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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

den Werth des Privat-Grundeigenthums behufs Feststellung der Grundsteuer jährlich abzuschätzen hat, steht eine gesetzliche Vergütung von vielleicht 300 Dollars zu – er macht sich indessen durch die ihm in die Hand gedrückten Geschenke der Grundbesitzer für niedrige Abschätzungen 5000 Dollars daraus. Der Vorsitzende eines Stadtraths läßt für Straßenbauten und andere städtische Arbeiten sich von dem Unternehmer derselben Rechnungen zum doppelten Betrag der Arbeiten ausstellen, weist sie als richtig zur Zahlung an und theilt den Ueberschuß mit dem Unternehmer – viele Städte weisen derartige Männer auf, die ohne einen Cent Vermögen zum ersten Male in den Stadtrath gewählt wurden und nach acht bis zehn Jahren ein fürstliches Vermögen zusammengestohlen hatten. Ein New-Yorker Constable – Gerichtsbote und Executor – kann bei guten Zeiten durch „Züchtigen und Loslassen“ bequem 10,000 Dollars jährlich aus seinem Amte machen, freilich sind nicht alle derartige Stellen dort gleich fett. Der Schatzmeister einer Stadt verwendet die eingehenden Steuern zu eigenen Speculationen, erklärt den Inhabern von Stadt-Anweisungen, womit jeder einheimische Gläubiger der Stadt ausbezahlt wird, daß zur Einlösung kein Geld in der Casse sei, kauft aber endlich aus „eigenen Mitteln“ den Geldbedürftigen ihre Anweisungen mit 10 Procent Abzug ab. Die heimlichen Einkünfte eines Sheriffs, des „Engels mit dem Racheschwerte“, gehen oft in’s Unglaubliche und lassen sich meist nur nach der Geriebenheit des Beamten berechnen. Die Gesetzgeber der verschiedenen Staaten, wie die Abgeordneten im Congreß treiben zum größten Theile mit ihren Stimmen völligen Handel, sobald die Bewilligung eines Privatvortheils, wie die Vergebung eines Contractes für Staatsarbeiten, eine Unterstützung für Eisenbahn-Compagnien, die Gewährung eines gewinnreichen Patents oder dergleichen in Frage liegt; und die Gewinnung eines einflußreichen Abgeordneten mit zehn- und zwanzigtausend Dollars bei Gelegenheiten, die einen solchen Betrag rechtfertigen, sind nichts Ungewöhnliches;– ein Lieferant oder Unternehmer öffentlicher Arbeiten, welcher auf diese Weise seinen Contract erlangt, muß natürlich das ausgegebene Geld durch Betrug an der Regierung wieder einbringen und riskirt bei der Entdeckung desselben höchstens ein neues Geldopfer; etwas Anderes erwartet aber auch Niemand von dem Verstande eines solchen Mannes. Für den Präsidenten sind die zu vergebenden Aemter nichts als die Mittel zu einem politischen Schacher, wenn auch in anderer und complicirterer Weise als bis jetzt angedeutet, und der letzte Präsident Buchanan hat diesen mit einer Schamlosigkeit ausgeübt, die den letzten Congreß unter seiner Verwaltung, des öffentlichen Scandals halber, sogar zur Aufwerfung der Frage nöthigte, ob der Genannte nicht ebenso in Anklagestand zu versetzen sei, als es mit einzelnen seiner Cabinetsglieder wegen offenen Betrugs geschehen.

Ein Beamter in den Vereinigten Staaten ist erst in zweiter oder dritter Reihe zum Dienste des Volks, das ihn erwählt, da. In erster Reihe hat er die Milchkuh, für welche er allein sein Amt ansieht, auf jede mögliche Weise auszubeuten. Allerdings giebt es nun in der großen Republik genau so bestimmt abgefaßte und strenge Gesetze gegen Schwindel und Betrug jeder Art, wie in andern wohlgeordneten Staaten. Die Gewohnheit der Profitmacherei, der „pickigs and stealings“, der Bestechlichkeit und des Wahlbetrugs seitens der Beamten hat aber während der langen Jahre der Ausübung jedes Gefühl für Ehre und Rechtlichkeit in Bezug auf diese Zustände im Volke, so abgestumpft, daß selbst die eclatantesten Fälle von der eingefressenen Corruption in den öffentlichen Verhältnissen kaum mehr als eine kurze Aufregung schaffen konnten – Untersuchungs-Committees wurden zu öfteren Malen selbst im Congreß gegen die hochgestelltesten Beamten in’s Leben gerufen. Die Verhandlungen derselben verliefen aber stets nach kurzer Zeit so im Sande, daß der nächstbeste Gegenstand von öffentlichem Interesse sie ohne Abschluß völlig aus der Welt schaffte. Gestattete es der Raum, so ließen sich aus den letzten Jahren amtliche Schwindelgeschichten erzählen, die zu dem Wunderbarsten in ihrer Großartigkeit und Frechheit gehören, was nur die Geschichte der verdorbensten Staaten jemals geliefert, und die nach einer Woche voll glänzender, in ihrem erbitterten Tone erhabener Congreßreden und scharfer Zeitungs-Polemik verschwanden, ohne dem Schuldigen ein Haar gekrümmt zu haben, um jetzt bei einer zufälligen Erinnerung daran nur noch mit einem Achselzucken berührt zu werden.

Bis zur Erwählung des jetzigen Präsidenten Lincoln herrschte die demokratische, dem Süden freundliche Partei, ihr wurde deshalb vor Allem die eingerissene Verderbniß zugeschrieben, und was seit Erwählung des jetzigen Präsidenten im Süden geschah, schien auch diese Beschuldigung völlig zu rechtfertigen. Ein bedeutender Theil des Terrains, welches jetzt die südlichen Staaten bilden, ist mit dem Gelde der ursprünglichen Vereinigten Staaten erworben worden. In andern Fällen, wie in Texas, welches später zu der Union trat, wurde von dieser die Staatsschuld des neuen Bundesgliedes übernommen. Alle anfänglich nothwendigen Verbesserungen und Einrichtungen waren mit nördlichem Gelde bezahlt, und schon der einfachste Rechtssinn hätte eine Losreißung von Staaten verbieten müssen, die mit Opfern erworbenes Eigenthum der Union waren. Diese Losreißung aber geschah nicht allein im Interesse der hungrigen südlichen Politiker, welche bis jetzt die Beute aus den fettesten Aemtern unter sich allein getheilt und diese nun nicht aufgeben mochten – sondern auf dem Wege des offenen Raubes werden dazu die in der südlichen Münze befindlichen Baarfonds, die Waffenvorräthe, öffentlichen Gebäude und Forts der Vereinigten Staaten weggenommen. Die von der Union angestellten Postmeister und Zollbeamten erklären die in ihren Händen befindlichen Amtsgelder für gute Prise. Die im Süden geborenen Officiere der Vereinigten-Staaten-Armee und Marine vergessen Eid und Ehre, übergeben ihre Posten und Schiffe den Rebellen, und selbst Männer, wie der alte General Twiggs in Texas, der Zweit-Commandirende in der Union, schänden ihr graues Haar mit Verrath. Damals wandte sich die Sympathie der ganzen civilisirten Welt dem Norden zu, und die Deutschen in Amerika standen aller Orten zur Vertheidigung der Union auf; man glaubte die Fäulniß und Verdorbenheit, welche sich bisher geltend gemacht, nur in der südlichen Partei zu Hause und hoffte von einem „republikanischen“, nördlichen Regimente neue, reinere Zustände – als ob eine Generation, die mit den Grundsätzen der allgemeinen Corruption von Jugend auf groß gesäugt, durch einen einfachen Regierungswechsel hätte zu gänzlich entgegengesetzten Instincten und Anschauungen gebracht werden können!

Heute, wo sich ein freierer Blick auf die Maßnahmen der Lincolnschen Regierung gegen den Süden werfen läßt und die letzten Ereignisse vieles anfänglich Räthselhafte erklärt haben, kann mit voller Bestimmtheit angenommen werden, daß die leitenden Politiker des Nordens, in deren Hand der Präsident sich oft ganz machtlos gezeigt, nie daran dachten, gegen den Süden in einer Zwangsweise vorzugehen, wie es die Aufstellung der nördlichen Armee erscheinen ließ. Der Süden, welcher seine sämmtlichen äußeren Bedürfnisse, seine Bekleidungsstoffe, sein Haus- und Feldgeräth vom Norden bezieht und dadurch zum Haupttheile den nördlichen Fabriken mit ihrem Arbeiterheere Brod giebt, durch welchen der Export- und Commissionshandel von New-York meist nur existirt, durfte nicht zum Aeußersten getrieben werden; er sollte die Macht des Nordens fühlen gleich einem unartigen Jungen, durch die Blockade seiner Häfen eingesperrt werden und Hunger zu leiden haben, bis die erste Hitze verraucht und er Vernunft anzunehmen gesonnen sei, aber am wenigsten durch blutige Maßregeln zu einer Todfeindschaft gegen den Norden getrieben werden, und so wurde auch nach Lincoln’s Amtseinführung an viel nöthigere Dinge gedacht, als die südliche Rebellion sofort im Keime zu ersticken. Die Beute, welche der republikanische Wahlsieg gebracht, mußte zuerst eingeheimst, die sämmtlichen bisherigen Bundesbeamten entsetzt und die Aemter unter der siegreichen Partei vertheilt werden – die Aemterjagd und der Aemterschacher begannen in Washington schlimmer und ekelhafter als je und zeigten dem Volke, das umsonst nach sofortigen kräftigen Maßregeln zur Erhaltung der Union rief, daß die jetzt zur Herrschaft gekommene Partei gerade da in dem alten Unwesen beginnen wolle, wo die frühere aufgehört. Aber es bekam bald noch mehr zu sehen.

Die Bildung einer nördlichen Armee war angeordnet; sollte auch damit kein großer Krieg geführt werden, so schuf sie doch eine Masse von neuen Aemtern und Gelegenheit in Fülle, ein ausgezeichnetes Geschäft zu machen. Regiment auf Regiment wurde angenommen, die Ausrüstung derselben aber bis zur Verzweiflung der Angeworbenen hinausgeschoben. Müßig lag die nördliche Jugend, die danach brannte sich mit dem Feinde zu messen, umher, und selbst die endlich bewaffneten und einexercirten Truppentheile warteten vergebens von der Woche zum Monat auf Befehl zum Ausmarsch. Inzwischen suchte Alles, was einen Posten hatte erwischen können, sein Schäfchen möglichst zu scheeren. Die Lieferanten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_575.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)