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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die Briefe hin, als ob er sie fürchte, und als ob daraus etwa eine kleine Schlange oder irgend ein anderes unangenehmes Ding hervorschlüpfen und ihm in’s Gesicht springen könne.

Mit einer plötzlichen Bewegung, welche offenbar zeigte, daß ihm die Sache Ueberwindung koste, gab er endlich Albrecht die Briefe zurück, und während dieser dieselben wieder an sich nahm, sagte er:

„Ich werde diesen jungen Menschen selber sprechen – ich werde hinüber reiten nach Triefalten … unterdeß bleiben Sie hier und lassen Sie es sich bei mir gefallen, Graf Werdenfels – betrachten Sie sich als meinen Gast – ich werde Ihnen Zimmer anweisen lassen.“

Er stand auf und rührte eine Glocke, die aus einem Spiegeltische stand. Als der Jäger, welcher vorhin Albrecht zu dem Grafen hinüber geführt hatte, erschien, sagte er:

„Weis’ Er dem Herrn die Fremdenzimmer an. Er bedient ihn und bleibt zu seiner Aufwartung bei dem Herrn Grafen. Jacob und Andree sollen satteln – für mich den Honigschimmel ich will ausreiten – sogleich!“

Der Jäger eilte hinaus und nach einer stummen Pause, während welcher Reichsgraf Cosimus schweigend seinen Meerschaumkopf ausgedampft hatte, kehrte er zurück, um Albrecht in die ihm bestimmten Gemächer zu führen. Die Erlaucht entließ den jungen Mann mit einem stummen Kopfnicken.

Albrecht fand in den ihm angewiesenen zwei kleinen Thurmzimmern mancherlei Toilettenbedürfnisse vor, so daß er im Stande war, seinen Anzug ein wenig zu ordnen. Doch fehlten ihm seine Sachen, und als er dem ihm zur Disposition gestellten Bedienten seine Noth darum klagte, versprach dieser einen der Reitknechte, welche die Erlaucht nach dem Stift begleiten würden, zu beauftragen, das leichte Gepäck mit herauszubringen. Der Jäger machte dann Anstalten, dem jungen Herrn ein treffliches Frühstück zu serviren, das dem eben aus seiner Gefangenschaft Erlösten sehr willkommen war. Endlich entfernte er sich, und Albrecht, der für’s Erste seine Zeit nicht anders herumzubringen wußte, verließ nach einer Weile ebenfalls sein freundliches Quartier, um durch die Schloßgebäude eine kleine Streiferei vorzunehmen und die eigenthümliche und jedenfalls höchst pittoreske Welt, in welche er gerathen war, näher zu betrachten.

Nachdem er auf langen, oft sehr dunklen Corridoren, wo Treppen und Treppchen bald hinauf und bald hinab führten, mehrere Theile und Flügel des weitläufigen Baues durchirrt hatte, gelangte er – es mußte in dem Theile des Schlosses sein, den Comtesse Aglaë bewohnte – am Ende eines Ganges an eine offene Flügelthüre, die auf einen hohen Treppenabsatz hinausführte, von welchem in zwei halbrundgeschweiften Fluchten steinerne Stiegen in den Garten hinabliefen. Er folgte ihnen und kam in den großen, eine in leiser Senkung sich abdachende Bergseite bedeckenden Garten des Schlosses. Hier umgab ihn eine seltsame und leider sehr vernachlässigte und ungepflegte Welt von verschnörkelten Beeten, welche die mannigfachsten Figuren, halbe Monde, Sterne, Buchstaben und Räder bildeten; von Taxushecken, die zu Thürmen, Obelisken, Truthähnen und Elephanten zugeschnitten waren; von kleinen Wasserwerken und Fontainen, die nicht mehr sprangen, und von ähnlichen Dingen, mit denen man im vorigen Jahrhundert die Natur zu verzieren und zu schmücken liebte, gleich als ob sie eine verblaßte Ballschönheit sei, welche man durch einen großen Aufwand von Ornamentik erst präsentabel machen müsse. Albrecht von Werdenfels, dem eine solche Art von Gartenkunst etwas ziemlich Neues war, vertiefte sich immer weiter in diese ihm fremde Welt, verirrte sich darin, ohne es zu bemerken, und stand endlich vor einem eisernen Gitterthor, das, halb geöffnet, ihn in eine Waldallee blicken ließ. Am Ende dieser Allee warf die Sonne, die das Laubgewölbe der dichten Wipfel nicht zu durchdringen vermochte, in eine Lichtung ihren vollen Strahlenguß und beleuchtete so ein höchst effectreiches Waldbild, welches noch interessanter und für Albrecht insbesondere anziehender durch die Staffage wurde, die er darin erblickte. Auf dem Hintergründe jener goldenen Strahlenhelle nämlich sah er zwei weibliche Gestalten sich bewegen, und ohne seine scharfen Augen viel dabei anstrengen zu müssen, erkannte er darin die Gräfin Aglaë nebst ihrem alten Gesellschaftsfräulein. Er gerieth in eine eigenthümliche Bewegung bei diesem Anblick, in Etwas, was einem großen Erschrecken sehr ähnlich war, und sein erster Impuls war, sich unsichtbar zu machen, sein zweiter Gedanke jedoch der, ihr kühn entgegen zu gehen und sich als freier Mann ihr vorzustellen, als der Gast ihres Vaters, der jetzt Alles aufbieten durfte, um bei ihr den Eindruck zu verwischen, den er ihr in seiner halb lächerlichen, halb bemitleidenswerthen Lage von gestern gemacht haben mußte.

Albrecht nahm sich also ein Herz und schritt – er bemerkte zu seiner Verwunderung, daß sein Schritt eine eigenthümliche Unsicherheit habe – aufrechten Hauptes – er bemerkte ebenfalls zu seiner Verwunderung, daß es ihm merkwürdig schwer wurde, das Haupt ruhig und stolz aufrecht zu tragen den herankommenden Damen entgegen. Es war übrigens seltsam, daß Gräfin Aglaë an sich selber etwas von ähnlichen Bemerkungen machen mußte – denn sie nahm plötzlich den Arm ihrer Begleiterin, und es schien Albrecht, als ob ihr Schritt sich in dem Maße verlangsame, wie der seine unter dem Einfluß einer bedeutenden Beklemmung schwankender wurde. Die beiden jungen Leute standen sich endlich gegenüber, und es mußte für sie etwas da sein, was diesem Augenblick eine Bedeutung gab, die er ganz offenbar für das alte Gesellschaftsfräulein nicht hatte. Denn das Gesellschaftsfräulein sah so gelb und verwittert aus, so würdevoll und so namenlos gefaßt auf alle Vorkommnisse des irdischen Lebens, wie sie zu allen Stunden des Tages oder der Nacht aufsah. Die beiden jungen Leute aber, welche sich jetzt anblickten und dann beide ein wenig zur Seite blickten, wechselten zwei bis drei Mal die Farbe, bis auf Aglaë’s holdem runden Gesichte ein etwas höheres Incarnat als das gewöhnliche, und auf Albrechts Zügen ein etwas blässerer Teint als der, welcher sonst darauf lag, endlich die Oberhand gewannen und sich der Herrschaft bemächtigten.

„Sie sehen, Comtesse,“ sagte Albrecht, während er sich rief verbeugte und das dreieckige Hütlein mit der schmalen Goldborte schwenkte. „Sie sehen, daß es nicht so schlimm mit mir steht, wie Ihre Erlaucht mir vorherzusagen beliebten. Dieselben machten sich ein äußerst grausames Vergnügen daraus, mir mindestens Galgen und Rad in Aussicht zu stellen, und ich glaube, Sie hatten die Jagd, an welcher Sie theilzunehmen begonnen, blos und lediglich in der Absicht verlassen, um sich das Vergnügen, Ihren armen Gefangenen so in Schreck und Angst zu versetzen, desto früher machen zu können!“ .

„Der Herr Graf von Werdenfels,“ versetzte Aglaë verlegen, „schieben mir sehr böse Absichten unter – aber es freut mich aufrichtig, dieselben in einer Lage zu sehen, worin Ihnen Ihre alte Scherzhaftigkeit und Lust am Spott so bald und so völlig zurückgekehrt ist!“

„O, ich verstehe den kleinen Hieb. den die gnädige Comtesse mir zu versetzen belieben,“ fiel lächelnd Albrecht ein; „aber ich nehme ihn demüthig hin, da ich ja weiß, daß ich Ihrer Fürsprache die günstige Veränderung meiner Lage verdanke, die mir erlaubt, als Gast Seiner Erlaucht diese Gärten in Augenschein zu nehmen und dabei eines so überaus angenehmen Rencontres mich zu erfreuen.“

„Mir verdanken Sie dabei gar nichts, mein Herr Graf, sondern Alles der Güte meines Vaters!“

„So sehr ich diese zu verehren weiß.“ versetzte Albrecht, „so habe ich doch selber wahrgenommen, daß die Erlaucht, schon bevor ich mich vor ihr verantworten durfte, zu meinen Gunsten gestimmt und entschlossen war, mich einer Gefangenschaft zu entledigen, deren ich freilich begann, sehr überdrüssig zu werden. Obwohl,“ setzte Albrecht mit einer etwas bewegten Stimme und höherem Erröthen hinzu – „obwohl es mir vom Schicksal beschieden scheint, daß mein Herz in der Gefangenschaft für ewiglich hier verbleiben und auch allen Gedanken an seine frühere Freiheit fröhlich entsagen soll!“

Eine solche Versicherung, wie Albrecht sie hiermit aussprach, ging in jenen galanten Zeiten nicht über die Grenzen einer gewöhnlichen Courtoisie zwischen jungen Leuten hinaus. In dem Ton jedoch, mit welchem Albrecht sie vorbrachte, mußte etwas liegen, was ihr eine tiefere Bedeutung in den Augen der jungen Gräfin gab; denn diese, statt daraus mit einer andern galanten Phrase, wie sie ihr gewiß zu Gebote gestanden hätte, zu antworten, verstummte und bemerkte nur, da die Lustwandelnden jetzt das Gartenthor erreicht hatten, zu ihrer Begleiterin gewendet:

„Wir wollen noch einmal umkehren, es ist so schön unter diesen schattigen Bäumen!“

Die kleine Gesellschaft wandle sich deshalb und schritt wieder in die Waldallee hinein, aus der sie gekommen. Albrecht setzte in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_659.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)