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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

welcher Deutschland mit Italien verband. Die ersten Heeresmassen, welche ihn im Lichte der Geschichte betreten, sind unsere unstäten Vorfahren, die Cimbern und Teutonen gewesen. Später mehrmals die deutschen Kaiser auf ihren Römerzügen. Aus der neueren Zeit ist am denkwürdigsten Suwarow’s Kriegszug am St. Gotthard in den Jahren 1798 und 1799. Der Schauplatz dieses Kampfs erstreckte sich über einen großen Theil des St. Gotthard-Gebiets: die Teufelsbrücke, das Reußthal, die Surenen, die Furca, der Grimsel und der Vierwaldstättersee wurden Zeugen blutiger Gefechte. Damals konnte man noch nicht auf breiter Straße über die Bergrücken fahren, es galt damals noch Haller’s Ausspruch: „Ueber die Alpen geht kein Rad.“ Auf schmalen Saumpfaden mußten die Heere, Mann hinter Mann, vorwärts dringen, die Abgründe unter, die Lawinen über sich. So war Suwarow mit seinen 30,000 Russen in das Thal der Reuß gelangt, aber hier von der französischen Uebermacht eingeschlossen worden. Nur ein Rettungsweg stand ihm offen, ein steiler Hirtenpfad, der aus dem Schächenthal über den Kinzig-Kulm nach Schwyz hinüberführt, und auf diesem entkam er, aber wie! Die Kanonen mußten in ihre einzelnen Theile zerlegt und getragen, die Pferde nicht selten an den Schwänzen festgehalten werden, und doch stürzten über fünfhundert Menschen, viele Pferde und manches Packstück in die Schlünde; Niemand kümmerte sich um sie, man eilte vorwärts, und der kühnste aller Alpenübergänge ward glücklich für die Hauptmasse der Armee vollbracht. Auch in dem Sonderbundskrieg von 1847 spielte der St. Gotthard eine sehr bedeutende Rolle.

Die Alpengruppe des St. Gotthard vereinigt demnach beide oben genannten Interessen; zu ihrer kriegsgerichtlichen Wichtigkeit kommt noch die ihrer Lage, denn als ein Grenzgebirg ist sie einer der wichtigsten Punkte der Schweiz für die Landesvertheidigung. Daß gerate letztere Bedeutung die diesjährige Wahl des Manövrirterrains leitete, ergiebt sich aus der Disposition zum Manöver selbst, das sich dadurch ganz klar als eine Demonstration gegen die italienischen und französischen Annexationsgelüste offenbart. Der betreffende Divisionsbefehl (vom 12. August) stellt den Truppen des Manövers folgende Aufgabe: „Die ganze Südgrenze unseres Vaterlandes ist bedroht, feindliche Colonnen haben dieselbe angegriffen, bevor wir gerüstet ihnen entgegentreten konnten. In Graubünden kämpft der Gegner an dem südlichen Ausgange der Engadinerpässe und des Splügens, im Centrum ist es ihm gelungen, sich des St. Gotthards zu bemächtigen; die Spitzen seiner Colonnen sind bis an den Vierwaldstättersee vorgedrungen, in Wallis halten wir St. Moritz noch und das südliche Debouché des Simplon; die schweizerische Armee sammelt sich in aller Eile an dem nördlichen Abhänge der Alpen; eine Avantgarde, welche in Luzern und im Berner Oberlande steht, erhält den Befehl, sich mit aller Anstrengung des Reußthals zu bemächtigen und den St. Gotthard zu erstürmen. Dies die Aufgabe der zum Truppenzusammenzug beorderten Truppen.“

Die theilnehmenden Truppen bestanden aus einer Sappeurcompagnie (von Aargau), zwei Gebirgsbatterien (von Wallis), einer Guidencompagnie (von Genf), vier Schützencompagnien (von Nidwalden, St. Gallen, Wallis und Tessin), vier Bataillonen Infanterie (von Waadt, Graubünden, Wallis und Bern), vier Ambulancesectionen und den Parkabtheilungen. Commandirender war Oberst Aubert, und als Generalstabschef functionirte Oberst Wieland.

Am Morgen des 14. Augusts begann um 6 Uhr die Einschiffung der Truppen in Luzern, und gleich nach 8 Uhr gab ein Kanonenschuß das Zeichen zur Abfahrt. Die kleine Flotille bestand aus drei Dampfern und mehrern Schleppschiffen. Bei Brunnen stieß eine Abtheilung eines Bündner Bataillons in vier Schleppschiffen zu der Flotille, die im Angesichte von Flüelen und Seedorf ankerte. Sie wurde jedoch vom Feinde (einer St. Galler Schützencompagnie unter Major Krauß) sogleich mit einem donnernden Willkommen begrüßt, welchen man sofort erwiderte. Die Landung ging glücklich vor sich. Der Feind, auf der linken Flanke auch von den eidgenössischen Hülfstruppen angegriffen, die glücklich die Schonegg (6380 Fuß) überstiegen hatten und vom Isenthal her am rechten Ufer des Urnersees vordrangen, zog sich auf Altdorf zurück. Unterdessen rückten bei Attinghausen auch die Truppen in’s Treffen, die den Surenenpaß (7170 Fuß) überstiegen hatten, während ein fünftes Detachement, das über den Klausenpaß (6130 Fuß) gezogen war, bei Bürglen aus dem Schächenthal hervorbrach. Im Sturme ging es nun vorwärts gegen den Feind, und dieser von allen Seiten bedrängt und angegriffen, zog sich auf der einzig noch möglichen Rückzugslinie, der Straße nach Amsteg, bis an die Klus zurück. Gegen 2 Uhr endigte das Gefecht, und die verschiedenen Truppen bezogen ihre Bivouaks. Das ganze combinirte Manöver konnte insofern als gelungen betrachtet werden, als die verschiedenen Truppenabtheilungen genau zur festgesetzten Zeit eingetroffen waren und so die einzelnen Operationen richtig in einander eingreifen konnten. Wer aber die wilden Bergübergänge über den Klausen, die Surenen und Schonegg kennt, wo die Truppen stundenweit Schneefelder, Steingerölle, unwegsame Saumwege, schmale Felsgräthe, die an gähnenden Abgründen vorbeiführen, passiren mußten, der wird der Pünktlichkeit und Ordnung, mit der diese Märsche ausgeführt wurden, alle Anerkennung zollen.

Am 15. August gegen 6 Uhr des Morgens brachen die in und um Altdorf gelagerten Truppen auf, um den am gestrigen Tage bis nach Amsteg zurückgeworfenen Feind weiter zu verfolgen.

Bei Erstfeld ging eine Abtheilung über die Reuß und zog sich ebenfalls thalaufwärts. Mitten aus dem grünen Thalkessel von Amsteg erhebt sich trotzig der Felshügel Flühli mit den Trümmern einer alten Burg, nach der Sage das von Geßler erbaute Zwing-Uri. Diese Anhöhe hielt Major Krauß mit seinen Schützen besetzt, und vertheidigte sich gegen Artillerie und Infanterie, bis die eidgenössischen Schützen die steilen Abhänge des scheinbar unzugänglichen Frauschenberges erkletterten und von der Höhe herunter auf den rechten Flügel des Feindes ein wohlgezieltes Feuer eröffneten, während in der Fronte die Infanterie im Sturme vorrückte und die Truppen, die am linken Reußufer vorgedrungen, auch die linke Flanke der feindlichen Position bedrohten. So von drei Seiten angegriffen, zog sich der Feind hinter die Kerstelenbrücke bei Amsteg zurück. Hier beginnt die Gotthardsstraße und öffnet sich das liebliche Maderanerthal. Major Krauß hatte bei der Kerstelenbrücke Barrikaden aufgeworfen, und hinter dem Bergbache und der nahen Reußbrücke stellte er seine Truppen in vorzüglicher Stellung auf; allein von Amsteg aus wurden sie von einem furchtbaren Feuer überschüttet, und ihre Stellung wurde durch die Tessiner Schützen, die durch die enge Schlucht des Kerstelenbaches vorgedrungen waren, umgangen. Major Krauß ließ daher zum Rückzüge blasen und zog sich über die Reußbrücke nach dem eine halbe Stunde entfernten Intschi zurück. Damit schloß gegen 1 Uhr das Manöver dieses Tags, das ebenfalls als ganz gelungen bezeichnet werden konnte.

Auch der 16. August begünstigte das Feldspiel mit vortrefflicher Witterung. Die Truppen drangen auf beiden Seiten der Reuß thalaufwärts; der Feind zog sich unter lebhaftem Feuer nur Schritt für Schritt zurück bis zur Meidschligenbrücke, die sich in kühnen Bogen über die Reuß schwingt. Hier war die eidgenössische Vorhut etwas zu unvorsichtig vorgerückt; rasch brach Major Krauß mit seinen Schützen aus einem Hinterhalte hervor, warf im Sturmschritt die überraschten Gegner über die Brücke zurück, verbarrikadirte dieselbe und nahm sogar in einem Hohlweg die eidgenössische Artillerie. Aber die erlittene Schlappe wurde rasch wieder ausgewetzt. Mit der größten Leichtigkeit und Gewandtheit kletterten die eidgenössischen Jäger links und rechts an den steilen Bergabhängen, die die Brücke dominiren, empor, um den Feind von oben herab, hinter Gebüsch und Felsen verborgen, sicher aufs Korn zu nehmen, während die Infanterie in geschlossenen Reihen gegen die Barrikade vordrang. Die Brücke wurde unter Hurrahrufen erstürmt und der Feind bis zum Pfaffensprung[1] zurückgeworfen, der dritten großen Brücke an der St. Gotthardsstraße. Nachdem der Feind seine Hauptmacht auf das linke Reußufer zurückgezogen, sprengte er die Brücke und zog sich rasch gegen Wasen zurück, da zahlreiche gegnerische Corps auf fast unwegsamen Fußsteigen seine Stellung umgangen hatten und ihm nun den Rückzug abzuschneiden drohten.

Doch horch! auch trüben aus den Schlünden des Maienthales ertönt der dumpfe Donner der Geschütze. Das Walliser eidgenössische Hülfscorps unter Major Gingins zog von den Höhen des Sustenpasses (6980 Fuß) herunter und erstürmte am Ausgange des Maienthales die vom Feinde nur schwach vertheidigte Maienschanze. Unterdessen war das Gros der eidgenössischen Armee in Folge der supponirten Zerstörung der Reußbrücke am

weitern Vordringen aufgehalten worden; rasch ward aber über den

  1. Man erzählt, ein Mönch habe ein Mädchen seinen Eltern geraubt und sich mit seiner Geliebten durch einen kühnen Sprung über die grausige Tiefe vor seinen Verfolgern hier gerettet.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_662.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2022)