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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 39.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Des Kaufmanns Ehrenschild.

Dr. J. D. H. Temme.
(Schluß.)


Als ich mich auf den Weg zum Schlosse machen wollte, kam jenseits der Brücke von der Chaussee her im Galopp ein Reiter angesprengt. Er warf sich vom Pferde und kam in den Park. Es war ein reitender Bote, den mir der Polizeidirector mit einem versiegelten Packet aus der Stadt schickte. Ich mußte bleiben. Ich riß das Siegel auf und fand mehrere Papiere. Wenige Zeilen des Polizeidirectors lagen bei. Er habe in der Wohnung und unter den Sachen des Todten genaue Nachsuchung gehalten; Näheres über dessen Person habe er nicht vorgefunden; die beikommenden, aufgefundenen Papiere würden aber auf eine in so mancher Hinsicht bedauerliche Weise ein weiter zu verfolgendes Licht auf das aller Wahrscheinlichkeit nach vorliegende Verbrechen eines vorher überlegten Mordes werfen.

In dem Schreiben war noch ein sehr kleiner Schlüssel eingeschlossen; er habe in einer verborgenen Schublade eines Secretairs gelegen und werde zu der auf der Brust des Todten gefundenen Kapsel passen. Der Polizeidirector war erst nach einer äußerlichen Untersuchung der Leiche von Holbergen abgegangen. Ich las zuerst die Papiere, die ein Licht über die That verbreiten sollten. Sie gaben ein für mich entsetzliches Licht. Es war zunächst eine Correspondenz zwischen Holberg und einem Herrn Frank in New-York.

Die Briefe Holberg’s waren im Original da, die Frank’s in zurückbehaltenen Abschriften. Sie waren ungefähr drei Jahre alt und ergaben Folgendes:

Holberg und Frank hatten früher in New-York ein Compagniegeschäft betrieben, unter der Firma Schuler und Compagnie. Frank hatte damals den Namen Schuler geführt. Später war Holberg nach Deutschland zurückgekehrt und hatte hier ein neues Geschäft begonnen, unter seiner eigenen und alleinigen Firma Friedrich Holberg. Es war gleichwohl ein Compagniegeschäft zwischen ihm und Frank, gegründet mit ihrer Beider gemeinsamen Mitteln und auf gemeinsame, gleiche Rechnung. Frank sollte nur nicht als Compagnon genannt werben. Das New-Yorker Geschäft war unterdeß ganz das bisherige Compagniegeschäft geblieben. Einige Jahre später aber hatten die Compagnons sich getrennt; Holberg war aus dem amerikanischen und Frank-Schuler aus dem deutschen Geschäfte ausgetreten. Jeder Austretende war mit seinem Antheile an der bisherigen Gemeinschaft abgefunden. Frank hatte aus dem deutschen Geschäfte baare dreißigtausend Dollars erhalten.

Mit dieser Darlegung früherer Verhältnisse begann der erste Brief der Correspondenz. Er war von Frank an Holberg. Er fuhr aber fort, Holberg habe ihn bei jener Auseinandersetzung betrogen; das deutsche Geschäft habe zur Zeit der Theilung anstatt der sechzigtausend Dollars, die Holberg angegeben, und von denen er mit jener Hälfte zu dreißigtausend Dollars abgefunden sei, ein Vermögen von dreimalhunderttausend Dollars gehabt. Hiervon fordere er nun seine Hälfte, nach Abzug der bereits erhaltenen Summe, mit noch einhundertundzwanzigtausend Dollars, nebst Zinsen seit zehn Jahren. Die Beweise für seine Forderung besitze er in Documenten von Holberg’s eigener Hand, wie dieser wohl wisse. Wenn er seine Rechte nicht früher geltend gemacht, so beruhe das in eigenthümlichen Umständen, die Holberg ebenfalls kenne und zu deren Bekanntmachung dieser ihn nicht zwingen möge.

Es folgte die Antwort Holberg’s. Sie lautete einfach dahin, er sei dem Herrn Frank nichts mehr schuldig. Seine, Holberg’s, Bücher ergäben den klaren Beweis. Welche Bewandtnis es mit den Documenten habe, auf welche Frank sich beziehe, wisse dieser am besten.

Ein zweiter Brief Frank’s erwiderte, er bestehe auf seiner Forderung. Seine Documente seien echt, Holberg’s Bücher, wenn sie anders lauteten, könnten daher nur gefälscht sein.

Holberg entgegnete, er sehe ferneren Schritten Frank’s ruhig entgegen; dieser möge dabei nur bedenken, daß er ein noch immer in Deutschland steckbrieflich verfolgter Betrüger sei.

Hiermit schloß die Correspondenz. Eine Notiz von fremder Hand auf dem letzten Briefe bemerkte, daß Frank bald nach dessen Empfang gestorben sei. Beigefügt war ein Rechnungsabschluß von Holberg’s Hand. Er betraf das deutsche Compagniegeschäft Holberg’s und Frank’s und lautete in der That auf ein reines Geschäftsvermögen von dreimalhunderttausend Dollars.

Holberg, der edle Freiherr von Holberg, der weit und breit hochgeachtete Kaufmann, mein treuester, liebster Freund, also wirklich Betrüger und Fälscher! Betrüger nach seinem eigenen Zeugnisse, und Fälscher nach einem Vorwurfe, auf den er nur mit einer Drohung hatte antworten können! Und jetzt gar, seit der heutigen Nacht –! Ich konnte den Gedanken nicht ausrenken, den ich dennoch nicht von mir weisen konnte. Es schüttelte mich wie Fieberfrost.

Fast mechanisch nahm ich nur noch den kleinen Schlüssel, den der Polizeidirector mitgesandt hatte, um damit die auf der Leiche gefundene Kapsel zu öffnen. Er paßte zu dem kleinen Schlosse. Ich öffnete es. Es lagen zusammengefaltete Papiere darin. Das erste, das ich entfaltete, war ein Taufschein für einen Sohn von Frank. Das zweite ein Originalbrief Frank’s an Holberg. Bei seinem Lesen ergriff mich eine fast tödtliche Angst.

Er war wenige Wochen älter, als jener Vermögensabschluß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_609.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)