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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Schale würdigende Fürst nahm dem bewährten Diener nichts übel. Noch heute erzählt man sich manche ergötzliche Scene zwischen dem Herzog und seinem Kammerhusaren, die sich nicht einmal alle in ihrer ursprünglichen originellen Derbheit wiedergeben lassen. Eines Tages ging der Herzog aus und war bereits die Schloßtreppe hinab, als Zeuner bemerkte, daß der Herzog sein Taschentuch vergessen habe. Rasch eilt er damit an’s Fenster, sieht den Herzog eben über den Schloßhof schreiten, pfeift hinab und ruft: „Durchlaucht, Ihr Schnupftuch!“ Der Herzog wendet sich und antwortet: „Ei, kannst Du mir’s nicht herunterbringen?“ „Sie haben jüngere Beine als ich,“ versetzt Zeuner trocken und wirft das Tuch hinab. Der Herzog lacht, geht zurück und fängt das flatternde Tuch auf. Bemerken wir nun noch, daß der Kammerhusar als Meininger Stadtkind auch im Umgang mit dem Herzog den breitesten Dialekt sprach, so vermag sich der Leser wohl ein Bild von der originellen Persönlichkeit Herrn Zeuner’s zu entwerfen.

„Will wohl Zulage haben, he?“ sagte der Kammerhusar, als er dem Schulmeister die Nachricht brachte, der Herzog erwarte ihn. „Na, kann’s probiren; der Herzog ist guter Laune.“

„Ich hab’ ein ander Anliegen,“ antwortete der Schulmeister und folgte seinem Führer nach dem Audienzzimmer. Mit gutem Muthe war der Schulmeister gekommen, und er hatte sich seine Anrede an den Fürsten in Gedanken zurecht gelegt; jetzt aber klopfte ihm das Herz doch gewaltig, und er hatte fast Alles vergessen, als der Herzog Georg erschien und die klaren, durchdringenden Augen fragend auf ihm haften ließ. Das edle Antlitz des Fürsten mit der hohen, freien Stirne und der kühn gebogenen Nase war indeß so vertrauenerweckend, daß sich der Schulmeister ein Herz faßte und sein Anliegen vorbrachte, wie seine Dienstwohnung so baufällig sei, daß er jeden Tag befürchten müsse, sie stürze ihm über dem Kopf zusammen, wie die herzogliche Baucommission dies anerkannt und die herzogliche Regierung den Neubau befohlen habe, wie aber die Gemeinde sich hartnäckig weigere, dem Befehle zu gehorsamen.

Herzog Georg hörte den Bittsteller aufmerksam an, ließ sich über Manches näheren Aufschluß geben und erkundigte sich nach den Persönlichkeiten, die sich hauptsächlich als Gegner des Schulbaus bemerklich machten. Der Schulmeister gab über Alles genauen Bescheid und ward mit den Worten entlassen: „Geh’ Er in Gottesnamen! Ich will kommen und Seinen Bauern die Köpfe zurechtsetzen.“ Hoffnungsvoll verließ der Schulmeister das Audienzzimmer und erzählte Herrn Zeuner den Erfolg seiner Unterredung mit dem Fürsten.

Herzog Georg von Sachsen-Meiningen war ein Mann der That, der nicht gern in den Kanzleistuben herumschleppen ließ, was er selbst schlichten konnte. In das constitutionelle Wesen einer späteren Zeit hätte er wohl kaum gepaßt; aber dasselbe war auch der Anschauungsweise des damaligen Volkes fremd. In den patriarchalischen Zuständen jener Vergangenheit verlangte man vom Fürsten, daß er mit eigener Hand in das Getriebe der Staatsmaschine, die freilich weniger complicirt als heutzutage war, eingriffe und dem Hülfesuchenden persönlich Rath und Hülfe gewähre. Weil Herzog Georg diese Regentenpflicht rücksichtslos gewährte, weil der geringste seiner Unterthanen den Weg zu ihm offen fand, besonders aber weil der Herzog es liebte, mit dem Volke persönlich zu verkehren, und sich nicht scheute, die niedrigsten Hütten zu besuchen, darum ward er trotz mancher Schroffheit, trotz mancher gewaltsamen Handlung, die aus seiner Anschauung des Fürstenberufes entsprang, so allgemein verehrt, darum wird das Andenken des guten „Herzog Jörg“ noch heute gesegnet, und darum hört man noch heute von Zeitgenossen den ehrenden Ausspruch: „Es steht kein Herzog Jörg wieder auf!“ Aber Herzog Georg war nicht nur ein wohlwollender und volksfreundlicher Fürst, er war auch ein weiser und geistreicher Mann, er liebte und begünstigte die Wissenschaften und Künste, und es lag nicht an ihm, daß sein Hof nicht mit dem seines Herrn Vetters zu Weimar wetteifern konnte.

Am nächsten Sonntag ritt Herzog Georg mit seinem getreuen Zeuner nach Herbedorf. Er stieg am Pfarrhause ab und lud sich ohne Umstände beim Pfarrer zu Mittag ein. Die Gewohnheit des Herzogs, auf seinen Ausflügen im ersten besten Bauernhause einzukehren und mit dem Bewohner Hausmannskost zu theilen, war landkundig und trug viel zur Popularität des Fürsten bei. Auf einem dieser Ausflüge soll es geschehen sein, daß, als der heimgesuchte Bauer Obst auftrug und der Herzog ihn freundlich ermahnte, sich nicht allzu sehr zu berauben, dieser den Fürsten mit den Worten zum ungenirten Zulangen zu bewegen suchte: „Essen Sie nur zu; die Säu’ kriegen sie doch.“

Der Herzog war sehr gesprächig bei Tische. Er unterhielt sich mit dem Pfarrer über allerlei wissenschaftliche Dinge und zeigte sich in fast allen Fächern unterrichtet. „Wissen Sie,“ sagte er im Laufe des Gesprächs, „daß ich nun mit meinem Institute zu Dreißigacker so ziemlich im Reinen bin? Bechstein[1] hat zugesagt, und mit andern berühmten Gelehrten steh’ ich in Unterhandlung. Es soll eine Musteranstalt für Deutschland werden, so mir Gott Leben und Gesundheit und dem Werke Gedeihen schenkt. Es kann für ein Land nichts Nützlicheres geben, als eine solche Anstalt! Der Forstbetrieb liegt noch sehr im Argen, und unsere Jäger wissen nichts von der Wissenschaft. Die bloße Praxis aber thut’s nicht mehr. Ueberhaupt gedenk’ ich, noch mehr Gelehrte in mein Land zu zieh’n, damit wir uns nicht vor Weimar zu schämen haben, wo die Musen sich versammeln. Wenn ich mir auch keinen Goethe und Schiller und Wieland bestellen kann, so soll doch die Welt wissen, daß es außer Weimar noch ein Land giebt, wo das Genie mit offenen Armen aufgenommen ist. Das Land wird mir’s Dank wissen. Denn von den Tischen der Gelehrten, worunter ich aber nicht bloße Stubengelehrte verstanden wissen will, fällt immer ein Bröcklein Intelligenz für’s Volk ab, das daran noch gar sehr Mangel leidet.“

Ueber die Absicht seines Besuchs deutete er nur an, daß er wegen des Schulbaus einmal vernünftig zu den Leuten reden wolle. Der Pfarrer möge auf der Kanzel verkündigen, daß sich nach dem Gottesdienste die Ortsnachbarn unter der Linde, dem Platze für dergleichen Zusammenkünfte, einzufinden hätten. „Es kann nichts schaden,“ fügte er hinzu, „wenn Sie in Ihre Predigt etwas von dem Gehorsam gegen die Obrigkeit einfließen lassen. Gehorsam ist ein Ding, das Ihren Bauern noth zu thun scheint. Ungehorsame Unterthanen kann ich aber nicht brauchen. Ich habe meine Pflicht gegen Land und Leute immerdar vor Augen und im Herzen und handle so, daß in der Geschichte meines Landes mein Name mit Ehren genannt werden kann. Ich liebe meine Unterthanen und will nichts als ihr Glück; aber gehorchen sollen sie!“

Das Gerücht von der Anwesenheit des Herzogs hatte sich wie ein Lauffeuer im Dorfe verbreitet; daß er mit seinem Besuche einen besonderen Zweck verband, ahnte außer dem Pfarrer nur Einer – der Schulmeister. Erst als der Geistliche im Namen des Durchlauchtigsten Herrn die Gemeinde zur Versammlung berief, ging Manchem ein Licht auf. Dennoch waren die Hartnäckigsten entschlossen, nicht nachzugeben, und der Schulze studirte eine Rede ein, worin er die Unvermögenheit der Gemeinde, den Schulbau aus eigenen Mitteln zu bestreiten, gründlich nachweisen wollte.

Nach Beendigung des Nachmittagsgottesdienstes, an dem auch der Herzog Theil genommen, fanden sich die Nachbarn auf dem Versammlungsplatze ein. Die Parteien hielten sich gesondert. Der Gemeindeschöppe mit seinem Anhang triumphirte; die Andern steckten die Köpfe zusammen, und Einer ermuthigte den Andern im Widerstande. „Man kann uns nichts anhaben, wenn wir die Schule nicht bauen,“ demonstrirte der Schulze. „Wir haben kein Geld und damit Basta! Die Obrigkeit ist allerdings von Gott eingesetzt, wie der Herr Pastor gesagt hat, und wir sind ihr auch unterthan in allen Stücken; aber wo nichts ist, hat auch der Kaiser das Recht verloren.“

Die Gemeinde war vollständig beisammen, als der Kammerhusar Zeuner erschien, in Begleitung eines Knechtes, der einige Bunde Stroh trug. Er ließ das Stroh auf der einen Seite des Platzen niederlegen, ordnete einige Bunde wie zu einem bequemen Lager und legte das letzte Bund quer darüber. Verwundert schauten die Bauern drein; die Bedeutung dieser Anstalten blieb ihnen ein Räthsel. Einige schlichen um den Kammerhusaren herum und suchten ihn auszuforschen; aber Zeuner gab keine Antwort als die: „Abwarten!“

Jetzt trat der Herzog vor die Versammlung, zu seiner Linken das räthselhafte Strohlager. Alle Hüte flogen von den Köpfen: ehrfurchtsvoll erwiderten die Männer den Gruß des Fürsten.

„Ich bin gekommen, um ein paar verständige Worte mit Euch zu reden,“ begann der Herzog. „Es ist mir zu Ohren gekommen,

  1. Joh. Matthäus Bechstein, der bekannte Ornitholog, Onkel des Dichters Ludwig Bechstein.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_586.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)