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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Selbstberuhigung, daß sie bis zum letzten Augenblick ihre Schuldigkeit thun wollen, beobachtet der Meister die Vergeblichkeit ihrer Abmühung mit stiller Genugthuung. Immer aber beweist er ihnen noch wiederholt vergeblich, daß sie auf keine andere Rettung zu rechnen haben, als durch die Luke; sobald er ihnen jedoch vorrechnet, daß es noch drei bis vier Stunden währen könne, ehe das Wasser der Lecks den Raum hinlänglich fülle, um durch die Luke zu entkommen – da erfaßt die beiden abgematteten Männer neues Entsetzen, sie halten sich nun für sicher verloren, eilen trotzdem an die Luke und suchen nun diese mit ihrer letzten Kraft zu heben. Aber selbst die Verzweiflung giebt ihnen nicht Stärke genug zur Ueberwindung der ungeheueren Wasserlast.

Mit blutendem Herzen sieht der Erfinder die beiden Männer, im Wasser mit einer Februartemperatur bis an die Brust, gegen das Unmögliche ringen. Dringend bittet er sie, aus dem Wasser zu steigen und frische Kraft zu sammeln, um im rechten Augenblick sich durch Schwimmen retten zu können. Endlich wendet er sich vom empörenden Anblick ab mit dem entschiedenen Zurufe: „Thut, was Ihr wollt, es hilft Euch nichts! Nur durch die Klappe kommen wir wieder nach oben!“

Da läßt Witt sich bewegen, ebenfalls auf einer höhern noch trockenen Stelle einen Ruheplatz zu suchen. Erfreut hierüber spricht der Meister ihm freundlich zu: „Witt, Du kannst nicht schwimmen, binde Dir einige Breterstücke fest zusammen, die nimmst Du als ein Floß mit hinauf und hältst Dich daran, bis man Dich oben in ein Boot rettet.“

„Wahrlich, Herr,“ entgegnet Witt, wieder frischen Muths aufathmend, „es ist merkwürdig, wie Sie immer Rath wissen, und es ist wirklich Alles so gekommen, wie Sie’s gesagt haben!“

„Brav, Witt! So vertraue mir auch jetzt. Vielleicht bewährt sich’s auch an uns, daß Gott keinen Deutschen verläßt!“

Aber Einen schien er gerade in diesem Augenblicke zu verlassen, den armen Thomsen. Immer noch steht er bis an die Schultern im Wasser an der nutzlosen Pumpe und erschöpft sich auf eine Weise, daß er mehrere Male zusammensinkt und endlich nur noch mit dem Kopfe nickt, in der Meinung, er pumpe. Bei seiner körperlichen Ermattung ist sein Geist in einen Zustand höchster Erregtheit versetzt, der von dem Trotz, mit dem er bis dahin jeder Bitte widerstanden, sich so weit steigert, daß er zu einer Scene hingerissen wird, die man die erste unterseeische Meuterei[1] nennen könnte. Welche Gefühle, welche Gedanken müssen dem guten, braven, stets so treuen, muthigen und hingebenden Matrosen Herz und Kopf zerrissen haben, bis er, irren Blicks das Messer ziehend und gegen den Meister herantretend, dem Freunde zuruft:

„Witt, ich sterbe nicht allein! Es muß auch Der fallen, der uns hieher geführt hat!“

Obwohl in tiefster Seele verletzt, verliert doch der Meister keinen Augenblick seine Geistesgegenwart. Rasch nimmt er sein Terzerol von der Schiffswand herab, wo es längst unter Wasser gehangen, und auf den Verirrten anlegend ruft er ihm zu:

„Thomsen, noch ein Schritt, und Du bist der Erste, der in der Tiefe der See erschossen ist!“

Auf dem triefenden Gewehre ist kein Zündhütchen; aber die Drohung allein genügt, den Mann wenigstens so weit zu sich selbst zu bringen, daß er nun dem Beispiele der Anderen folgend eine trockene Stelle sucht und in tiefster Niedergeschlagenheit sich zusammenkauert.

Zwei Stunden sind bis jetzt vergangen, es ist 11 Uhr Mittags geworden.

So sitzen nun die drei Männer, äußerlich ruhig, da, während das Wasser im Schiffsraume langsam höher und höher steigt.

Und in welcher unheimlichen Dämmerung geht dies Alles vor! Durch zweiundfünfzig Fuß Meeresfluth hindurch dringt das Licht durch die kleinen Augen des Schiffs in den Raum. In diesen ersten zwei Stunden lag auf allen Gegenständen ein grüner Schein, der nun allmählich sich in einen braunen verwandelt. Der Meister, gewohnt, die Sinne immer wach zu halten zum Forschen und Prüfen, benutzt auch diese einzig im gesammten Forscherleben dastehende Gelegenheit zu seinen Beobachtungen, ja, es entspinnt sich zwischen ihm und Witt, der seine volle Ruhe wieder gewonnen, eine so gemüthliche Unterhaltung, daß die Selbstvergessenheit, zu der diese Männer in einer solchen Umgebung fähig sind, die höchste Bewunderung verdient. Keine Erscheinung bleibt ununtersucht. Da schwimmt auf dem Wasser ein Tabakspacket. Es wird herbeigefischt, und wie freuen sich Beide, in solcher Tiefe immer noch Licht genug zu finden, um die Aufschrift desselben lesen zu können! An diese Wahrnehmung knüpfen sich neue Pläne des Erfinders, er erkennt plötzlich, wie nützlich sein Apparat für die Naturforschung, für die Schifffahrt, für die Industrie werden, wie er namentlich bei der Kabellegung Unschätzbares leisten könne! – Es drängt ihn zu dem Ausrufe:

„Wahrlich, Witt, es wäre schon deshalb schade, wenn wir nicht wieder hinauf kommen sollten, weil dann sicherlich diese Erfindung vielleicht Jahrhunderte als eine unpraktische angesehen würde, während wir hier die schönste Ueberzeugung gewinnen, daß sie gut ist!“

„Ja,“ erwiderte Witt, „das ist sie! Und es ist einerlei, kommen wir wieder hinauf und es wird wieder ein solcher Apparat erbaut, so fahre ich gleich wieder mit, denn die Geschichte ist gut, und daß uns die Pumpen versagt haben, dafür können wir nicht!“

Dieses Zeugniß aus dem Munde des einfachen Matrosen, der selbst noch wie im versiegelten Grabe mit liegt, ist in diesem Augenblick die höchste Ehrengabe für den Erfinder, und sie erhebt ihn sichtlich, sein Auge strahlt von gerechtem Stolz und von Rettungszuversicht.

Da soll gerade jetzt für sie die ärgste Gefahr noch von daher kommen, von wo sie keine Rettung mehr erwarten, von oben, von den Glücklichen auf der See.

Zu den Gegenständen der Beobachtung des Meisters am Kopffenster des Apparates hat längst das Meer nach oben gehört. Plötzlich zeigt sich ihm der nahende Schatten eines Bootes, eine Lothleine kommt näher und näher. Ist auch an keine Rettung durch Hebung des 70,000 Pfund schweren Brandtauchers zu denken, so wirkt doch schon der Gedanke einer Verbindung mit den Lebenden oben entzückend auf die mehr und mehr in dem nassen Grabe erstarrenden Männer. Durch Rufen und Hämmern an die Eisenwände des Schiffs geben sie Lebenszeichen, die Signale werden gehört, kaum fünfzehn Minuten vergehen, so schweben acht bis zehn Boote ober ihnen, der Meister hört deutlich seinen Namen rufen und das Commando der Bootführer, bis der immer stärkere Zusammenfluß von Fahrzeugen und Menschen und das Durcheinander der Stimmen nur noch ein dumpfes Getöse vernehmen läßt.

Im Apparate ist die Luft bereits so comprimirt und auch so verdorben, daß sie das Athmen erschwert, aber auch der Augenblick kommt immer näher, wo der einzige Rettungsweg nach oben aufgethan werden kann. Da rückt ein kleiner Anker herab, jetzt erreicht er den Apparat und stößt gerade auf ein Fenster. Drückt er die Scheibe ein, so sind die Männer verloren, die Luft entweicht zu rasch, die Luke ist nicht zu öffnen. Endlich, wieder nach grauenvollen Secunden für den Meister, gleitet der Anker an der Eisenwand ab. Diese Gefahr ist vorüber.

Aber eine noch ärgere folgt ihr. Eine starke Kette rasselt hernieder, und so entsetzlich geschickt umfährt sie den Kopf des Brandtauchers mit drei Gängen, daß sie die Ausgangsluke einschnürt – der Apparat ist unlösbar gesperrt, mit jeder Windung der Kette wird der Sarg fester vernagelt! – Das ist der fürchterlichste Augenblick für Meister Wilhelm, und der peinlichste für seine Seele, denn er allein erkennt die ganze Gefahr der Lage, und er muß schweigen, um seine freudig aufathmenden Gefährten nicht mit einem Schlage zu Boden zu schmettern.

Sieben Fuß hoch steht jetzt das Wasser durch die ganze Länge des Apparats, es reicht den Männern bis an den Hals, die Luke muß jetzt zu heben sein, und es ist die höchste Zeit dazu, denn groß kann die Zahl der Minuten nicht mehr sein, wo ihnen nur noch die Wahl frei steht zwischen dem Tod durch Ersticken oder durch Ertrinken.

Es ist drei Uhr Nachmittags, da fühlen die Männer an der Bewegung des Apparats, daß die Kette in der Richtung nach dem Lande heftig angezogen wird; der Brandtaucher neigt sich nach rechts; je stärker sie droben anziehen, um so größer wird die neue


  1. Wir wollten dieser Erzählung einer der merkwürdigsten deutschen Erlebnisse ursprünglich die Ueberschrift „Eine Meuterei unter der See“ geben, unterließen dies aber auf den Wunsch des „Erfinders“ und „Meisters,“ der dem braven Thomsen nicht eine unverdiente Kränkung bereiten wollte. Es thut ihm ohnedies leid, daß dieser Vorfall, für den tausend Entschuldigungen in jeder Menschenbrust sprechen, im Interesse der Wahrheit und der Vollständigkeit der Darstellung hier erzählt werden mußte.
    Die Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_650.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2022)