beim Rathhause, um im gemeinschaftlichen Zuge hinauszuwallen nach dem vor dem Lauferthor gelegenen Maxfelde, wo die Festhalle errichtet war. An 5000 Sänger mochten jetzt schon anwesend sein, doch noch immer brachte jede Stunde neuen Zuwachs, selbst dann noch, als sich der große Zug in Bewegung setzte, der wieder überall von der dichtgedrängten Menge mit Hurrahs und Tücherschwenken empfangen wurde. Aber es war auch ein prächtiges Schauspiel, so viele glückliche und fröhliche Männer zu sehen, denn Jeder hatte das ihm heute früh noch ganz fremde Nürnberg bereits so lieb gewonnen, als wenn es seine Vaterstadt wäre. Ein besonders festliches Ansehn erhielt der Zug durch die 240 zum größten Theile kostbaren Fahnen, welche die Vereine aus ihrer Heimath mitgebracht hatten. Nur eine kleine Anzahl von Männern war im Zuge, deren ernstere Miene bei so viel Fröhlichkeit ringsumher auf tiefgegründeten Kummer schließen ließ. Die ernsten Männer führten keine Fahne mit sich; auf dem ihnen vorgetragenen Schilde aber war zu lesen – Kiel, und das erklärt alles Uebrige zur Genüge. Obgleich die Männer wohl bitteres Leid im Herzen trugen, waren sie dennoch zu dem Freudenfeste gekommen, denn deutsche Sänger versammelten sich ja hier, es war ein deutsches Fest, und da wollten die braven Kieler beweisen, daß auch sie noch mit Leib und Seele Deutsche sind nur deutsch fühlen, und so mochten sie nicht zurückbleiben. In den immer wachsenden Jubel stimmten sie freilich nicht so herzlich als die Andern ein, weil sie den Gedanken an ihre geknechtete Heimath nicht unterdrücken konnten. Aller Herzen aber weihten ihnen und ihrem mit Füßen getretenen Rechte die wärmste Theilnahme.

Es begann bereits zu dunkeln, als unser Zug draußen auf dem Maxfelde anlangte. Noch hatten wir nicht die Festhalle gesehen, von welcher man uns schon überall die herrlichsten Schilderungen gemacht hatte. Man kann sich deshalb unsre immer wachsende Neugierde vorstellen, je näher wir jetzt diesem Ziele rückten. Da bogen wir endlich um die letzte Baumgruppe, und vor uns lag der prachtvolle Riesenbau, dessen Anblick in Allen das freudigste Staunen hervorrief. Den vorherrschend gothischen Styl der Kirchen und alten Gebäude Nürnbergs hatte man auch bei der Festhalle zu Grunde gelegt. Der ganze Bau zeigte trotz seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_572.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)