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Dennoch ermunterte der Beifall, den diese Schrift erhielt, Beckern, die Volksschriftstellerei zu seinem ordentlichen Berufe zu wählen. Nachdem er eine ihm angetragene Lehrerstelle an der Erziehungsanstalt zu Dessau angetreten hatte, schrieb er dort zuerst in den Jahren 1782 und 1783 die „Dessauer Zeitung für die Jugend und ihre Freunde“, die er nach seiner Uebersiedlung nach Gotha und selbständigen Niederlassung daselbst 1784 als „Deutsche Zeitung für die Jugend“ fortsetzte, dann seit 1788 mehr für Erwachsene berechnete und 1796 zur „Nationalzeitung der Deutschen“ erhob. Sein Wort drang bald so weit, als die deutsche Sprache ertönt. Seine wohlthätigen Rathschläge, seine verständigen Belehrungen wurden an den Höfen der Fürsten, in den Wohnungen der Bürger, in den Hütten des Landmanns vernommen. Muthig bekämpfte er alle Thorheiten, alle Werke der Finsterniß, eifrig empfahl er das Gemeinnützige jeder Art, begeistert sprach er für Alles, worauf die Würde der Menschheit beruht. So übte er den segensreichsten Einfluß auf die fortschreitende Bildung des deutschen Volkes.

Beim Nachdenken über die Gründe, aus welchen sich bestimmen lasse, was dem Volke, also dem Menschen überhaupt, wahrhaft nützlich sei, gewann er die Ueberzeugung, daß die gewöhnliche Vorstellung von zwei entgegengesetzten Grundtrieben des Menschen, einem Princip des Guten und einem des Bösen, irrig sei, und daß er nur von einem einfachen Naturtrieb bei allen Neigungen und Handlungen, auch den widersprechendsten bewegt werde. Das sei der Trieb der Fortschreitung oder der Vervollkommnung. Er sei die Quelle alles Guten, Edlen und Großen, wenn er von der Vernunft geleitet, ebenso aber auch die Quelle aller die Menschheit entehrenden Laster und Verbrechen, wenn er ohne Leitung der Vernunft befriedigt werde. Die christliche Religion lehre keinen andern Weg zum Heil der Seele, als diesen, nur daß sie das Streben nach Vollkommenheit noch durch das höchste Gebot der Liebe erhöhe und veredle. Er stellte dieses Moralsystem zuerst im „Noth- und Hülfsbüchlein oder lehrreiche Freuden- und Trauergeschichte des Dorfes Mildheim (Gotha, 1787–1798.)“ als praktisches Beispiel der Selbstbildung der Einwohner eines Dorfes so lebendig und anregend dar, daß von diesem Volksbuche bald über eine Million Exemplare in vielen Auflagen (neueste Auflage 1838, Preis 27 Sgr.), Nachdrücken und Uebersetzungen abgesetzt wurden. Später, 1791, verband er damit sein „Mildheimisches Liederbuch“ und 1816 sein „Mildheimisches Evangelienbuch“, die sich ebenfalls vielen Beifall gewannen.

Die naturgemäße Sittenlehre, die er in seinem Noth- und Hülfsbüchlein schlicht und klar dem unverbildeten Landmann vorgetragen, brachte er in seinen „Vorlesungen über die Pflichten und Rechte der Menschen (2 Bände, 1791 und 1792)“ in wissenschaftliche Form und Zusammenhang für die gebildeten Stände und erläuterte sie mit wirklichen Beispielen aus der Geschichte des Tages. Die äußeren Umstände waren damals einem solchen Unternehmen günstig. Es war das Zeitalter Friedrichs des Einzigen und Josephs des Zweiten. Becker durfte den Grundsatz aufstellen: „Da die Menschen in Staaten vereinigt leben, um nicht blos wie Viehheerden neben einander ruhig zu weiden, sondern um Hand in Hand den Weg des Fortschritts zu wandeln, so erstreckt sich das Gebiet der Oeffentlichkeit über Alles, was Menschen angeht, nicht blos über öffentliche Angelegenheiten der Länder, Städte und Dörfer, sondern auch über Handlungen des Einzelnen, insofern ihre Bekanntmachung der Gesammtheit nützen kann.“

Diesem Grundsatze gemäß setzte er auch seine journalistische Thätigkeit fort. Im Jahre 1791 begründete er neben der Nationalzeitung der Deutschen den „Anzeiger“, der 1792 durch ein kaiserliches Privilegium zum „Reichsanzeiger“ erhoben und nach Aufhören des Reichs im Jahre 1806 in den „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ verwandelt wurde. Der eigene Vertrieb dieser Zeitschriften und seiner Bücher veranlaßte ihn, eine Buchhandlung zu gründen.

Obschon er bei der Unterdrückung unseres Vaterlands durch den französischen Despotismus seine schriftstellerischen Mittheilungen nur auf die schon öffentlich bekannten Ereignisse der Zeit beschränken mußte, so suchte er doch stets für Erweckung deutschen Gemeinsinns und deutscher Volksliebe zu wirken, so oft sich ihm eine Gelegenheit dazu bot. In diesem Sinne führte er mit Beihülfe seines Schwagers Hennicke insbesondere die Nationalzeitung bis zum Jahre 1811 fort, wo ein unbekannt gebliebener, boshafter Verleumder dem Marschall Davoust die Idee in den Kopf setzte, Becker sei Theilnehmer geheimer politischer Verbindungen gegen Napoleon und stehe an der Spitze von 20,000 verschworenen Deutschen, die der französischen Armee in den Rücken fallen sollten, wenn sie nach Rußland zöge. Davoust ertheilte alsbald demselben Maréchal de Logis, Namens Pfersdorf, der einst den unglücklichen Herzog von Enghien in Ettenheim verhaftet und nach Paris geführt hatte, den Befehl, Beckern gefangen zu nehmen und in die Citadelle von Magdeburg zu bringen. Pfersdorf zog in der Nacht vom 29. zum 30. November 1811 mit einer starken Schaar Cürassiere von Erfurt zu diesem Unternehmen aus, ließ die Landstraßen von Gotha nach Erfurt, Eisenach und Schmalkalden besetzen und Becker’s Wohnung von Cürassieren umzingeln. Dieser hatte in früher Morgenstunde eben einen Brief an den ältesten seiner damals in Göttingen studirenden Söhne geschlossen, als ein Fremder, der ihn zu sprechen verlangte, in sein Zimmer geführt wurde. Kaum hatte derselbe ihm sein den Allgemeinen Anzeiger der Deutschen betreffendes Anliegen vorgetragen, als sich ein entsetzliches Gepolter auf der Treppe vernehmen ließ und alsbald mehrere Cürassiere in das Zimmer drangen, wo sie mit ihren Waffen einen Lärm machten, als ob sie Alles zertrümmern wollten. Der mit dem Kreuz der Ehrenlegion gezierte Anführer kündigte Beckern mit donnernder Stimme an, er käme im Namen und auf Befehl des französischen Gouvernements, sich seiner Person und seiner Papiere zu bemächtigen. Er möge sich unverzüglich dazu bequemen, ihm zu folgen, sonst würde er Gewalt brauchen. Becker’s Frage nach der Ursache dieses Verfahrens wurde auf brutale Weise abgewiesen. Seine Frau, die, durch das kriegerische Getöse aufgeschreckt, zu ihm zu dringen versuchte, wurde mit blankem Säbel bedroht. Endlich gelang es ihr, in ein Cabinet neben dem Zimmer ihren Mannes zu kommen; doch auch hier wurde sie von dem Anführer zurückgehalten, bis derselbe auf Vorstellung von Becker’s Schwager, Hennicke, ihr erlaubte, Abschied von ihrem Manne zu nehmen. Sie reichte ihm jammernd sein gewöhnliches Frühstück und hatte in diesem schrecklichen Augenblick noch die Fassung, auch dem Mann, der ihr Herz so tief verwundete, ein Glas Wein anzubieten. Beschämt schlug er es aus und benahm sich ruhig und höflich.

Inzwischen wurden Becker’s Papiere von französischen Polizeibeamten mit der größten Hast zusammengepackt und in die vor der Hausthüre haltenden Wagen geschafft. Da nahte sich der Expeditionsgehülfe und Gesellschafter seiner Buchhandlung Lossius dem Anführer, faßte ihn, um sich bemerkbar zu machen, beim Rock und frug ihn, was dies zu bedeuten habe. Jener schrie den Cürassieren zu, den Menschen von ihm abzuhalten. Sogleich setzten sie ihm die Säbelspitzen auf die Brust und trieben ihn in eine Ecke. Dort bedrohten sie ihn bei jeder Bewegung mit dem Tode, bis der Anführer hinzutrat und ihn frei zu lassen befahl. Dennoch wäre er beinahe noch ein Opfer der Brutalität geworden. Der Diener Becker’s war nämlich am Wagen noch mit dem Aufbinden der gleichfalls weggenommenen Schatulle seines Herrn beschäftigt, als der Postillon die Pferde zum Abfahren antrieb und jener dadurch in Gefahr gerieth, gerädert zu werden. Da stürzte Lossius aus der Hausthüre, um ihn zurückzureißen. Augenblicklich haut ein Cürassier ihn über den Arm und sticht gerade auf ihn los, so daß er das Leben nur einer schnellen Wendung verdankt.

Becker mußte in den Wagen steigen, ohne irgend eine Verfügung für seine Familie, sein Hauswesen und seine Geschäfte für den möglichen Fall seines Todes hinterlassen zu können. Der Zug ging über Langensalza, Sondershausen, Nordhausen etc., ohne daß er das Ziel desselben erfuhr. Seiner Bitte, ihm eine kurze Rast zu gewähren, wurde nicht gewillfahrt. Den 2. December früh 5 Uhr erblickte er die Wälle von Magdeburg. Als das Thor geöffnet worden, wurde er zum Gouverneur und Commandanten gebracht und nach Davoust’s Befehl beiden als Staatsgefangener von äußerster Wichtigkeit übergeben, der mit der größten Verschwiegenheit verwahrt werden und für den die Herren mit ihren Köpfen haften sollten. Er wurde in das backofenförmige Gewölbe einer feuchten Casematte eingesperrt, durch deren mit starken, eisernen Stäben versehenes Fenster die Sonne noch nie einen ihrer Strahlen geworfen, weil es auf der Nordseite der Casematte war. Alle Lebensbedürfnisse konnte er nur auf eigene Kosten erhalten, alle Bücher und Schreibmaterial waren ihm versagt, und selbst in den kurzen Wintertagen durfte er nur beim Abendessen und nicht länger als eine Viertelstunde Licht brennen. Gehindert an allem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_598.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)