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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dabei werden aber die Realien, das Rechnen und Zeichnen keineswegs vergessen. Auf letzteren wird namentlich Gewicht gelegt. In den obern Classen tritt auch als Gipfelpunkt der Religionsunterricht hinzu. Die Pantomime, die in der Unterclasse vorwiegend war, in den Mittelclassen mit dem gesprochenen Worte gleichbedeutend dasteht, tritt in der Oberclasse nur als Begleiterin des Worts, als Geste auf. So wird auch der Religionsunterricht „sprechend mit pantomimischem Ausdruck“ gegeben. „In der Schrift allein ist und läßt er, bei aller Erklärung, kalt, wie die Januarsonne. In der Pantomime allein, die der Lehrer ohnedies nie mit dem geschriebenen Wort in gleichem Moment geben kann, läuft der Unterricht Gefahr, das Erhabene und Geistige in das Gemeine und Sinnliche herabzuziehen.“

Das Leipziger Institut hat einige seiner befähigtsten Schüler zu Lehrern herangebildet, in denen die Taubstummenbildung gewissermaßen ihren Kulminationspunkt erreicht hat, und diese Männer wirken mit reichem Erfolge unter ihren Schicksalsgenossen.

Es war 12 Uhr. Die Schule wurde geschlossen, und mit Hochachtung schied ich von einer Anstalt, die ihre Aufgabe in so tüchtiger Weise löst.





Ein deutscher Colonist in Algerien.

Aus dem Tagebuch eines deutschen Officiers in der Fremden-Legion in Algier.

Wir kehrten im Herbst 1853 aus den ungesunden Ebenen von Lhabra zurück, wo wir mehrere Monate hindurch campirt hatten, beschäftigt mit dem Neubau einer Chaussée von Oran nach Maskara. Während unseres Aufenthalten in dieser sumpfigen, übel berüchtigten Gegend hatten Wechselfieber und Diarrhöe schon eine beträchtliche Anzahl der Leute theils in die Militärhospitäler von Oran und Maskara, theils in das Aushülfshospital zu Saint-Denis du Sig expedirt; und obgleich zweimal während der Dauer der Straßenbauten Nachsendungen von Truppen aus Sidi-bel-Abbés, unserm Standquartier, stattgefunden hatten, schlugen wir am Abend den 23. October obigen Jahres doch nur in der Stärke von etwa 800 Mann unser kleines Zeltlager vor dem Dorfe Tlelat auf, das wir zu Anfang Juni mit 1400 Mann passirt hatten.

Mir ging es, obgleich ich beritten war, wie den armen Teufeln, welche die ungeheure Etappe von 48 Kilometern (12 guten Stunden) zu Fuße und schwer bepackt hatten machen müssen: ich war ermattet zum Umfallen. Obgleich wir in den letzten Tagen des October waren, hatte doch die afrikanische Sonne den ganzen Tag mit wirklich außergewöhnlicher Gluth ihre versengenden Strahlen herabgesandt, und – was das Schlimmste war – nicht einen Tropfen genießbaren Wassers hatte der ganze nicht enden wollende Weg geboten. Zum Ersatz dafür trocknete ein feiner, überall eindringender Sandstaub die nach Erfrischung lechzenden Kehlen vollends aus, und gleich als hätte die von der Sonne auf uns herabströmende Gluth nicht genügt, unsere Situation mehr und mehr beschwerlich zu machen, selbst von unten herauf wurden wir von der Hitze attaquirt, da der Boden unter unsern Füßen, durch die Sonnenstrahlen ausgetrocknet, dieselben zurückwarf.

Genug, als endlich „Halt“ für diesen Tag zum letzten Male commandirt war, ließ ich mich mehr von meinem Grauschimmel heruntergleiten, als ich sprang, warf ihm die Zügel auf den Nacken und begann vor Allem damit, meinen erschöpften und ermüdeten Gliedern durch ein längeres Strecken und Recken einige Geschmeidigkeit wiederzugeben. Während dieser wohlthuenden gymnastischen Uebung hatte sich mein Schiras (dies war der Name meines Pferdes) vergebens bemüht, auf dem unfruchtbaren Boden etwas für seinen Appetit zu finden. Schon zweimal hatte ich nach meinem Burschen, einem braven Deutschen, gerufen; doch wer nicht kam, war mein Fritz Becker.

„Wo zum Henker steckt mein Fritz?“ fragte ich einen Trainsoldaten, der mit zwei großen Pferdeeimern voll frischen Quellwassers bei mir vorüberging; bei welcher Gelegenheit ich noch meinen Schiras von dem verlockenden Labetrunk zurückzuhalten alle Mühe hatte.

„Ihr Fritz, Herr Lieutenant,“ antwortete mir der Trainsoldat, „hat heute gute Zeit; hier in Tlelat giebt es viele deutsche Colonisten, und er kennt einige Familien. Hat mir schon auf dem Marsche davon gesprochen und gesagt: „Sobald wir in Tlelat angekommen sein werden, werde ich meinem Herrn ein paar Flaschen deutsches gutes Bier, einen Laib deutsches Brod und deutschen Käse, und meinen Pferden einige Metzen Hafer holen; weiß schon wo ich das Alles kriege.““

Ich war, ich gestehe es, schon im Begriff gewesen, meinem Fritz über sein unerklärlichen Verschwinden, gerade in dem Augenblick, wo ich seiner am nöthigsten bedurfte, zu zürnen; die durch die Mittheilung des Trainsoldaten mir gewordene Aussicht auf langentbehrte Genüsse stimmte mich indessen um so mehr zu Gunsten meines Deserteurs, als mir sein Vorhaben ein neuer Beweis seiner treuen und schon in so manchen kritischen Fällen bewährten Anhänglichkeit an mich war. Ich begann daher nunmehr meinen Grauschimmel seines Sattel- und Zaumzeugs zu entledigen. Einige Leute meiner Compagnie, vermuthlich von Fritz dazu beauftragt, waren bereits mit Aufschlagen meines Zeltes beschäftigt, und nicht lange dauerte es, so lag ich ausgestreckt auf meinem portativen Feldbette, das, gleichwie das Zelt, auf Maulthiersrücken den Weg gemacht hatte.

Eine halbe Stunde mochte ich, behaglich mich streckend und eine Pfeife rauchend, der Ruhe gepflegt haben, als mein Bursche, beladen wie ein Maulthier, in mein Zelt trat und mich folgendermaßen apostrophirte: „Seien Sie nicht böse, Herr Lieutenant, das ich so lange ausgeblieben; doch ich wollte früher als die übrigen Deutschen im Dorfe sein, um für Sie alles das haben zu können, was ich mir ausgedacht und was Ihnen auch gewiß lieb sein wird.“ Und dabei legte er, eines nach dem andern, ein mächtiges Roggenbrod, einen Topf mit sauern Gurken, mehrere sehr einladende, ganz auf deutsche Art fabricirte Käse und sechs Flaschen deutschen Gerstensaftes auf den Feldtisch. „Und nun, Herr Lieutenant,“ fuhr Fritz fort, „werde ich schnell die Pferde besorgen, denen ich auch etwas mitgebracht habe, das sie seit Jahr und Tag nicht gesehen: prächtigen Hafer! – Sobald unsere Compagnie kochendes Wasser hat, mache ich dann auch gleich Ihren Kaffee. Sie sollen schon mit mir zufrieden sein und an die Heimath denken, wenn ich Ihnen das Abendessen vorsetze; wenn’s auch einfach ist, aber es ist doch ein deutsches!“

„Gut, Patriot!“ sagte ich, „hast Recht. Aber erkläre mir doch, wie kommt es, daß Du so bekannt hier bist und in so kurzer Zeit alle diese herrlichen Sachen, mit denen Du beladen warst, bekommen hast?“

„Das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen schon ein andermal erzähle und in der’s nicht viel Lustiges giebt. Doch die Familie, von der ich so reichlich beschenkt bin und der ich viel Gutes von Ihnen erzählt habe, ist begierig Sie zu sehen und läßt Sie bitten, morgen Mittag eine deutsche Suppe bei ihr zu essen. Und da wir morgen so wie so Ruhetag hier haben, so dachte ich: der Herr Lieutenant wird's wohl nicht ausschlagen, und habe die Einladung in Ihrem Namen angenommen. Sie werden’s nicht bereuen; es sind gute, kernbrave Leute, die auch in den sechszehn Jahren ihres Aufenthalten in diesem Lande schon manchen Fünffrankenthaler (Duro in Algerien genannt) gespart haben. Also, nicht wahr, Herr Lieutenant, wenn ich zur Nacht noch einmal hinübergehe in’s Dorf, da kann ich dem Christian Wöhler und seiner Frau sagen, daß mein Herr morgen Mittag ihr Gast sein wird?“

„Von Herzen gern, Fritz! – Und dank’ ihnen auch meinerseits schon heute für das heimathliche Abendessen; grüß’ sie freundlich von mir, die guten Leute.“

Während dieser Unterredung hatte mein Bursche dem Inneren meines Zeltes (welches zugleich das seinige war), so weit dies im Lager- und Marschleben thunlich, die möglichste Bequemlichkeit gegeben, Alles an seinen Ort gebracht, meine und seine Waffen an der Zeltstange in der Mitte aufgehängt, und ging nun, nachdem ich mich bereit erklärt, dem morgigen Schmause beizuwohnen, hinaus, um nach den Pferden zu sehen und den unfehlbaren Kaffee für mich zu besorgen. Bald brachte er mir denn auch den dampfenden Mokka. Durch den Genuß desselben neu gestärkt und nachdem ich mein Marschcostüm gegen ein anderes vertauscht hatte, machte


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_602.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)