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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 40.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Die drei Großmächte.

Sittenbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Levin Schücking.


1.

Es war um das Jahr 1760, als zwei junge Wanderer mit dem Ränzlein auf dem Rücken durch die schöne süddeutsche Landschaft schritten.

Der Eine von unseren Wanderern ist der jüngere Sohn eines jüngeren Zweiges eines alten Grafengeschlechtes, das in den fern abliegenden Gegenden Rhätiens daheim war, und dessen Linien sich nach der Farbe ihres Wappenzeichens, einer Fahne, unterschieden; welche berühmten und in allen heraldischen Werken zu findenden Fahnen nur leider in den letztvorangegangenen Zeiten so gar fröhlich und üppig geflattert hatten, daß nach und nach auch der einst große Reichthum des Hauses dahin geflattert und jetzt völlig verschwunden war.

Je stiller und langweiliger unter solchen Umständen mit jedem Jahre das Leben auf seiner väterlichen Burg wurde, desto mehr sehnte der junge Graf Albrecht von Werdenfels sich aus dieser Burg in die Welt hinaus. Die Welt, dessen war Graf Albrecht gewiß, mußte ihm im Vergleich zur Heimath außerordentlich gefallen, und nebenbei war er nicht abgeneigt anzunehmen, daß auch er – solche Eindrücke sind ja gewöhnlich gegenseitig – der Welt gefallen werde. Und Niemand hätte das als eine unberechtigte Eitelkeit auslegen können; weshalb sollte ein junger Graf, der einen Wald von dunkelkastanienbraunen Locken, große, feurige, blaue Augen und einen überaus zierlichen Mund besaß, und auf dessen Wangen der rosige Widerschein seiner heitern rothen Wappenfahne lag – Albrecht gehörte zu der Linie von der rothen Fahne, die immer am fröhlichsten geflattert hatte und deren Burg die verfallenste von allen war – warum sollte er nicht der Welt gefallen?

Die Schwierigkeiten, welche sich einer Reise entgegenstellten, hatte Graf Albrecht besiegt. Er hatte einen kleinen Beutel mit Goldstücken von seinem Vater eingetauscht gegen das feierliche Versprechen, in strengem Incognito als „Albrecht Fels“ reisen zu wollen, damit der Umstand, daß ein Graf Werdenfels als einfacher Fußwanderer durch die Welt gezogen, nicht einen ewigen Schandfleck auf die Linie „von dem rothen Fahn“ und das gesammte Haus der Werdenfels bringe. Auch hatte er versprochen, sobald er auf seiner Reise durch Schwaben und das Donauthal hinunter in die Kaiserstadt Wien gekommen, ein großes Empfehlungsschreiben seines Vaters an den Reichsvicekanzler abgeben zu wollen. Es sollte dann ganz diesem gewiegten und allmächtigen Staatsmann anheimgegeben werden, wie ihn derselbe etwa in kaiserlichen Diensten, z. B. als Oberst eines Reiterregiments, als Feldmarschalllieutenant, Landeshauptmann oder Gouverneur einer bedeutenden Festung, oder in irgend einer andern für einen Grafen Werdenfels passenden Stelle unterbringen wolle.

Albrecht von Werdenfels nahm also vom Vaterhause an einem sehr schönen Sommertage Abschied und wanderte rheinabwärts in die Welt hinein, indem er sich die Zeit damit vertrieb, daß er sich einige alte Volkslieder vorsang, ohne darauf zu achten, daß die düsteren grauen Felsenwände, an denen sein Weg in dem stillen engen Thale vorüberführte, nicht das mindeste Vergnügen darüber verriethen, ja daß sie ihm wohl wie spottend ein Echo zurückwarfen. So oft dies geschah, blieb Albrecht stehen und warf dem tückischen Gesellen, der ihn aus der Klippenwand höhnte, laut und aus voller Brust das Wort seines Liedes zu, das ihn gerate am meisten zu ärgern schien. Nach und nach aber ermattete der junge Mann in diesem Spiele, da er die Erfahrung machte, daß das Echo in einem solchen kleinen Disput immer das letzte Wort behielt.

Der zweite Tag seiner Wanderung führte ihm einen Gefährten zu. Er fand ihn in dem großen Nachen, mit dem er die Ueberfahrt über den Bodensee nach Lindau zu machte. Es war ein junger Mensch von ungefähr demselben Alter, in welchem Albrecht stand, aber einem sehr verschiedenen Aeußeren. Er war mager, äußerst gelenkig und behende, gelb von Farbe wie ein Zigeuner, und während aus seinen schwarzen, schmalgeschlitzten Augen Lebenslust und Keckheit blitzten, zeigte der ziemlich breitlippige Mund ein nur selten und auf Augenblicke schwindendes Lächeln, das bereit schien, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit in ein helles und herzliches Gelächter überzugehen. Da die Fahrt auf dem weiten stillen Wasserspiegel sehr langweilig war, so begannen die jungen Leute eine Unterhaltung, die der Fremde in einem gebrochenen und unendlich komisch lautenden Deutsch führte, welches Albrecht so erheiternd eigenthümlich fand, daß er fortwährend darauf Bedacht blieb, dies Gespräch nicht abbrechen zu lassen. Auf diese Weise wurden sie nach und nach sehr vertraut mit einander, und als mit scheinbarer Offenheit Albrecht mitgetheilt hatte, daß er ein reisender Student sei, der die Hochschule zu Wien beziehen wolle, nachdem er sich auf einer Fußwanderung durch Schwaben im Reiche umgesehen, trug ihm der Andere seine Begleitung auf dieser Reise an.

„Ich bin ein Venetianer,“ sagte er, „und heiße Fano[1] Solari; ich habe also, wie Ihr sehet, ein Vaterland, in welchem junge Leute meiner Gemüthsart immerhin ihren Zeitvertreib und die Befriedigung des natürlichen Wunsches finden können, von der Welt um sie her amusirt zu werden; insofern brauchte ich nicht den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_625.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
  1. Stefano