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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und weil wir nicht genug erwägen, daß der noch bei weitem nicht so mächtige gegenwärtige Imperator gleichwohl schon Macht genug gehabt hat, uns aus der Ferne und auf indirectem Wege polizeilich maßregeln zu lassen. Es kann aber nur heilsam sein, sich immer auf’s Neue recht klar zu vergegenwärtigen, was man bereits einmal erleben mußte, um desto bester gewaffnet zu sein, wenn uns ähnliche Gefahren nahe treten. Denn jene frühern traurigen Zustände können, ja, es steht zu fürchten, sie werden wiederkehren, wenn der nicht unmögliche Fall eintritt, daß Deutschland noch einmal – wenn auch nur momentan – von den westlichen Nachbarn überrannt wird. Man täusche sich nicht, die dienstwilligen Werkzeuge jener Tyrannei würden alsbald wieder dastehen wie vor fünfzig Jahren, und – leider müssen wir auch dies noch befürchten – die Niederträchtigkeit, die Feigheit und Feilheit der hohen wie der niedern Verräther in unserer eigenen Mitte würden nicht verfehlen, ihnen die Hand zu bieten, und über Nacht könnte noch einmal verwirklicht sein, was uns jetzt kaum begreiflich dünkt.

Es läßt sich nicht leugnen, daß keine Nation der Welt so vorzügliches Talent zum Schergendienst entfaltet hat, wie die französische; so offenkundig dies aber auch ist, so gründlich man es auch seiner Zeit unmittelbar hat erfahren müssen, pflegt es doch jetzt nie genügend hervorgehoben zu werden, namentlich auch nicht von den Historikern der napoleonischen Zeit, einer Zeit, die man gleichwohl nur richtig versteht, wenn man sich das Wesen und die Wirkungen jener unerhörten Willkürherrschaft lebhaft vergegenwärtigt, wenn man sich erinnert, daß alle jene vielgerühmten Gehülfen Napoleon’s, und am allermeisten seine Marschälle, willenlose, knechtische Schergen waren; sie waren insgesammt, ohne Ausnahme, vom erbärmlichsten Schergengeiste besessen und während sie sich ihrerseits weit weniger durch den Schimmer jener übrigens sehr puerilen „Gloire“ (die niemals unserm „Ruhme“ entspricht), als vielmehr durch gemeinen Eigennutz und durch Bedientenfurcht vor dem Gebieter leiten ließen, flößten sie leider auch den Völkern, die sie in seinem Namen knechteten, eine Furcht ein, die in erschreckender Weise demoralisirend wirkte. Der Sänger hatte nur allzu Recht und schilderte nur allzu wahr, wenn er in seinem Aufrufe sagte:

„Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
Hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen – –
Das Winseln deiner Greise ruft: Erwache!
Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut!
Die Schande deiner Töchter schreit um Rache,
Der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blut!“ –

Aber es kam dann die Zeit, wo die Wunden vernarbt und beinahe vergessen waren, wo man nicht mehr begreifen mochte, wie die Deutschen den hochgefeierten Helden des Jahrhunderts einen „Wütherich“, einen „Bluthund“ hatten schelten können, eine Zeit, wo man den gerechten patriotischen Haß sogar lächerlich zu machen suchte und zu dem Ende Ausdrücke wie „Franzosenfresser“ erfand. Durch eine solche Selbstverspottung würde sich ein Volk auch nicht einmal dann ehren, wenn sie gerecht wäre.

Der Haß war ein nur allzu gerechter; – nur freilich muß man sich auch erinnern, daß nicht die Fremden allein, sondern daß vor Allem auch die damaligen Machthaber in Deutschland selbst an jener „tiefen Erniedrigung“ schuld waren.

Dem Gegner, der sich 1804 in Frankreich die Kaiserkrone auf’s Haupt gesetzt hatte, würde Deutschland ohne seine unselige Zersplitterung mehr als gewachsen gewesen sein, es würde keiner Coalition bedurft haben, um ihn im Schach zu halten. Die erste Bedingung, damit dies geschehen konnte, wäre gewesen: Einigkeit der deutschen Fürsten unter einander, d. h. sie hätten sich aller Eifersucht entschlagen und ihre eiteln Hausinteressen auf dem gemeinsamen Altare des Vaterlandes zum Opfer bringen müssen; nicht minder dringend nothwendig aber würde gewesen sein eine Appellation an das Volk, also das Zugeständniß, daß die Nation überhaupt eine selbstständige Geltung haben und nicht blos als willenloses Werkzeug dienen, nicht blos schwitzen, zahlen und bluten sollte. Nichts lag den Machthabern jedoch ferner als ein solcher Gedanke; die Dynastenhäuser allein und mit ihnen höchstens noch die Junker waren die Nation. Alle Uebrigen kamen nicht in Betracht und hatten keinenfalls eine Stimme, wenn es sich um das Interesse des Ganzen handelte; alle Uebrigen waren nur Nullen, auch z. B. die Männer nicht ausgenommen, die eine deutsche Kunst und eine deutsche Literatur geschaffen hatten, sie galten den Herren gewissermaßen nur als Spaßmacher und Maitres de plaisir, die man allenfalls einmal, je nach Umständen und je nach der Mode, allergnädigst protegiren konnte. Wenn es dem äußern Feinde zu begegnen galt, dachte man auch damals in Deutschland keineswegs an das Nächste, an die Wehrhaftmachung und Begeisterung des Volks (auch damals hielt man das vielmehr für gefährlich!), man dachte nur an die Herren Vettern, mit denen sich eine Coalition schließen ließe, damit dann ein jeder sein Contingent armseliger Gamaschenknechte in’s Feld schicken könnte.

Deutschland war in der That im Zustande tiefster Erniedrigung und Schmach: durch seine eigenen Fürsten zerrissen, zum Bruderkampfe gezwungen, von den Fremden geknechtet, von den Marschällen des Eroberers ausgesogen, von den französischen Schergen gemißhandelt und zum Schweigen gebracht durch die Furcht, die den ängstlichen Gemüthern eine Unzahl französischer Emissäre und Spione einzuflößen wußten, die unter allerlei Masken das Land überschwemmten. Der Nachbar mißtraute dem Nachbar, der Freund wagte im Briefe an den Freund kein Wort, keine Sylbe über die öffentlichen Zustände einfließen zu lassen, denn überall lauerte der Verrath, der Horcher war nahe, und die Häscher des Tyrannen waren zur Hand.

Aber unter dem Volke, das später, nach siebenjährigen namenlosen Leiden, das Joch brechen sollte, von dem es die Fürsten, die sich, bald eigennützig, bald feig, dem fremden Zwingherrn gefügt, nicht zu erlösen vermocht hatten, unter diesem Volke gab es auch damals noch Herzen, die keine Vergewaltigung einschüchterte, und Zungen, die keine Drohung zum Schweigen brachte. Im Gegentheil, sie waren es, die dem neuen französischen Kaiser Mißbehagen einflößten und Sorge erregten, und daher hatte Napoleon auch schon am 6. Juli 1806 ein außerordentliches Kriegsgericht ernannt, um Verfasser, Verleger, Drucker und Verbreiter von Spottschriften und Caricaturen über ihn und sein Haus zu entdecken und zu bestrafen.

Eine von patriotischem Zorn dictirte Flugschrift oder, wie die Knechte des Machthabers sie bezeichneten, eine „hochverrätherische Schandschrift“ war unter dem Titel „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ im Frühling 1806 erschienen. Diese Schrift ist durch das Schicksal Palm’s berühmt geworden, mag aber, weil man sie in verhältnißmäßig wenig Exemplaren verbreitet hatte, wenig Leser gefunden haben. Der größere Theil der Auflage wurde, so scheint es, vom Verleger und dessen Geschäftsfreunden vernichtet, und das Büchlein gehört daher jetzt unter die Seltenheiten. Ein unlängst erschienenes Schriftchen (J. Ph. Palm etc., von Fr. Schultheis, Nürnberg 1860) bezeichnet als den Verfasser der Broschüre Joh. Konrad von Yelin, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München (gest. 1826 in Edinburg). Die 144 Seiten starke Flugschrift beleuchtet im Eingange die damaligen Zustände Frankreichs, Napoleon’s innere und äußere Politik, und verbreitet sich sodann namentlich über die Ursachen des Verfalls und der tiefen Erniedrigung des deutschen Vaterlandes in treffender Weise und in Bemerkungen, die leider auch für die heutigen Zustände ihre Geltung noch nicht verloren haben. Am schärfsten äußert sie sich über das Gebahren der französischen Truppen in Deutschland und besonders in Baiern, als dessen „Verbündete“ dieselben nach den heillosen Tagen von Ulm, wo die Oesterreicher unter Mack das Gewehr gestreckt hatten, eingezogen waren.

Wir lassen einige Stellen aus der Flugschrift (die übrigens keineswegs einen Aufruf zum Aufruhr oder Meuchelmord enthielt) hier folgen, nicht weil sie an sich einen besondern Werth hätten, wohl aber weil sie insofern interessant sind, als es diejenigen waren, welche die Schrift in den Augen des Zwingherrn und seiner Gehülfen am stärksten gravirten und denen Palm sein Schicksal verdanken sollte.

„Napoleon’s Sprache und Erklärungen an dem Münchener Hofe waren viel zu sanft, als daß ein baierischer Einwohner von seinen bald erfolgenden unerhörten Bedrängnissen sich etwas konnte ahnen lassen. Nie aber wurde die Menschheit, unter dem Ausdruck der Freundschaft, boshafter als diesmal getäuscht; nie das Land eines verbündeten Fürsten schändlicher als diesmal die kurbaierischen Staaten behandelt. Fast gerieth man auf den verzweifelten Gedanken, Maximilian habe seine Erbländer, sich selbst und seinen ganzen Hof Frankreichs unumschränkter Gewalt unterworfen. Ungeheuere Lieferungen waren das erste Wort, womit man Städten und Dörfern in Baiern das Compliment machte. Nach diesem traurigen Willkomm eilte der Soldat wie ein ausgehungerter Wolf auf sein angewiesenes Quartier zu. Sonst pflegt der Hunger keine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_630.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)