Seite:Die Gartenlaube (1861) 633.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

im ganzen Rheinlande ein Streben nach stylvoller Formengebung die meisten Arbeiten der dortigen jungen Damen kennzeichnet.

Liegt es schon in der Natur der Sache, daß das Schöne fast immer dem Zweckmäßigen sich anschließt, und bedingt schon die Wahl künstlerischer Motive diejenige eingehende Rücksichtnahme auf die Natur des Arbeitsmateriales, welche der aufgewendeten Mühe den besten Erfolg und unverminderte Arbeitslust sichert, so kann es nicht fehlen, daß bei einiger Anleitung die Principien der „rheinischen Musterschule“ sich im ganzen Vaterlande mehr und mehr Anhängerinnen gewinnen werden, und eine willkommene Vermittelung hierzu scheint uns das Institut von Fräulein Clara Hancke in Düsseldorf zu bieten, von deren kunstfertiger Hand Arbeiten fast in allen bedeutenden Stickereihandlungen Mittel- und Norddeutschlands die verdiente Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. In nebenstehenden Holzschnitten, welche zwei uns von dort her freundlichst überlassene Musterzeichnungen vorführen, fehlt allerdings der Hauptreiz der geschmackvollen Farbenzusammenstellung, indessen wird sich aus ihnen der wohlthätige Einfluß des Princips erkennen lassen, jedem Material nach seiner eigenthümlichen Natur gerecht zu werden. Beide sind Muster für Ruhekissen und in den Formen des für diese Arbeiten so vorzüglich geeigneten arabischen Styls erfunden. Ersterer zeigt einen Stern von rothem Sammt, umgeben von einer schwarzen Arabeske desselben Stoffes, mit Goldfäden auf lichtgrauem Tuche aufgenäht; der andere (nur zu einem Viertel wiedergegeben) bildet ein Canevasmuster, dessen Kante roth in roth schattirt, dessen roth-weißes schachbretartiges Mittelfeld mit ausgeschlagenen Sternchen von naturellfarbigem Leder besetzt ist. Fräulein Hancke’s Musterlager bietet die reichste Auswahl zweckmäßiger Verwendungen fast aller Kunststyle in Tuch, Sammt, Leder, Wolle und Schnurenstickerei.

Was bei diesen Mustern, denen natürlich ein weites Gebiet zur Verwendung offen steht und die mit geeigneter Anpassung an Zweck und Material in den verschiedenartigsten Gegenständen, als: Kissen, Möbelbezüge, Vorhänge, Ofenschirme, Mappendecken etc. praktisch benutzt werden können, das Eigenthümliche und Werthvolle ist, beruht in ihrer wirklich künstlerischen Zeichnung und Farbengebung, die gegenüber den blos mühevoll-künstlichen Arbeiten eine ungemeine Anziehungskraft übt und beweist, daß die Kunst auch im Kleinen eine echte sein kann. – Durch die Verlagshandlung wird auf nähere Erkundigung mit Vergnügen Auskunft ertheilt werden.

A–Z.




Pariser Bilder und Geschichten.

Von Sigmund Kolisch.
Eine Künstlercarriere.

Auf den öffentlichen Plätzen, in Straßen und Höfen von Paris Musik machen zu dürfen, ist eine Begünstigung, die von der Polizei den Armen, den Hilfsbedürftigen gewährt wird, die recht einträglich für die von Haus zu Haus wandernden Virtuosen, eine wahre Plage aber für die Bewohner der lärmenden Stadt ist. Denn diese sind verurtheilt, all das Leiern, Schaben und Zupfen auf den abenteuerlichsten Instrumenten, das Brummen, Krächzen, Quieken und Brüllen verzweifelter Kehlen anzuhören.

Der Franzose ist aber viel zu heiterer Laune, um sich durch die falschen, grimmigen Töne verstimmen zu lassen, und beschenkt reichlich das Elend, welches sich in so zudringlich widerwärtiger Weise an seine Großmuth wendet. Und so ein Straßenkünstler, der es gut anzustellen weiß, um Mitleid zu erregen, den das Schicksal mit einer tüchtigen Gebrechlichkeit bedacht hat, oder der sich durch Jugend, durch Aeußerlichkeit oder ein bischen Fähigkeit empfiehlt, der seine Beine nicht schont, oder dem eine „gute Stelle“ auf einer Brücke, oder an einer Straßenecke zugewiesen wird, kann ein gar hübsches Einkommen, man sagt, zwischen 5 und 25 Franken pro Tag, erzielen. Es giebt in Paris Straßenspielleute, die sich mit dem Ertrage der Mildthätigkeit ein beträchtliches Vermögen gemacht haben und sich im Besitz von Häusern oder Renten befinden, was sie jedoch nicht hindert, ihre ohrenbetäubende Kunst, sei es aus Gewohnheit, sei es aus Gewinnsucht, fort zu treiben.

Diese ehrwürdigen Tonmeister erinnern an Herrn Dupin den Aeltern, den bekannten Orleanisten, welcher, von einem seiner Freunde darüber zu Rede gestellt, daß er die Stelle eines Procurators am Cassationshofe wieder gesucht habe, nachdem er so würdig seine Entlastung gegeben und sich vom Kaiserreiche zurückgezogen hatte, zur Antwort gab: „Was wollen Sie? ich war nahe daran die Zinsen meines Capitals anzugreifen.“

Viele habsüchtige Eltern zwingen ihre Kinder, Knaben und Mädchen, nachdem sie ihnen die Erlaubniß ausgewirkt und irgend ein Liedchen beigebracht, an öffentlichen Orten zu singen, und bringen zu ihrem eigenen Gewinn die armen Kinder um Gegenwart und Zukunft. Herr Felix und Fräulein Rachel haben Glück gehabt. Anders als die Schauspielerin enden sonst die Mädchen, welche in den Straßen mit Guitarren umherlaufen, um den Leuten heisern Gesang und welke Blumen feil zu bieten.

Hier und da, wenn es dunkel wird, sieht man einen schlank gewachsenen blassen Mann von ungefähr 30 Jahren, mit einem dichten schwarzen Bart und langen Haaren, in einem Anzuge zwischen gut und schlecht, den Rock bis zum Kinn empor zugeknöpft, einen Violinkasten in der Hand, auf den Boulevards des Capucines oder der Place Vendome oder sonst an einem belebten Punkte der Stadt plötzlich erscheinen. Während er das Instrument aus dem Kasten nimmt und den Hut vor sich hinstellt, blickt er scheu umher, wie Jemand, der sich vor etwas fürchtet, oder der etwas thun will, dessen er sich zu schämen hat. Nun fängt er an zu spielen, die Elegie von Heinrich Ernst etwa oder ein Adagio von Beriot, kurz ein rührendes Stück, und er spielt rein und mit Ausdruck, gut genug für jeden Salon. Die Menge, welche sich um den Virtuosen gesammelt hat, ist erstaunt und ergriffen. Ein tiefes Unglück bei dem Manne voraussetzend, der sich gezwungen sieht, ein schönes Talent in so kläglicher Weise zu verwerthen, leeren die Zuschauer ihre Taschen. Der Hut, den der Virtuose vor sich hingestellt, ist mit allerlei Münzen voll gefüllt, wenn das Stück zu Ende gespielt ist. Kaum ist der letzte Ton verklungen, so verschwindet das blasse Genie der Straße mit derselben Hast, als es herbeigekommen war.

Das erste Mal, als ich die Scene sah, ging auch ich in die Falle und steuerte über meine Kräfte zur Unterstützung des Künstlers bei, der sich so unglücklich darstellt. Seitdem aber habe ich erfahren, daß derselbe die Geige und zugleich verschämte Armuth spielt und sich bei diesem Gewerbe, wie er weislich berechnet hat, besser befindet, als wenn er Unterricht ertheilte und in irgend einem Orchester mitwirkte. Der Marktschreier!

In den Batignolles, einem Viertel von Paris, läßt sich seit einiger Zeit ein Sänger hören, dessen Aussehen und Auftreten ihn von seinen Cameraden unterscheiden und mit dessen Geschichte mich der Zufall bekannt gemacht hat. Er heißt Gustave Freminet, ist der Sohn eines Tischlers, der in der Rue Rocher wohnte und arbeitete, sich und seine Familie redlich nährte, erzählte mir eine Frau, bei welcher ich zu Besuch war und die sich schnell vom Fenster zurückzog, als sie den herabgekommenen Mann vorübergehen sah, um ihm die Demüthigung ihres Anblicks zu ersparen. Der gute Tischler und seine Frau, vor Allem bedacht, ihrem einzigen Sohne ein glückliches Leben zu bereiten, und von einigen ihrer Bekannten auf die musikalischen Anlagen und Stimmmittel des Knaben aufmerksam gemacht, brachten alle erdenklichen Opfer, um denselben musikalisch ausbilden zu lassen. Die Sache ging leidlich gut. Gustave machte in der Kunst hinreichend Fortschritte, um in einem Alter von 18 Jahren, zur größten Genugthuung seiner Eltern, in’s Conservatorium als Schüler aufgenommen zu werden.

Schmeichelte sich die Familie schon früher mit glänzenden Hoffnungen seine Zukunft betreffend, so galt ihnen die Aufnahme in die erste musikalische Anstalt Frankreichs als eine Bürgschaft der Erfüllung des heiß gehegten Wunsches. Die guten Leute in der Umgebung des angehenden Künstlers, dessen Stimme entschieden den Charakter des Tenors annahm, träumten laut von den vielen, vielen Tausend Franken, die Gustave als Opernsänger gewinnen würde. Mit enthusiastischer Bewunderung nahmen sie jede

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_633.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)