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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

von ihnen verschieden ist. Bei ihm fällt die Manier nicht unangenehm auf; ich meine selbst einem Deutschen nicht, denn die Engländer sind daran gewöhnt.

Sobald aber die Personen redend eingeführt werden, verwandelt sich der Vorleser in den Schauspieler, und man hat gerechte Ursache über Dickens’ großes Talent zu staunen. Er liest jede Person, wie er, deren Schöpfer, sie sich gedacht hat, und dieser Umstand giebt seiner künstlerischen Leistung ein noch ganz besonderes Interesse. Schließt man die Augen, so hört man nicht Dickens, sondern man hört den Doctor, die Wärterin, den kleinen, kranken Knaben und die andern Personen des Romans. Es ist erstaunlich, wie richtig Dickens alle Eigenthümlichkeiten der Classe von Personen, die er schildert, beobachtet hat, und noch erstaunlicher, daß er sie so täuschend copiren kann. Fast jeder der Zuhörer kennt einen Doctor, eine Wärterin etc., die gerade so reden wie Dickens, indem er sie darstellt, und das Gelächter bei den komischen Stellen ist nicht zu unterdrücken. Mich ziehen diese mehr an, als die rührenden; allein daß Dickens darin nicht weniger Meister ist, wird aus der Wirkung klar, die er hervorbringt, selbst unter den erschwerendsten Umständen. Als er auch die Stimme des kranken Kindes nachahmte, machte dies auf mich zuerst einen befremdenden Eindruck, den ich auch bis zum Ende nicht gänzlich los werden konnte; allein die englischen Zuhörer schienen nicht dasselbe Gefühl zu haben, denn viele Damen hielten ihre Taschentücher an die Augen, und eine, die mit ihrem Manne vor mir saß, weinte so laut, daß der letztere ganz ärgerlich wurde.

Die Gerichtsscene, in welcher Pickwick verurtheilt wird, der Wittwe Bardell für Brechung eines Eheversprechens eine bedeutende Summe zu zahlen, ist eine der besten des ganzen Buches. Sie enthält eine ganz köstliche Satire, deren Trefflichkeit nur von denen begriffen werden kann, welche mit dem englischen Gerichtsverfahren genau bekannt sind, und deren Humor keiner so vollkommen genießen kann, als wer sie von Dickens selbst vorlesen hörte. Alle darin auftretenden Personen waren so scharf und bestimmt durch Ausdruck, Ton und Manier ihrer Rede gezeichnet, daß man jede Individualität augenblicklich erkannt haben würde, wenn auch der Name des Redenden nicht genannt worden wäre. Der Richter Starnleigh war herrlich; der stotternde Mr. Winkle classisch komisch; Sam Weller köstlich; aber der Lichtpunkt der ganzen unübertrefflichen künstlerischen Leistung des Verfassers der Pickwickier war die Rede des Sergeant Bugfug für die Klägerin Mrs. Bardell! Jedes Wort war köstlich, jede Gebehrde der Natur abgelauscht und, obwohl nur ganz gelinde übertrieben, so überwältigend komisch, daß das Lachen kein Ende nahm und manche der Zuhörer beinahe den Lachkrampf vor Vergnügen bekamen. Ich muß gestehen, ich habe in meinem Leben nichts Komischeres und Amüsanteres gehört. Was das Verdienst dieser Vorlesung noch bedeutend erhöhte, war, daß ihre Wirkung nicht durch niedrige Buffonerie erzielt wurde; ein Fehler, in welchen komische Schauspieler so häufig verfallen. Es war da nicht eine Gebehrde, nicht ein Ton, der mich unangenehm für Dickens berührte; das Ganze war eine durchaus künstlerische, eines humoristischen, so bedeutenden Schriftstellers wie Dickens vollkommen würdige Leistung. Ich verließ den Saal, geheilt von meinem Vorurtheil, voll von Bewunderung für das Talent des Vorlesers und dankbar für den köstlichen Abend, den derselbe mir gewährte.

Corvin.





Ein deutscher Colonist in Algerien.

Aus dem Tagebuche eines deutschen Officiers der Fremden Legion in Algier.
(Schluß.)


„Ich schwang mich nun,“ fuhr Wöhler fort, „auf die Höhe der Mauer und sah zu meinem Entsetzen, daß außen herum Alles von weißen Burnussen wimmelte. Allein ich verlor nicht den Muth: die bereits gefallenen Schüsse mußten auf dem Fort (dem bereits erwähnten „Häuserquadrat“) gehört worden sein, und ich konnte von dort aus jeden Augenblick Hülfe erwarten. Inzwischen war es auch den Soldaten gelungen, vollständig der mit ihnen kämpfenden Kabylen Herr zu werben. Wir wandten uns daher nun vereinigt dem äußeren Feinde zu, der seine ganze Stärke auf den einzigen zugänglichen Punkt, die Brücke, concentrirt hatte. Mit Hülfe der in der Mauer auf beiden Seiten des Thores angebrachten Schießscharten gelang es uns, die Angreifer auf einige Zeit im Schach zu erhalten; doch lange konnte dies nicht währen, da die Kabylen, uns hundertfach an Stärke überlegen, endlich den Vortheil behalten mußten. Auch waren bereits drei der Vertheidiger auf unserer Seite kampfunfähig: zwei Soldaten, von denen der Eine einen Schuß in die rechte Schulter und der Andere einen in den Leib bekommen und mein damals 14 Jahr alter ältester Sohn, dem eine Kugel die linke Hand zerschmettert hatte. Plötzlich, als gerade unsere vereinigten Kräfte auf die Deckung des Einganges gerichtet waren, entdeckte ich zu meinem Entsetzen, daß es den Kabylen gelungen war, von der entgegengesetzten Seite die Ringmauer zu erklettern. Als ich mich an der Spitze von vier Mann dem bedrohten Punkte zuwandte, war es bereits zu spät. Einige vierzig dieser blut- und beutegierigen Gebirgsbewohner hatten bereits das Innere erreicht, und nun begann ein Kampf der Verzweiflung Mann gegen Mann, das heißt, Einer gegen Zehn. Schon beim ersten Lärm hatte ich sofort Frau und Kinder in ein sicheres Versteck, ein tiefes und wohlverdecktes, zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und Früchten bestimmtes Erdloch von ziemlichem Umfang gebracht, um sie in Sicherheit zu wissen und durch ihr Geschrei und Gejammer nicht in der Vertheidigung von Habe und Leben gehindert zu werden. Und dies war gut; denn die Feinde, sobald sie in überwiegender Menge im Innern der Ringmauer sich befanden, begaben sich sofort an die Plünderung und zündeten an, was nur immer brennbar war.

Im Augenblicke, wo ich, schon der Verzweiflung nahe, unser Häuflein immer mehr zusammenschmelzen sah und nur noch dachte, durch den Tod dem schrecklicheren Loose, nämlich der Gefangenschaft, zu entgehen, hörte ich ganz in der Nähe die wohlbekannten Töne der Signaltrompete. „Gott sei Dank!“ rief mir der Corporal von weitem zu. „Muth, Meister Wöhler! die Cavallerie und Artillerie des Forts kommt zum Entsatz im Galopp heran!“ – Und so war es, und auch Zeit war es!

Kaum vernahmen die Feinde die ihnen nur zu gut bekannten Signale, als ein panischer Schreck an die Stelle des Uebermuthes und der Siegestrunkenheit trat, und nun Jeder von ihnen so schnell als möglich den Ausgang zu erreichen oder über die Ringmauer zu entkommen suchte. Doch jetzt war die Reihe an uns, und was unsern Kugeln oder Bajonnetstößen entging, fiel draußen unter die scharfe Klinge der französischen Cavallerie, vor der die Kabylen allen Respect hatten; nicht zu rechnen, daß zwei Berggeschütze einen Hagel von Kartätschen zwischen die dichten Massen der Räuber warfen.

Gerettet waren wir nun – doch um welchen Preis! Mein Wohnhaus war vom Feuer zerstört, mein Vieh theils verbrannt, theils verschwunden, einer meiner Diener getödtet, ich und mein Sohn verwundet und von den zehn bei mir einquartierten Soldaten nur noch drei kampffähig, vier Andere waren verwundet, drei getödtet. – Doch wir hatten unsere Verluste theuer erkaufen lassen, indem mindestens vierzig todte oder verwundete Feinde den Boden des Hofes bedeckten. Noch größer war die Zahl der Gefallenen draußen, wo die reitenden Jäger und die Artillerie unbarmherzig das verheerende Handwerk des Krieges übten.

Sobald der letzte Feind verschwunden war, ritt der commandirende Officier über die Brücke, kam zu mir und drückte mir sein Bedauern aus, daß es ihm nicht vergönnt gewesen sei, eher auf dem Schauplatze des so ungleichen Kampfes zu erscheinen. Dann machte sich der gleichfalls aus dem Fort angelangte Arzt daran, den Verwundeten die schnellste Hülfe zu leisten und die, welche den Transport vertragen konnten, sofort nach den Hospitälern der Stadt schaffen zu lassen. Unter diesen letzteren befand sich auch mein Sohn. Sodann holte ich meine Frau und Kinder aus ihrem Versteck unversehrt hervor und begann, soviel es für den Augenblick möglich, aus Bretern uns ein provisorisches Obdach zu bauen. Den Truppen war es gelungen, den größten Theil meines zerstreuten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_614.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)