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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Da war es ihm auf einmal klar, wie er sich verrathen hatte.

„Ich weiß es nicht,“ sagte er kleinlaut.

Ich mußte den Augenblick benutzen.

„Sie wissen nur zu wohl, daß sie nicht gelogen hat. Dieser Todte, der hier vor Ihnen liegt, ist von dritter Hand ermordet. Der Mörder ist bis jetzt unbekannt. Aber Sie haben den Ermordeten früher gekannt; Sie haben in Verbindungen mit ihm gestanden, von denen Niemand Näheres weiß. Sie sind gestern plötzlich wieder mit ihm zusammengetroffen; das Zusammentreffen ist ihm unangenehm gewesen; Sie sind darauf nochmals in seiner Gesellschaft gesehen worden; Sie mit ihm allein; kurze Zeit vor der Stunde, in welcher der Mord verübt sein muß, ganz in der Nähe des Orts, wo der Mord verübt ist. Seitdem hat den Todten lebend Keiner wiedergesehen. Sie hatten sogar zu dieser Zeit und zu diesem Orte ihn im Geheimen hinbestellen lassen. Jeder Unbefangene kann nicht mehr Gründe fordern, um Sie des Mordes verdächtig, dringend verdächtig zu halten. Sie könnten diesen Verdacht nur einzig und allein dadurch von sich ablenken, daß sie die offenste Wahrheit angäben über alle jene Gründe, die Sie so verdächtig machen. Statt dessen leugnen Sie Alles ab, wollen den Zeugen Lügen und Meineid vorwerfen –“

Ich hielt plötzlich inne. Er war schon seit einer Weile blaß, dann tief nachsinnend, dann unruhig geworden. Er wagte nicht, mich anzusehen; er sah mich auf einmal mit einem sonderbaren Blicke fest an. Er hatte etwas auf den Lippen.

„Sie haben mir etwas zu sagen?“ sagte ich.

Er sah sich um. Ich hatte, als ich das Verhör begann, wie es die Vorschrift erforderte, die sämmtlichen übrigen Personen sich entfernen lassen. Nur ich und der Protokollführer waren allein mit ihm. Ich vernahm ihn im Freien, an der Stelle der That.

Er sah sich um, ob Jemand in der Nähe, etwa im Gebüsche versteckt sei, der ihn behorchen könne. Er hatte mir ein Bekenntniß zu machen. Er sah uns völlig allein.

„Ja, Herr Director,“ sagte er, „ich habe Ihnen die Unwahrheit gesagt, ich muß es bekennen. Ich sehe ein, welch’ einen Fehler ich gemacht habe. Ich, selbst habe mich dadurch verdächtig gemacht, denn an dem Morde bin ich unschuldig; glauben Sie es mir. Ein Kind kann nicht unschuldiger sein, als ich an dem Tode dieses Mannes.“

Seine Worte wälzten wieder einen schweren Stein auf meine Brust. Er sprach mit allen Zeichen der Wahrheit und zugleich jener inneren Herzensangst des Lügners, der es plötzlich einsieht, wie er durch Unwahrheit den Schein einer schweren Schuld auf sich geladen hat. Er ist nicht der Mörder! rief es in mir.

„Sagen Sie mir die Wahrheit,“ ermahnte ich ihn.

„Sie sollen sie vollständig von mir hören. Ich kenne diesen Todten schon lange, schon seit zwanzig Jahren. Wir waren als junge Burschen zusammen in einer Seiltänzertruppe; später waren wir längere Zeit gemeinschaftlich Principale. Manchmal waren wir auseinander gekommen, wir kamen immer wieder zusammen. Er war nicht sehr verträglich, er wollte immer befehlen, und er war ein roher und harter Mensch. Im vorigen Jahre hatten wir uns zum letzten Male getrennt; er sagte, er wolle nach Amerika gehen, um da auch einmal sein Glück zu versuchen. Ich hatte seitdem nichts wieder von ihm gehört, bis ich ihn, völlig unvermuthet, am gestrigen Abende hier wieder sah. Er war ein vornehmer Herr geworden. Er erschrak, als er mich, als ich ihn erkannte. Davon mußte ich profitiren. Ich bin ein armer Teufel; ich muß oft hungern mit Weib und Kind und Leuten, und Hunger thut weh. Er war reich, er trug eine Uhr mit schwerer goldener Kette; er besuchte als Freund den reichen Schloßherrn. Ich schickte das Mädchen, die Amelie, ihm nach und ließ ihn hierher bestellen. Er durfte nicht ausbleiben, da ich ihn durch sein Geheimniß immer in meiner Gewalt hatte. Er kam. Ich bat ihn um Geld, um Unterstützung. Er gab mir und versprach mir noch mehr. Ich hatte ihn als Freund gebeten; er hatte auf meine Freundschaft gerechnet, daß ich ihn nicht verrathen werde. So schieden wir auch als alte Freunde. Ich ging mit meinem Gelde nach meinem Dorfe zurück; er blieb im Park, hier, diesseits der Brücke, wohl um von Niemandem mit mir zusammen gesehen zu werden. Außerhalb des Parks, jenseits der Brücke, hatten wir mehrmals Menschen hin- und hergehen gehört. Er gab mir drei Goldstücke; Sie werden sie bei meiner Frau finden; sie hat deren fünf, zwei hat mir der Baron des Schlosses für die Vorstellung gegeben. Ich habe Ihnen jetzt die volle Wahrheit gesagt. Von dem Tode des Mannes weiß ich nichts; ich bin unschuldig daran. Ich hatte keinen Streit mit ihm, und wenn ich ihn hätte berauben wollen, so hätte ich ihm seine Uhr genommen und seine Börse, in der er noch viel Geld hatte. Das muß Ihnen Beweis für meine Unschuld sein.“

Er hatte Recht. Uhr und Uhrkette und die noch volle Börse. was Alles auf dem Todten gefunden worden, waren redende Zeugen seiner Unschuld; noch mehr war es die unverkennbare Wahrheit, mit der er sprach. Es begann für mich der schwerere Theil der Ausübung meines Amtes. Fast nur noch in Beziehung auf ihn mußte ich den Menschen weiter verhören.

„Wie hieß der Todte?“

„Er hat viele Namen geführt. Er war oft mit Polizei und Gerichten in Streit gerathen. Sein eigentlicher Name war Christoph Richter. Er war aus dem Badischen gebürtig.“

„Hat er auch den Namen Johansen geführt?“

„Mehrere Male. Unter ihm war er als geschickter Voltigeur am bekanntesten.“

„Erzählte er Ihnen von seinem Aufenthalte in Amerika?“

„Es sei ein schlechtes Land. Aber er habe dort einen reichen alten Herrn kennen gelernt, der ihn lieb gewonnen und zu seinem Erben eingesetzt habe. Daher habe er sein Vermögen.“

„Nannte er den Namen ?“

„Es sei ein Herr Jones gewesen. Er müsse nach dem Testamente jetzt dessen Namen führen.“

„Theilte er Ihnen sonst nichts mit?“

„Nein. Wir sprachen nur noch über mich und über unsere alten Bekannten.“

„Waren Sie lange mit ihm zusammen ?“

„Ungefähr eine halbe Stunde.“

„Sie sagten, es seien während dieser Zeit Menschen vorübergekommen. Haben Sie Niemanden erkannt?“

„Niemanden. Sie gingen jenseits der Brücke. Einer kam herüber. Er mußte uns gehört haben. Richter trat ihm entgegen; er ging darauf weiter. Richter sagte mir, es sei ein Knecht vom Schlosse gewesen. Bald nachher gingen wir auseinander.“

„Wie waren Sie in den Park gekommen?“

„Das Brückenthor stand offen. Ich hatte es schon am Tage so gefunden.“

Nach meiner inneren, sogenannten subjectiven Ueberzeugung war ich mit ihm fertig. Objectiv war noch Verdacht gegen ihn da, und ich mußte ihn einstweilen in fernerer Haft behalten. Ich ließ ihn wieder in Verwahrsam bringen. Aber was nun weiter ?

Holberg war noch immer nicht zurück; es war noch immer keine Nachricht von ihm da. Man hätte es mir zuerst mitgetheilt.

Dagegen hatte die Frau von Holberg wiederholt zu mir geschickt, sobald ich Zeit hätte, zum Schlosse kommen, sie wünsche dringend mich zu sprechen. Ich konnte mir denken, wie heißes Verlangen sie tragen mochte, von mir zu erfahren, ihr Herz gegen mich auszuschütten; seit dem Auffinden der Leiche des Amerikaners hatte sie mich nicht gesprochen; über den Tod konnte sie genaue und zuverlässige Mittheilungen nur durch mich erhalten, und – ihr Mann war noch immer nicht da. Die arme Frau!

Ich hatte nach der Vernehmung des Gauklers einen freien Moment. Die auf dem Ermordeten gefundenen Papiere hatte ich schon vorher durchgesehen. Sie hatten sich nur in seiner Brieftasche befunden und enthielten nichts, was für die Untersuchung oder sonst von Interesse gewesen wäre. Auf der Brust des Todten hatte sich noch eine kleine, rundlich glatte blecherne Kapsel gefunden, die an einem um den Nacken geschlungenen starken ledernen Riemen hing. Ich war neugierig, was sie enthalten möge. Allein sie war verschlossen, der Schlüssel fehlte, und ich durfte sie um so weniger gewaltsam aufbrechen, als ihr Inhalt ein leicht zerstörlicher sein konnte.


(Schluß folgt.)



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