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Daß aber ein fremder General anstatt der Ortsbehörde den Richter zu spielen sich anmaßen durfte, war eben auch ein Merkmal von Deutschlands tiefer Erniedrigung. General Frère ließ Palm vorführen und durch einen Dolmetscher über die durch seine Buchhandlung versendete Flugschrift befragen. Palm erwiderte, daß er die Schrift von auswärts, von ihm unbekannter Hand erhalten und laut der Adresse versandt habe, wie dies im Buchhandel häufig vorkomme. Die französische Untersuchungsbehörde schenkte der Aussage Palm’s, auf welcher er beharrlich bis an sein Ende blieb, wenig Glauben. Uebrigens war, wie es in sogenannten politischen Processen so häufig der Fall ist, das Urtheil schon vor der Untersuchung fertig und die letztere nichts weiter als eine Form. Da kein weiteres Geständniß von Seiten Palm’s erfolgte, erklärte ihm der General, er habe so lange Hausarrest, bis er gestehen werde, woher er die Schrift erhalten. Alle Räume des Hauses der Stein’schen Buchhandlung wurden jetzt untersucht, und Palm, der unter der Ueberwachung der Gensd’armen zunächst dorthin gebracht worden war, wurde unter dem Vorwande, daß das Haus nicht Sicherheit genug biete, auf das Rathhaus geführt.

Es galt, den Deutschen ein abschreckendes Beispiel zu zeigen, doch fand die Tyrannei gerathen, den Gewaltstreich mit dem Scheine gesetzlicher Formen zu umgeben, wie es in derartigen Fällen auch anderwärts üblich ist. Nachdem der gefangene Palm eine Nacht auf dem Rathhause zugebracht, führten ihn die Gensd’armen am 15. August wieder in seine Wohnung, und man befahl seiner kranken Frau, eine Chaise zu besorgen, da Palm nach Ansbach zu dem im dortigen Schlosse wohnenden Marschall Bernadotte gebracht werden müsse. Dem Befehl mußte gehorcht werden, und mit Mühe setzten die Gattin des Verhafteten und dessen Freunde es durch, daß denselben ein angesehener Rechtsgelehrter nach Ansbach begleiten durfte. Mit diesem und zwei Gensd’armen fuhr er dorthin. Noch war er der besten Zuversicht voll und glaubte, man werde ihm wenig anhaben können. In Ansbach angelangt, verlangte Palm’s Begleiter Gehör bei Bernadotte für den Gefangenen, erfuhr aber von dem dienstthuenden Adjutanten, „eine Audienz werde Palm nicht gewährt, die Verhaftung sei auf unmittelbaren Befehl des Kaisers von Paris aus erfolgt.“ Man eröffnete dies Palm in seinem Gefängnisse zugleich mit der Kunde, daß er abgeliefert werden solle, um vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden; könne er keinen Wagen bezahlen, so werde man ihn zu Fuß abführen. Der rechtskundige Begleiter sorgte für das nöthige Reisegeld und gab dem Gefangenen alle möglichen tröstenden Zusicherungen.

Palm’s Gattin, welche glaubte, man habe denselben nach München geschafft, that Alles für ihn, was in ihren Kräften stand. Sie schickte Kleidungsstücke und Geld nach München, denn in Nürnberg hatte man Palm nicht die Zeit gelassen, das Nothwendigste mitzunehmen. Sie richtete eine Vorstellung an den französischen Gesandten Otto in München und eine Bittschrift an den Marschall Berthier, aber beide Schreiben blieben ohne Antwort und ohne Erfolg.

Man führte Palm nach der noch von den Franzosen besetzten Festung Braunau, wo im Gasthause zum weißen Falken die Sitzungen des außerordentlichen Kriegsgerichts abgehalten wurden. Sieben französische Obersten bildeten dieses Gericht, und Referent oder vielmehr Ankläger war General Binot. Am 22. August kam Palm in Braunau an, wohin man auch bereits den ebenso wie Palm am 15. verhafteten Weinhändler Schoderer gebracht hatte. Für diesen verwendete sich ein Freund, der damalige Polizeikanzlist Kremer von Donauwörth, auf das Energischste und unterstützte ebenso das Verlangen Palm’s, der am 24. und 25. in’s Verhör kam, daß man ihm einen Vertheidiger geben möchte. Der von Schoderer erwählte Vertheidiger stellte sich nicht ein, doch stand ihm der für ihn rastlos thätige Kremer zur Seite. Der von Palm verlangte Vertheidiger konnte in der gegebenen kurzen Frist von Nürnberg nicht eintreffen, das Kriegsgericht fand nicht für gut, ihm einen solchen zu bestellen, und so blieb er ohne Vertheidigung, und es war freche Lüge, wenn man in dem später veröffentlichten „Urtheile“ sagte, Palm habe bei seinen zwei Verhören einen Vertheidiger gehabt. Thatsächlich war das freilich höchst gleichgültig, da ja den Richtern schon vor der Untersuchung befohlen war, den Angeklagten zu verurtheilen.

Palm und Schoderer waren von sechs Angeklagten die Einzigen, die das Kriegsgericht in seine Gewalt bekommen hatte. Die vier Andern, die sich der Gefangennahme durch die Flucht entzogen hatten, waren: Merkel, Gastwirth zu Neckarsulm (in seinem Besitze hatte man eine Caricatur gefunden, die den Franzosenkaiser darstellte, wie er in einer sehr natürlichen, aber nicht für anständig geltenden Positur Fürsten machte; Merkel wurde einen Tag nach Palm’s Tode nach Braunau geschafft, aber nach kurzer Haft wieder entlassen); ferner Jenisch, der schon erwähnte Commis der Stageschen Buchhandlung in Augsburg; Kupfer, Buchdrucker und Buchhändler zu Wien, und Eurich, Buchhändler zu Linz (die beiden Letztgenannten waren Verleger und Verbreiter der „Genealogie der kaiserlichen Majestäten und Hoheiten“, die man bei Schoderer und Merkel gefunden hatte). Es versteht sich, daß alle sechs Angeklagten schuldig befunden und verurtheilt wurden, und die Beiden, die das Gericht in seiner Gewalt hatte, sollten 24 Stunden nach erfolgten, Urtheile hingerichtet werden. Dieses am 25. August gefällte Urtheil wurde in’s Deutsche übersetzt und in beiden Sprachen durch den Druck veröffentlicht.

Unmittelbar nach dem zweiten Verhöre Palm’s und nachdem er in sein Gefängniß zurückgeführt war, verurtheilte ihn wie die andern Angeklagten die außerordentliche Militaircommission zur Todesstrafe. Er hatte davon noch keine Ahnung, er glaubte sich sehr gut vertheidigt zu haben und erwachte des andern Tages (26. August) guten Muthes in seinem Kerker, den er im Laufe der nächsten Stunden frei verlassen zu dürfen hoffte. Um halb elf Uhr Vormittags öffnete sich in der That der mit doppelten Thüren und dreifachen Schlössern verwahrte und wohlbewachte Kerker, und man hieß den Gefangenen in das anstoßende Höfchen treten. Aber er sollte hier nicht, wie er erwartete, die Kunde seiner Entlassung, sondern das Urtheil des Kriegsgerichts anhören, das ein dazu befohlener Kanzlist des Stadtmagistrats mit zitternder Stimme ablas. Palm vernahm, daß er nach drei Stunden erschossen werden sollte.

Zwei Geistliche – Pöschl und Gropp – beide glücklicherweise würdige Männer, die man zu Palm ließ, um ihn zum Tode vorzubereiten, erleichterten durch ihre Theilnahme dem Verurtheilten die letzten Augenblicke, in denen sein Verhalten übrigens ein durchaus würdiges und edles war. Auf Zureden dieser Geistlichen entschloß er sich, im Gefängnisse noch ein Abschiedswort an die Seinigen zu schreiben. Dieser Brief lautete:

„Herzens-Schatz! Herzlich geliebte Kinder!

Von Menschen, aber nicht von Gott verlassen, urtheilte mein hiesiges Militairgericht über mich, nachdem ich nur zwei Verhöre hatte und gefragt wurde: ob ich politische Schriften verbreitet hätte; ich sagte, was ich wußte, daß höchstens nur per Spedition zufälligerweise dergleichen könnte versandt worden sein, aber nicht mit meinem Willen und Wissen.

Auf dies richtete man mich vom Leben zum Tode ohne Defensor. Ich bat mir dazu – aus, welcher aber nicht erschien; indessen vor Gott wird er mir erscheinen.

Dir, Hausfrau, sage tausend Dank für Deine Liebe, tröste Dich mit Gott und vergesse mich nicht.

Ich habe auf der Erde nun nichts zu sagen, aber dort desto mehr. Lebe wohl, Du und Deine Kinder, Gott segne Dich und sie.

Empfehle mich dem Herrn und der Frau Schwägerin und allen Freunden, denen ich für ihre Güte und Liebe danke.

Nochmals lebe wohl. Dort sehen wir uns wieder!

Dein herzlicher Gatte und meiner Kinder Vater
Joh. Phil. Palm.

Braunau im Gefängnisse, am 26. August 1806. Eine Stunde vor meinem Ende.“

Es ist, wie gesagt, kaum zweifelhaft, daß Palm der Verleger der Broschüre „Deutschland“ war, und wenn er dies noch in der Stunde seines Todes feierlich in Abrede stellt, so liegt die Erklärung nahe: er wollte die Ueberlebenden schonen, die er durch ein offenes Geständniß noch immer gefährdet haben würde.

Schoderer kam mit einer kurzen Haft davon. Theils die eifrigen Bemühungen seines Freundes, theils auch wohl der Umstand, daß man mit einem einzigen Opfer schon die gewünschte Wirkung zu erzielen hoffte, retteten ihn. Bezüglich Palm’s blieb jede Anstrengung vergebens; umsonst begaben sich die angesehensten Frauen Braunau’s mit ihren kleinen Kindern zum Festungscommandanten St. Hilaire und flehten um Gnade; man berief sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_647.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)