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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Gebiete hervorbrachte. Wir brauchen nur einen Blick in die unversehrt gebliebene Einrichtung eines Nürnberger Patrizierhauses zu thun, um uns zu überzeugen, wie von der Gestalt des Bauwerkes, von der Sculpturverzierung der Fluren und Zimmer bis zum Schlüssel und zum gestickten Kissen das Walten einer unerschöpflichen Erfindungsgabe künstlerischer Formen in der Ausprägung eines harmonischen Styles sich ausspricht, während fast jedes beliebige moderne Wohnzimmer eine Musterkarte geschmackloser Formen entwickelt, aus welchen die etwa darin vorhandenen Nachbildungen gediegener moderner Kunstwerke wie wahre Wunderwerke hervorragen. Ganz besonders gilt dies, und die geneigten Leserinnen mögen uns diese Offenheit nicht verargen – von denjenigen Gegenständen häuslichen Zimmerschmuckes, die in das große Gebiet der beliebten „weiblichen Arbeiten“ fallen. Noch in den altmodischen Zimmern, wo von der Urgroßmutter her sich ähnliche Niedlichkeiten


Düsseldorfer Muster.


erhalten haben, gewahrt man mit Vergnügen, wie die wunderlichen Blumen, Schmetterlinge, Muschelverzierungen etc. mit dem Costümschnitt der gepuderten Familienportraits, mit den Ausschweifungen der zierlichen Nußbaummöbel und den Stuckarabesken der Decke harmoniren. Es ist Nichts besonders gediegen schön, doch hat eben Alles einen gemeinsamen Zug von Styl. Dagegen bitte ich die geneigte Leserin in ihrem eignen Boudoir umherzublicken. Der Berliner Ofen wird wahrscheinlich antike oder gar „jothische“ Architekturformen entwickeln, Nähtisch und Causeuse ergehen sich in den breiten Profilen üppigster Renaissance des 17. Jahrhunderts, während der goldne Spiegelrahmen im entschiedenen Rococo und die Deckenmalerei in halb maurischen, halb italienischen Arabesken die Stylmengerei vervollständigen.

In solchen Umgebungen ist es denn nicht zu verwundern, wenn das Canevasmuster, das die geehrte Leserin vielleicht eben mit der Gartenlaube vertauschte, eine der sehr gewöhnlichen ungeheuerlichen Blumengruppirungen ausweist, in welchen die zahllosen farbigglühenden Quadrätchen sich alle mögliche vergebliche Mühe geben, den zarten Linienschwung von Blättern und Blüthen herauszubringen, oder wenn gar die lächelnden Züge einer lithographirten Idealschönheit in viereckige Fadenkreuze übersetzt werden sollen. Weit entfernt sind wir, ihr darüber Vorwürfe zu machen!

Der Gute, zu dessen Ueberraschung die Kreuzchen so unermüdet ausgezählt und ausgetippelt werden, findet die fertige Arbeit sicherlich ganz reizend! Leider müssen wir aber in Vergleichung dieser Arbeiten mit der Kunstfertigkeit früherer Zeiten, ja im Vergleich mit den Webereien und Stickereien, wie sie jede beliebige indische oder arabische Nähmamsell aus freier Hand und eigner Erfindung ausführt, an den meisten Arbeiten unsrer Damen gerade das Beste, nämlich die geschmackvolle Form, um deren willen das Ding doch einzig geschaffen worden, vermissen, und zwar nicht etwa aus Mangel an Begabung, sondern weil unsre ganze Zeitrichtung die Pflege dieses ganzen Gebietes beinahe keiner Aufmerksamkeit im ernsteren Sinne werth hält.

Indessen das Schöne hat mit dem Wahren Eines gemein: nach den Zeiten der Unterdrückung kommen beide siegreich wieder an’s Tageslicht, und schon ein Vergleich von heute und vor zehn Jahren giebt der erfreulichen Wahrnehmung Raum, daß unsre häuslichen Kunstzustände sich entschieden im Stadium der Besserung befinden. Schon verschwinden in den meisten Familien die „prachtvollen englischen Stahlstiche,“ welche sich noch vor Kurzem einer fast unbeschränkten Alleinherrschaft auf deutschem Boden rühmen durften; die gediegenen Leistungen unsrer großen Meister der Gegenwart, vor Allem des unvergleichlichen Ludwig Richter, in ihrer schlichten Holzschnittmanier sind im besten Sinne des Wortes volksthümlich geworden; und wo einmal von einer Seite her die Empfindung sich Bahn gebrochen, daß der Kunst ein tieferer Zweck innewohne, als ein Luxusartikel neben dem Nützlichen zu sein, da läßt sich auch ein weiteres Eindringen des Verständnisses auf allen Gebieten des Lebens verhoffen.

Mit besonderer Freude lenken wir deshalb heute die Aufmerksamkeit der freundlichen Leserinnen auf ein Unternehmen hin, das die Reform künstlerischer Gestaltung der weiblichen Arbeiten sich zum Ziele gesetzt hat. Hand in Hand mit dem Aufschwung der Kunstblüthe unseres Jahrhunderts, die in München, Berlin, Dresden, Düsseldorf und anderen Orten sich theils unter der Protection großherziger Kunstmäcene, theils aus innerer Triebkraft entwickelte, mußte sich eine Anregung derjenigen kunstgewerblichen Zweige kund geben, welche, durch ihre Ornamentik mit Malerei und Baukunst verwandt, den wohlthätigen Einfluß bewährter Meister erfahren konnten, und die Familienkreise unserer Künstler, zumal der Düsseldorfer Schule, boten erwünschte Gelegenheit, künstlerischen Gestaltungssinn auch auf das Gebiet weiblicher Arbeiten zu übertragen. Die Fertigung künstlerischer Stickereien für die stylvoll restaurirten und neu mit Fresken geschmückten Kirchen bot Gelegenheit, reichste Formen für kostbare Ausführung darzustellen, und die geschehene Anregung ging mehr und mehr in größere Kreise über, so daß beinahe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_632.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)