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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Speise zu verachten, hier forderte er Leckerbissen zu seiner Befriedigung.“ –

Es folgt nun eine Schilderung der bis zum Ekelhaften getriebenen Böllerei der fremden Söldner, der Mißhandlungen, die sie sich gegen ihre Wirthe erlaubten, ihres an Frauen verübten grauenerregenden Frevels, und dann heißt es weiter: „Im dreißigjährigen Kriege lebte der Oesterreicher unter Tilly und Wallenstein gerade so wie jetzt der Franzose, und wenn sein Kaiser sich aus jenem Kriege nichts anmerkte, so hat er doch die damals übliche Unterhaltungsart eines Heeres genau copirt. Männer, denen aller Glaube beizumessen, haben als reine Wahrheit versichert, daß Frankreichs Oberhaupt, als ihm in München über die unerhörten Drangsale, worunter der baierische Einwohner seufze, die nachdrücklichen Vorstellungen geschahen, mit kaltem Blute sagte: „Das haben meine Leute nicht getan. Es ist Krieg; man lasse mich in Ruhe und störe mich nicht in meinem Plan.“ Schon im Dezember des vor. Jahres wird der Friede in Pressburg unterzeichnet, und von dem Augenblicke an hat Österreich Hoffnung, seine Feinde los zu werden. Hätte Bayern nicht ein gegründetes Recht, die Vorteile dieses Friedens zu genießen? Diese konnten keine andern sein, als daß das französische Heer abgeführt und das Land fernern Bedrückungen enthoben würde. Gerade das Gegenteil erfolgte. Die Franzosen ziehen sich aus den Staaten des deutschen Kaisers, um sich in Bayern festzusetzen und hier bei Fressen und Saufen ein durch Monate fortgesetztes Siegesfest mit dem Untergange aller Einwohner zu feiern. Wenn hier vom Untergänge die Rede ist, so nehme man das Wort in strengster Bedeutung und nicht als einen Ausdruck, der nur die Größe der Leiden, welche die Franzosen über den bairischen Staat herbeigeführt, angeben soll. Noch sind es nicht fünf Jahre, da ein feindliches Heer der nämlichen Nation in diesem Lande den Meister spielte. Und da zweifelt wohl Niemand, daß die damals den Einwohnern geschlagenen Wunden binnen dieser kurzen Frist bei den Wenigsten vernarben konnten. Der Landmann, des benötigten Zugviehes entblößt, hatte kaum angefangen, sich wieder mit Pferden und Rindern zu versehen, als der einem Einfall in allen Stücken gleiche Durchzug der Franzosen demselben diesen wichtigen Teil seiner Habe wieder entzog; Betrug, List, Gewalt boten einander hierin die Hände. Tränen und fußfälliges Bitten um Verschonung wurden mit Hohngelächter oder mit Schlägen abgewiesen. Der Franzose gab sich den Namen eines Retters von Bayern. Wahrlich eine Rettung, jener ähnlich, da der Kranke, welchen dieser Arzt früher in’s Grab geschickt hätte, unter der Hand eines andern blos eines langsamen Todes stirbt. Wenn irgend mit der Freundschaft ein Spott getrieben wurde, konnte er wohl bitterer fein als dieser? Doch es liegt ja in Napoleons Plan, Deutschland so zu entkräften, daß ihm für jetzt und die entfernteste Zukunft von dieser Seite nichts zu befürchten stehe.“

Die Broschüre, deren Verleger und Drucker nicht genannt waren, geriet im Hause eines Pfarrers unweit Nördlingen in die Hände einiger dort einquartierten französischen Offiziere, von denen einer Deutsch verstand. Sie denunzierten ihren Fund beim General Davoust (damals in Oettingen), welcher sofort dem Ursprünge der Schrift nachforschen ließ. Man verhaftete den Nördlinger Boten, der das Bücherpacket an den Pfarrer überbracht hatte. Der Bote behauptete anfangs, es von einem Unbekannten erhalten zu haben, da aber seine Frau plauderte, gestand er, daß es ihm vom Weinhändler Schilderer in Donauwörth übergeben worden. Man erfuhr ferner, daß die Stage’sche Buchhandlung in Augsburg die Broschüre als Neuigkeit versendet hatte, und der Commis dieser Handlung sagte aus, daß sie derselben von der Stein’schen Buchhandlung in Nürnberg zugesandt worden. Besitzer der letztgenannten Buchhandlung war Palm, der sich damals in Geschäften in München aufhielt.

Aus einem in dem erwähnten Schriftchen von Schultheis angezogenen Briefe Palm’s an seinen Buchhalter, sowie aus einem dort gleichfalls mitgetheilten Schreiben des Letztern an Palm läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß Palm die Flugschrift „Deutschland“ nicht blos hatte verbreiten helfen, sondern daß er selber der Verleger war. Der Drucker soll Hessel in Altdorf gewesen sein.

Als Palm Kenntniß von einem Artikel im Journal de Paris erhielt, welcher als den Verleger und ersten Verbreiter der „Schandschrift gegen den Kaiser und die große französische Armee und gegen die Freunde und Alliirten S. k. Majestät“ die Stein’sche Buchhandlung in Nürnberg bezeichnete, wendete er sich an das nürnberg’sche Vormundschaftsamt, die damalige Behörde der Buchhandlungen, und bat um gerichtliche Untersuchung, die jedoch unterblieb, da man die Angelegenheit nicht für wichtig hielt.

Während er sich noch in München befand, erhielt Palm von seiner Frau die Nachricht, daß am 28. Juli vier schwarz gekleidete Herren im Hause erschienen seien, um Nachfrage nach der Broschüre zu halten. Die strenge Haussuchung hatte jedoch ebenso wenig zur Entdeckung des eifrig gesuchten Manuscripts, als gedruckter Exemplare geführt. Der auf’s Aeußerste geängstigte Buchhalter Palm’s erstattete Letzterm in einem vom 7. August datirten Briefe ausführlichen Bericht über die Angelegenheit und ertheilte ihm zugleich nützliche Rathschläge. „ … Der Buchhändler Aussage nebst Protokoll ist bereits an Herrn General Bernadotte abgesandt; daß Sie bei Ihrer Zurückkunft ebenfalls vernommen werten, glaube ich wohl selbst, allein wenn Sie ebenfalls aussagen, daß sie an Unbekannte verkauft … so sehe ich nicht ein, wie man es Ihnen durchaus aufbürden sollte können, daß Sie der Verleger sein müssen, da ja kein einziger Beweis gegen Sie da ist. Sollte auch einer oder der andre ausgesagt haben, daß er es von Ihnen erhalten, so können Sie dies ja leicht einwenden, da ja die Fälle fast täglich vorkommen, daß wir Beischlüsse an andre Handlungen erhalten, die wir nicht sagen können, wo sie her sind, da nicht immer die Namen des Absenders darauf stehen und wir kein Recht haben, die Packete zu eröffnen … In Ihrem ganzen Hause ist kein Papier, das verdächtig machen könnte, alles ist bei Seite … Gehen Sie doch ja nicht nach Augsburg … oder gebrauchen Sie wenigstens alle mögliche Vorsicht. Könnten Sie sich nicht vom König von Baiern ein Diplom als baierscher Buchhändler auswirken … oder einen Rathstitel, wenn es auch etwas Geld kostete, so möchte es jetzt vielleicht sehr dienlich sein und Sie hier bei den Franzosen in Respect setzen … Sie müssen über meine Einfälle nicht lachen, Gott weiß es, daß ich es redlich mit Ihnen meine … Ob Sie durch ein längeres Ausbleiben der Untersuchung ausweichen, zweifle ich, im Gegentheil fürchte ich, Sie möchten sich dadurch erst verdächtig machen … Auf den 15. Juli soll die Uebergabe Nürnbergs an Baiern geschehen, wenn es wahr ist; ob dann die Franzosen fortgehen werden, weiß niemand gewiß …

Ich bin selbst Tag und Nacht in tausend Aengsten und traue mir kaum bei verschlossener Thüre zu schreiben, aus Furcht überfallen zu werden. Sie können daher unbesorgt sein, daß ich Jemand zum Vertrauten des Geheimnisses mache, ja sogar Ihre Briefe verbrenne ich, um alle mögliche Entdeckung zu vermeiden, und bitte dies auch mit meinen zu thun … Von H(essel) in A(ltdorf) haben Sie nichts zu befürchten, der hat keine Gesellen, ich war sogleich selbst bei ihm, um ihn zu warnen. Kurz, ich habe alles Mögliche gethan, was ich thun konnte … Der Himmel gebe mir, daß der Sturm bald vorübergeht, um aus der Seelenangst zu kommen.“

(Schluß folgt.)




Die Kunst im Hause

So wenig die Lobredner der sogenannten guten alten Zeit auf irgend einem Lebensgebiete zum Tadel der Gegenwart berechtigt sein mögen, so ist doch eine Erscheinung unsrer Zeit mit aller Entschiedenheit als ein eigenthümliches Gebrechen derselben zu bezeichnen, ihr Mangel an Verständniß für den Einfluß der bildenden Kunst auf die Erzeugnisse des praktischen Lebens. – Würde irgend einer unsrer deutschen Vorfahren vom 13. bis zum 17. Jahrhundert heute lebendig unter uns wandeln dürfen, überall würde er Fortschritt und Entwickelung des äußeren wie des geistigen Culturlebens finden, wäre er aber ein Mann handwerklicher Kunstfertigkeit und vergliche das Treiben unsrer kunstindustriellen Werkstätten mit denen seiner Zeit, er würde darüber erstaunen, daß wir, die wir sonst überall „es doch so herrlich weit gebracht“, so sehr hinter dem zurückstehen, was die Kunstfertigkeit der Vorzeit auf diesem


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_631.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)