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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

waren bis an sein Lebensende der Theologie zugewandt. Unter strebsamen Freunden und ohne feste Anstellung verflossen ihm die ersten Jahre nach seiner Rückkehr. Nachdem er auf Veranlassung der Predigers Stolz an der St. Martinikirche in Bremen, eines geborenen Zürichers, der zu seinem vertrautesten Umgange gehörte, sich in Zürich zum Prediger hatte ordinieren lassen, erhielt er im Jahre 1797 in Bremen die Stelle eines Professors in der philosophischen Facultät des Gymnasii illustris. Diese Stellung gewährte ihm reichliche Muße, um Vorlesungen über populär-wissenschaftliche Gegenstände zu halten und Politik zu treiben, bis er im Jahre 1799 das „Hanseatische Magazin“ begründete, von welchem im Ganzen bis zum Jahre 1804 sechs Bände erschienen. Wir geben zugleich eine Probe seiner Denk- und Schreibweise, wenn wir aus dem „Vorberichte“ zu diesem Magazin folgende Stellen mittheilen: „Bei allen den Unruhen und Verwirrungen,“ sagt er, „welche die furchtbaren politischen Phänomene unsers Jahrzehends auch hervorgebracht haben, ist es doch unleugbar, das diese merkwürdige Krise mehr wie irgend eine andere dazu beitrug, den Blick größerer und kleinerer Staatsgesellschaften auf sich selbst zu lenken und ihnen durch eine Selbstprüfung die Periode künftiger Vervollkommnung vorbereiten zu helfen. Der Gedanke, daß die individuelle Existenz eines jeden Staats einer Apologie vor dem Richterstuhle der Vernunft bedürfe, ist allgemeiner wie je zur Sprache gekommen, mehr wie sonst hat man angefangen es einzusehen, daß diese Apologie nur durch die Zweckmäßigkeit seiner ganzen innern Einrichtung begründet werden könne, daß die fortschreitende Vervollkommnung derselben zu den nothwendigen Bedingungen seiner künftigen Fortdauer gehöre, und daß es die angelegentliche Sorge jedes Staatsbürgers sein müsse, dazu Alles beizutragen, was er vermöge. Ueber das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks mußte man bald einverstanden werden, es konnte kein anderes sein als die volle Publicity dieser Sorge. Nur dann, wenn jeder in seinem Kreise das, was er der Verbesserung bedürftig hält, und die Mittel, welche er zu dieser Verbesserung zweckmäßig glaubt, ohne Scheu denen, welche dahin zu wirken vermögen, zur Prüfung darlegt, nur dann kann echter Bürgersinn der als der belebende Geist den todten Buchstaben jeder Verfassung lebendig und kräftig erhalten muß, empor kommen, nur dann kommt durch Menschen, wie sie sein sollen, auch der Staat, wie er sein soll, immer mehr dem Reich der Wirklichkeit näher. Die unumgängliche Nothwendigkeit einer solchen Publicität wird in Deutschland auch wirklich nachgerade so allgemein anerkannt, daß in unsern Tagen (1799!) gewiß weniger von dem Nutzen, als von der zweckmäßigen Anwendung derselben die Rede sein darf. Man hat aufgehört, Staatsgebäude wie Staatsgefängnisse zu betrachten, in deren wohlverwahrten Mauern nur eine heimliche Procedur ihrer ungestörten Ordnung sicher zu sein wähnt, und überzeugt sich vielmehr, daß nur da fröhlich und sicher zu wohnen sei, wo man das Licht nicht scheut und beim Schein desselben seine Bahn sich zu ebnen bemüht ist.“

Von diesem allgemein deutschen Standpunkt geht er dann auf den besondern der Hansestädte über, indem er sicher davon überzeugt ist, „daß Deutschland die Erhaltung oder Verwüstung seiner vorzüglichsten handelnden Seestädte nicht mit gleichgültigen Augen ansehen dürfe und ansehe.“ – „Zu steter Vervollkommnung werden wir fortschreiten,“ sagt er a. a. O., „wenn wir vor äußern Stürmen ebenso sicher sein könnten, wie wir es vor inneren sind; der Baum unserer Staatscultur trägt wirklich noch zu schöne Früchte. Durch übermäßige Abgaben wird unser Volk nicht gedrückt; es genießt die Producte seines Fleißes. Nicht nur das Maß der öffentlichen Abgaben legen wir uns selbst auf, sondern auch die Art derselben wird durch gemeinschaftliche Rath- und Bürgerschlüsse bestimmt, und was man freiwillig trägt, trägt man leicht.“ – „Wir haben keine privilegirten Stände, die Geburt schließt Niemand von irgend einem Amte aus, wozu er sich die Fähigkeit zu erwerben weiß“ etc.

Die äußern Stürme blieben nicht aus, und als Smidt im December 1800 in den Rath erwählt worden war, zielte sein ganzes Streben dahin, Bremen die eben erwähnten Vorzüge zu erhalten und, was in Folge der Fremdherrschaft verloren gegangen war, wieder zu erringen. In den ersten Jahren seines neuen Amtes wurde er, wie jeder Andere, nur zur Erledigung unbedeutender Arbeiten verwendet; aber gerade im rechten Augenblicke war die Bahn für ihn frei. Als das deutsche Reich in völliger Auflösung begriffen und in allen Staaten das zusammenhaltende Element angefault war, zog an der Seine das große Unwetter des Jahrhunderts sich zusammen: Napoleon warf mit kräftigem Stoß in der alten Welt Staat um Staat über den Haufen. Durch dieses erschütternde Ereigniß wurde Smidt an seinen rechten Platz gestellt. Inmitten der ihn umgebenden moralischen Fäulniß war er mit einem Häuflein Gleichgesinnter gesund geblieben und hatte unverzagt zugegriffen, um das Gute unter den Trümmern hervorzuziehen. Er rettete, was zu retten war, sein Bremen im Herzen, Deutschland im Auge, wohl wissend, daß es im Interesse Deutschlands sei, den Hansestädten die Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu erhalten.

Auf seinen einzelnen Wegen und schweren Gängen in der Zeit der tiefsten Erniedrigung können wir ihm nicht folgen, weil das Material dazu noch in den Archiven vergraben liegt. Nur an dem von ihm Errungenen läßt sich abmessen, wie er mit den damaligen faulen Zuständen gerungen haben mag. Je toller es draußen stürmte, desto zuversichtlicher stand er auf dem Fundamente seines Wahlspruchs: „Niemand wird getreten, er lege sich denn zuvor nieder!“ – Niemals hat er sich und seine Sache treten lassen. Still und ruhig ging er den sichern Weg auf das eine Ziel hin, welches er sich vorgesteckt hatte: Deutschlands Freiheit, Bremens Selbstständigkeit.

Daß Beides nur durch Waffengewalt errungen werden könne, darüber waren alle Einsichtigeren mit Smidt einig. Er wirkte im Dienste dieser Idee und wartete ruhig bis zum entscheidenden Moment, wo es galt, die nicht leichte Aufgabe zu lösen. Die Schlacht bei Leipzig war geschlagen und Bremen durch die ersten fliegenden Corps der Alliirten von französischen Truppen befreit worden. Deutschland lag in den Wehen einer Wiedergeburt, Napoleon’s Macht war für immer gebrochen. Diesen günstigen Moment ergriff Smidt, um bei der nun nothwendig eintretenden neuen Weltvertheilung die Selbstständigkeit den Hansestädten zu retten. Unter seinem Einfluß trat man kühn den großen Mächten mit einer Selbstconstituirung entgegen und war bereit, mit ihnen alle Opfer und Gefahren zu theilen. Schon am 5. November 1813 versammelte der Senat sich zum ersten Male wieder, und Tags darauf berief er die Bürgerschaft. Beide Corporationen proclamirten die Herstellung der bremischen Selbstständigkeit in unauflöslicher Verbindung mit Deutschland. Sofort ließ man die bremischen Truppen den alliirten Heeren sich anschließen. Smidt veranlaßte auch Hamburg und Lübeck, Bevollmächtigte in's Hauptquartier der Verbündeten zu senden, er selbst begab sich in dieser Eigenschaft für Bremen dahin und zog mit nach Paris, immer wach und rührig, wo es galt, die vaterländischen und vaterstädtischen Interessen zu vertreten. So wurde nicht allein die staatliche Form den Hansestädten wiedergewonnen und aus dem monarchistischen Fanatismus glücklich gerettet, sondern zugleich auch die ebenbürtige Stellung denselben neben den monarchischen Staaten im Bunde gesichert. Dies Alles verdankt man lediglich den Bemühungen Smidt’s, er wohnte dem Wiener Congresse bei, unterschrieb die Wiener Congreßacte, die deutsche Bundesacte und die Wiener Schlußacte, trat dann als Gesandter seiner Vaterstadt in die Bundesversammlung ein und wirkte dort von 1816 bis 1857. Im Mai 1821 gelang es ihm, den Elsflether Zoll durch den Bundestag definitiv zu beseitigen und damit ein Ziel zu erreichen, das man seit 200 Jahren angestrebt hatte.

Zum Bürgermeister von Bremen wurde Smidt am 26. April 1821 erwählt. Von dieser Zeit ab wendet sich seine Thätigkeit fast ausschließlich den vaterstädtischen Angelegenheiten zu. Hatte die wiedergewonnene Selbstständigkeit die alten überlebten Zustände auch einstweilen nur restaurirt, so galt es doch, dem angebrochenen neuen Tage gerecht zu werden, vor dessen hellem Strahle am allerwenigsten ein so weit blickendes Auge, wie das Smidt’s, sich verschließen konnte. Wir sehen ihn nun mit den veralteten Formen staatlicher und kirchlicher Verhältnisse ringen und endlich siegen. In der Kirche wurde den beiden Hauptconfessionen gleiche Berechtigung gewährt, wenn auch unter staatlicher Souverainetät; das Schulwesen wurde neu organisirt; eine sogenannte Handelsschule gegründet; im Staate die Finanzverwaltung vereinfacht; die Civilstandssachen wurden der Kirche entzogen und dem Staate übergeben etc. An die Stelle der Syndici trat eine „Commission für auswärtige Angelegenheiten“, deren Chef Smidt ward und blieb. Eine titellose Gleichheit Aller wurde eingeführt und all’ und jeder Bocksbeutel der „guten, alten“ Zeit abgeschafft, weil der Ehre und Würde des Staats damit nichts vergeben werde und davon die Erfüllung einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_582.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)