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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

der Röhre. Ich merkte bald, daß die Tarantel aufmerksam wurde und sich auf diese Weise ködern ließ. Sie kletterte langsam tastend empor und stürzte sich öfters mit einem gewaltigen Sprunge aus der Oeffnung, die ich dann geschwind schloß, dem Grashalme nach, den ich eiligst zurückzog. Die so ausgeschlossene Tarantel war äußerst unbehülflich und ließ sich dann leicht in eine Papierdüte jagen, in welcher ich sie einschloß. Zuweilen aber auch traute die Tarantel nicht ganz oder hatte weniger Hunger, sodaß sie dann in ganz geringer Entfernung von der äußeren Oeffnung Halt machte und in keiner Weise zu bewegen war, ihre Röhre zu verlassen. In diesem Falle suchte ich mich genau über die Richtung des Ganges und die Tiefe, in der sie saß, zu vergewissern und stieß dann plötzlich ein breites Messer schief so unter ihr durch, daß ich ihr den Rückzug in den Gang verschloß. Im sandigen Boden fehlte ich darin selten; Steine dagegen vereitelten manchmal mein Manöver. Gewöhnlich sprang dann die erschreckte Tarantel aus ihrem Loche hervor; in anderen Fällen aber blieb sie hartnäckig auf meiner Messerklinge sitzen, wo ich sie dann mit einem heftigen Stoße mitsammt der Erde emporschnellte und mich so ihrer bemächtigte. So fing ich manchmal bis zu fünfzehn Taranteln in einer Stunde. Die Bauern der Pouille fangen nach dem Bericht von Baglivi die Taranteln auf andere Weise. Sie ahmen, indem sie in der Nähe des Loches in einen Grashalm blasen, das Summen der Bienen nach. Die Tarantel, welche dies hört, glaubt ein Insect summen zu hören, stürzt zum Fange desselben hervor, wird aber von dem listigen Bauer selbst gefangen.

Die Tarantel ist eine häßliche, haarige und, wie man sieht, wilde Jagdspinne, aber dem Menschen so wenig gefährlich, daß sie sich sogar leicht zähmen, locken und aus der Hand mit lebendigen Insecten füttern läßt.“

Als Hausgenossen möchte ich sie nun freilich nicht haben, denn sie ist, trotz der rothen Binde über den Unterleib, ausnehmend häßlich, und da sie weit größer und stärker als die Kreuzspinne ist, so dürfte ihr Biß allerdings nicht schmerzlos, wenn auch ungefährlich sein.




Eine Abstimmung.
Aus der guten alten Zeit.

Ungefähr in der Mitte unseres gesegneten neutralen Deutschlands, und zwar zu der Zeit, als dasselbe noch nicht zu einem bloßen geographischen Begriff zusammengeschrumpft war, sondern die Krone Karl’s des Großen noch auf dem Haupte eines deutschen Kaisers, wenn auch etwas matt und verblichen, glänzte, in einem der vielen kleinen Staaten, aus denen damals der große Reichskörper zusammengesetzt war, lag ein wohlbegütertes Bauerndorf, das wir aus strategischen Rücksichten Herbedorf nennen wollen, obwohl es unter einem andern Namen auf den Karten zu suchen ist. Besagtes Herbedorf umschloß mit seinen Mauern, die, beiläufig bemerkt, ihr Dasein dem Kaiser Heinrich dem Finkler und der Hunnennoth verdankten, ein liebendes Paar, das sich über den hoffnungslosen Starrsinn der Eltern gar sehr zu beklagen hatte.

Was wir bei unserer wahrhaftigen Geschichte verbürgen können, ist, daß sich der stämmige Schulzensohn Hannfried, der Stolz der männlichen Jugend des Dorfes, und Liesemargt, des Gemeindeschöppen Baltin Garbenbinder einzige Tochter, einander liebten, wie sich nur jemals ein Paar geliebt haben mag, das bei der Kirchweihe mitsammen auf den Plan zog, in den Spinnstuben sich neckte und schließlich mit einander nach Hause ging, sich zum öftern zankte und eben so oft mit einem herzhaften Schmatz Versöhnung feierte. Anfangs hatten die beiderseitigen Eltern nichts gegen das sich in alter hergebrachter Ordnung entspinnende Liebesverhältniß der jungen Leute einzuwenden gehabt; aber plötzlich wurden der Schulze und der Gemeindeschöppe Feinde, und zwar Feinde aus politischen Gründen und folglich recht grimmige Feinde. Diese Feindschaft war ein Hagelschlag, der das stille Liebesgärtchen zu zerstören drohte. Der Schulze verlangte von seinem hoffnungsvollen Sprößling nichts weniger, als er solle der blonden Liesemargt den Laufpaß geben, und wenn auch der Gemeindeschöppe dem Hannfried den Unverstand seines Alten nicht entgelten ließ, so sagte er doch, Liesemargt möge die Augen aufhaben und sich nicht wegwerfen, er getraue sich, ihr noch alle Tage einen Mann zu schaffen. – Trotz solchen Haders der Alten blieben die beiden Jungen sich in Liebe zugethan, und mußten sie sich öffentlich meiden, so kamen sie um so häufiger heimlich zusammen.

Sie hatten sich eben wieder recht innig umfangen. Die Mondessichel blinzelte aus den Wolken hervor wie ein alter Vertrauter, und die Blätter der Dorflinde rauschten leise. Die liebenden kümmerten sich weder um den Mond noch um die Linde, sondern allein um sich, wie es bei Liebenden zu geschehen pflegt in Stadt und Dorf. Wehe, da riß plötzlich eine nervige Faust die Umschlungenen auseinander; um Hannfried’s Wangen wetterte es, und Liesemargt hörte im Fliehen ein klatschendes Geräusch, wie wenn eine flache Hand mit einer fleischigen Wange in Berührung kommt. Liesemargt wird bei unsern schönen Leserinnen durch ihre feige Flucht nicht gewinnen, aber wir zeichnen nicht aus der Phantasie, sondern aus dem wirklichen Leben. Hannfried zürnte der Geliebten auch nicht wegen ihrer Flucht, er hätte im Gegentheil viel darum gegeben, hätte sie den verdächtigen Schall nicht gehört.

Es war der Schulze, der mit so roher Faust sein übertretenes Gebot rächte. Worte sprach er nicht viel; er war überhaupt kein Mann von vielen Worten. Hannfried wußte den Commentar zu der empfangenen Ohrfeige, zum Ueberfluß aber donnerte ihm der Vater noch zu: „Das sag’ ich Dir Junge! So wahr ich den Schulbau nimmermehr zugebe, so wahr geb’ ich nicht zu, daß Du die Liesemargt mir als Schwieger in’s Haus führst. Wonach sich zu achten!“

Mit dem Schulbau, auf den der erzürnte Mann anspielte, hatte es aber die einfache Bewandtniß, daß das Schulhaus zu Herbedorf seit Menschengedenken in einem entsetzlichen Zustande des Verfalls war, daß man schon vor vielen, vielen Jahren auf einen Neubau, wenigstens auf eine gründliche Restauration angetragen hatte, aber aus all den vielen Visitationen und Berichten erwuchs schließlich nichts, als die bittere Feindschaft zwischen dem Gemeindeschöppen und wenigen Verständigen, die zu ihm hielten, und dem Schulzen sammt seiner großen starrköpfigen Partei.

Was aber den Mann betrifft, der am meisten bei der Schulbaufrage mit betheiligt war, wir meinen den Schulmeister, so hatte sich derselbe bisher seufzend in das Unabänderliche gefügt. Als aber die Wände seiner Wohnung immer windschiefer wurden, so daß er sich jeden Morgen zu einem Dankgebet veranlaßt sah, daß das Dach noch nicht über ihm eingestürzt war, da riß auch ihm der langgesponnene Faden der Geduld, und er beschloß, einen entscheidenden Gang zu thun. Hatte die Regierung Gründe, ihren Befehl nicht mit Strenge durchzuführen, so wollte er sogleich an die „rechte Schmiede“ gehen, an den Herzog, bei dessen strengem Rechtssinn kein Ansehen der Person galt. Er zog daher eines schönen Morgens seinen Bratenrock an, setzte seinen besten Stürmer auf und wanderte nach Meiningen, der Haupt- und Residenzstadt des kleinen Fürstenthums, zu dem Herbedorf gehörte. Unangefochten gelangte er in das herzogliche Wartezimmer, von wo aus die Audienz suchenden Personen nach der Reihenfolge ihrer Anmeldung in die Gemächer des Herzogs geführt wurden.

Der Schulmeister hatte es sehr glücklich getroffen. Es befanden sich nur wenige Personen im Wartezimmer, und so hatte er Hoffnung, recht bald vorgelassen zu werden. Damals erkannte man noch mehr als heute einen Meister des Bakels auf zwanzig Schritte weit, und so war es nicht zu verwundern, daß ihn der herzogliche Kammerhusar, Herr Zeuner, sogleich mit seinem Titel anredete.

Herr Zeuner war übrigens ein durchaus volkstümlicher Charakter. Seinem Fürsten mit Leib und Seele ergeben, genoß er dessen vollstes Vertrauen und war trotz seiner Derbheit dessen steter unzertrennlicher Begleiter. Zeuner kannte die feinen Manieren scherwenzelnder Höflinge nicht; er ging mit dem Herzog um fast wie mit seines Gleichen, und der den edlen Kern in der rauhen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_585.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)