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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Wanderstab zu ergreifen, um in’s Land der Schwaben zu reisen. Es ist etwas Anderes, was mich verführt hat, eine kleine Streiferei in diese dunklen und nebelhaften Gegenden zu wagen; denn, um es Euch mit einem Worte zu gestehen, ich habe vor etwa einem Vierteljahre meine Mutter, Frau Teresa Solari, die bisher allein für mich sorgte, verloren. Und weil es nun nicht gut ist, daß ein Jüngling von meiner Gemüthsart sich ganz ohne elterliche Aufsicht befindet, so habe ich den Entschluß gefaßt, mich aufzumachen, um statt der verlorenen Mutter einen treuen und zärtlichen Vater zu ermitteln. …“

„Das soll heißen?“ fiel Albrecht lachend ein.

„Euer Lachen zeigt mir, daß Ihr verstanden habt, was es heißen soll!“

„Weshalb,“ fuhr Albrecht kopfschüttelnd fort, „wendet Ihr denn just Eure Schritte dahinüber – gewährt es Euch eine besondere Befriedigung, einen Schwaben zum Papa zu bekommen?“

„Nicht eben das,“ entgegnete Fano Solari. „Aber im Nachlaß meiner guten Mutter befanden sich einige Briefe, deren nähere Durchsicht mich vermuthen ließ, daß dasjenige auf meine Verehrung berechtigte Wesen, welches ich daheim in unsrer kleinen Häuslichkeit seit je vermißt habe, aus Schwaben gekommen sei und sich vor dem Zeitpunkt, mit welchem meine Zeitrechnung beginnt, eine Weile in Venedig aufgehalten haben muß.“

„Nun,“ versetzte Albrecht, „dann wünsch’ ich Euch Glück zu der Fahrt. Vielleicht findet Ihr das, was Ihr sucht, in irgend einem Schlosse oder einem schönen, stattlichen Patrizierhaus in dem Lande, welches dort am andern Seeufer vor uns liegt. Denn es ist Jedermann bekannt, daß die reichen und vornehmen Herrn desselben es zu ihrer Ausbildung für nöthig halten, als junge Leute einen oder den andern Winter in dem schönen fröhlich-üppigen Venedig zuzubringen und an seinen Freuden mit dem mehr oder minder größern Erfolg für ihre moralische Vervollkommnung Theil zu nehmen, mit welchem sie dann zurückkehren.“

Fano nickte mit dem Kopfe. „Meine Mutter Teresa Solari,“ sagte er, „war aus einem guten Hause, und ein anderer als ein durch seine Herkunft und seine Stellung empfohlener Herr hätte es nicht vermocht, ihr Herz zu gewinnen.“

„Enthalten denn die Briefe, welche nach Eurer Mutter Tod in Eure Hände fielen, nicht den Namen besten, den Ihr sucht?“

„Nein. Sie sind unterschrieben mit den Buchstaben C.X.X., und die Poststempel der zwei oder drei letzten, welche nicht mehr das Datum Venedig tragen, zeigen den Namen Lindau. Da dies nun die kleine Inselstadt hier vor uns ist, so muß nothwendiger Weise meine Jagdstreiferei auf den treulosen Mann, der sich solcher Hieroglyphen bediente, dort beginnen.“

„C. X. X.,“ wiederholte Albrecht, „das sind nicht gerade Hieroglyphen; als römische Zahlbuchstaben bedeuten sie 120, und wir wollen hoffen, daß sich diese Zahl nicht als eine Art Nummer auf Euch beziehe.“

Beide lachten herzlich über Albrecht’s Einfälle. Der Italiener suchte dann seine Briefe hervor und übergab sie Albrecht, damit er sie durchlese und ihm seine Meinung darüber sage, und Albrecht steckte sie zu sich, um, sobald er Muße finde, des Reisegefährten Wunsch zu erfüllen. Dann zogen sie in die merkwürdige kleine Seestadt Lindau ein, welche jetzt ihr Schiff erreicht hatte. Und am anderen Tage zogen sie in’s hügelige schöne Schwabenland, auf Ravensburg zu, und dann über Ravensburg hinaus, mitten in die fremde Welt mit ihren seltsamen malerischen Städtchen an den Flüssen, ihren alterthümlichen Schlössern und Burgen auf den Felsen und ihren großen Abteien und Klöstern auf den Halden rebentragender Hügel.

Eines Abends hatten sie die Gastlichkeit eines großen und prächtigen Klosterbaus in Anspruch genommen, welches die Abtei Triefalten hieß und von Mönchen bewohnt war, die sich ihr Gelübde, wie es schien, außerordentlich leicht gemacht hatten. Die Herren ließen sich Stiftsherren nennen, trugen sich, wie es ihnen beliebte, und schienen auch zu thun, was ihnen beliebte. Als unsere beiden Reisenden in Erwartung der Abendmahlzeit in den Höfen und Gärten umherschlenderten, sahen sie eine Gruppe derselben in einer schattigen Rebenlaube hinter großen Weinkrügen sitzen; zwei andere waren damit beschäftigt, unfern davon einen unglücklichen Jagdhund zu dressiren, und einer saß in Hemdärmeln an einem Aepfelbaum und blies hier melancholische Weisen auf auf der Flöte, ohne sich durch das Gelächter der Zechenden und das Heulen des geprügelten Hundes stören zu lassen.

Als unsere jungen Leute eine Strecke weit in den großen Klostergarten hineingeschritten waren, kam ihnen seitwärts aus einem Gebüsche einer der Stiftsherrn, ein langer und großgewachsener Mann, entgegen, der im langsamen Auf- und Abwandeln in einem Romane las, den er jetzt zuklappte und in die Tasche seines langen schwarzen Rockes von leichtem Sommerzeug gleiten ließ. Er gesellte sich zu den Fremden, unterhielt sich mit großer weltmännischer Gewandtheit mit ihnen, und endlich forderte er sie auf, am morgigen Tage zu rasten und einer großen Jagd auf Hochwild zuzuschauen, welche ein benachbarter großer Herr, der Reichsgraf von Glimmbach zu Hohenklingen, veranstaltet und wozu er sowohl den ehrwürdigen Vater in Gott, den zeitigen Herrn Prälaten dieses ausgezeichnet fürnehmen und edlen Stifts Triefalten, als auch den regierenden Bürgermeister der nahen freien Reichsstadt Großlingen, seine beiden Grenznachbarn, einzuladen nicht verfehlt habe. So hohe und fürstliche Herren in nächster Nähe, an einem anziehenden Schauspiele sich betheiligend, zu erblicken, war für unsere Wanderer allerdings verlockend; und also beschlossen Albrecht und Fano dem Winke des geistlichen Herrn zu folgen.




2.

Es war ein schöner, warmer Sommertag, als die beiden jungen Leute um eine nicht mehr gar zu frühe Morgenstunde aufbrachen und, nachdem sie ihr leichtes Gepäck dem Bruder Pförtner übergeben, durch das Pförtchen im Thorbau des großen Klosters und reichsfreien Stifts hinausgelassen wurden. Die Landschaft lag in allem Reiz eines duftigen Morgens vor ihnen: Wiesenthäler, waldgekrönte Hügelreihen, Rebengelände und Ackerfluren. Doch herrschte der Wald, der rechts und links die Anhöhen bedeckte, vor; in einer Thalsenkung in der Ferne sah man die Spitzen und Wetterhähne einiger Thürme aufleuchten; es war die, wie der Stiftsherr versichert hatte, berühmte freie Reichsstadt Großlingen.

Eine Höhe rechter Hand, welche der Pförtner des Convents den Galgenberg nannte, war Albrecht und Fano als der Punkt bezeichnet, der das Jagdrendezvous bilde, und wohin sie sich zunächst zu begeben hätten. Als sie auf leicht zu findenden Fußsteigen so dahinschritten und allmählich zu steigen begannen, wurde ihre Heiterkeit vielfach durch die seltsamen Gestalten der Bäuerlein angeregt, welche ihnen begegneten oder auch wohl, mit Klappern und Stecken ausgerüstet, an ihnen vorübereilten, um sich zum Jagdrendezvous zu begeben, offenbar ängstlich, daß sie zu spät eintreffen könnten. Es waren in der Thal eigenthümliche Individuen, die in den großen dreieckigen Hüten und den langen bis an die Knöchel reichenden Röcken nur ein wenig zu gedrückt, trübselig und verwittert aussahen, um den Eindruck einer grenzenlos komischen Gnomenrace zu machen.

Die jungen Leute kamen endlich in den schönen hochstämmigen und dichten Bergwald, durch den allerlei Schneißen liefen, und wo Grenzpfähle mit verschiedenen Wappen standen. Nachdem sie eine Weile unter den hochwipfeligen Stämmen fortgewandert waren, bog der Weg in eine zur nächsten Höhe emporführende Allee ein, und am Ende derselben, auf jener Höhe, nahmen Albrecht und Fano einen Gegenstand wahr, der ihnen zeigte, daß sie nicht irre gegangen waren, als sie sich aufmachten, den „Galgenberg“ zu erreichen.

Jener die Höhe krönende Gegenstand war nämlich in der That das auf drei Beinen ruhende, verwitterte und sehr altersgrau aussehende Ding, welches zu allen Zeiten das Vorrecht gehabt hat, auf’s Vielfachste die Phantasie des Volkes zu beschäftigen.

Unfern, vielleicht einen Steinwurf weit davon entfernt und den beiden Wanderern näher, zeigte sich ein anderes und minder abschreckendes Etablissement. Unter einer großen Buche war eine geräumige und stattliche Jahrmarktsbude aufgeschlagen; hinter derselben stand ein mit einem Fasse beladenes Wägelchen, und ein dürrer ausgespannter Gaul weidete gierig inmitten der Allee das aufgeschossene Gras ab.

„Eine Marketenderbude!“ sagte Fano, „wenn sie auch für die nicht zur Jagd eingeladenen Gäste einen frischen Trunk hat, so bin ich in bester Stimmung ihr Kundschaft zuzubringen.“

„Ihrem Dasein liegt jedenfalls ein menschenfreundlicher Gedanke zu Grunde,“ versetzte Albrecht, „und der Mann, der auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_626.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)