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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

allmählich zum Rhonethal hinabsenkt; neben ihm ragt die Meienwand auf und über dies Alles erheben sich die wildgerissenen Eisstacheln und krystallenen Dornenkronen der Berner Alpen bis zu ihrem äußersten Flügelmann, dem Finsteraarhorn, das uns sein 13,250 Fuß hohes, oben abgeflachtes Zackenhaupt gleich neben dem rechten Horn der Furca zeigt.




Vom verlassenen Bruderstamme.

Eine Fahrt nach Angeln – Die Bauern in Angeln – Deutsch und dänisch – Schwarze Gensd’armen – Unterdrückung der deutschen Sprache – Die deutschen Pastoren – Eine dänische Kirche – Dänische Schullehrer – Im Postwagen – Oberpolizist Hagemann – Pastor Hansen und sein Religionsunterricht.

Das Land, das im Volksmunde Angeln heißt, ist einer der interessantesten Districte Schleswig-Holsteins. Angeln wird im Norden von der Flensburger Föhrde, im Osten von den Wellen der Ostsee, im Süden von der Schlei, im Westen von der Eisenbahnlinie begrenzt, welche Schleswig mit Flensburg verbindet, und hat einen Flächeninhalt von ungefähr 15 Quadratmeilen. Der Boden ist außerordentlich reich und ergiebig. In Angeln sieht man die stolzesten Bauernhöfe, die stattlichsten Dörfer, die wohlhabendsten und schönsten Kirchspiele des Landes. „Wir sind so wohlhabend, und der Boden ist so ergiebig, daß man uns gar nicht ruiniren kann, sonst hätten uns die Dänen längst ruinirt,“ sagten mir häufig die Bauern in Sörup, Geltingen und Satrup, wenn ich mit ihnen über das Land und über die dänische Wirthschaft sprach.

Aber noch weit interessanter als das Land sind seine Bewohner. Welch’ ein Kern im deutschen Bauernstande liegt, und welcher Entwickelung dieser Bauernstand fähig ist, das kann man in Angeln sehen! Die Angeler oder die Angeliter, wie sie sich selbst nennen, sind melancholischen Temperamentes. Sie sprechen mit besonderer Vorliebe von religiösen Gegenständen und denken oft und viel an den Tod; Mancher läßt sich seinen Sarg bei Lebzeiten bauen und in die Stube stellen, und Frauen und Mädchen in blühender Jugend nähen sich manchmal das Sterbehemd. Wie auf den windumrauschten Orkney-Inseln und auf den braunen Haiden Schottlands, sieht das innere Auge des melancholischen Anglers häufig das Zukünftige, was der schaffende Weltgeist sonst dem Auge des Erdenbewohners zu seinem Glücke verborgen hat. Auf diesem idyllischen Hügelland mit seinen dunkellaubigen Erlen und spitzblättrigen Eschen, überall von hohen Knicks durchzogen, welche wie dunkle Laubgewinde auf dem sonnigen, grünen Wiesenteppich liegen, zwischen diesen reichen, gelben Getreidefeldern, diesen dunkeln Buchenwäldchen, diesen reichen Gehöften und alterthümlichen Kirchen waltet das zweite Gesicht; hier erscheint Manchem die „Fata Morgana“ der Seelen und enthüllt die Zukunft in Feuerflammen, welche aus einem Dache emporschlagen, in Leichenzügen, in denen er die Gestalten seiner Nachbarn und Freunde erkennt, und in Schlachtbildern, welche ihm die Befreiung seines Landes verkünden. Der Angeler ist ferner ein Mann von schnellen Begriffen, er faßt leicht auf und orientirt sich schnell, hat ein großes Talent zur Selbstverwaltung seiner eigenen Gemeindeangelegenheiten, liest viel und unterrichtet sich gern. Die Schulen waren in Angeln immer besser im Stande, als überall in Schleswig; fleißig werden Zeitungen und Journale gelesen; die Wohlhabenden schaffen sich alle kleine Privatbibliotheken an, und man begegnet einer Kenntniß der politischen Verhältnisse, welche oft in Erstaunen setzt. Mit diesen hervorstechenden Eigenschaften des Verstandes vermischt sich eine übergroße Vorsicht, welche oft in Mißtrauen ausartet, aber sofort in das vollkommenste Vertrauen umschlägt, sobald dies einmal gewonnen ist, und eine große Hartnäckigkeit, welche ihnen in ihrem jetzigen Widerstand gegen das Dänenthum übrigens besonders zu statten kommt. Der frühere Hochmuth der Hufner, der Hofbesitzer, gegenüber dem Käthner ist ganz verschwunden; wenigstens habe ich keine Spur davon entdecken können; aber er ist in Stolz und Hochmuth den Dänen gegenüber umgeschlagen.

In Angeln erschienen mir die Bauern wie die Sieger, die Dänen wie die Besiegten. Sie betrachten die dänischen Beamten, Pfarrer und Schullehrer, welche ihnen von den Inseln in’s Land geschickt sind, um sie zu regieren und zu brüchten, wie elendes, armes Gesindel, welches lediglich gekommen ist, um sich zu mästen und sich in seiner Armuth satt zu essen, und sprechen von ihnen nur mit grenzenloser Verachtung. Leider haben die braven Angler in dieser Anschauung vollkommen Recht. Der Angler ist ferner sparsam, er ist ordentlich; aber er ist kein Filz. Die Gastfreundschaft in Angeln ist unbegrenzt. Für die Vertheidigung ihrer Rechte ist diesen herrlichen Bauern kein Opfer zu groß. Den Armen wird überall geholfen. Dabei sieht man und liebt man den Luxus in schönen, geräumigen Bauten, in prächtigen Möbeln und Kleidern, in stattlichen Pferden, in reichbesuchten Hochzeiten, Kindtaufen und Fahrten auf Besuch. Mahagony-Möbel, Uhren, bequeme Sessel, Sophas und Schaukelstühle, Pianinos und elegante Schreibtische fand ich in den meisten dieser Bauernhöfe, welche in gefälligen Formen gebaut und durchweg zierlich und reinlich gehalten sind.

Ich weiß nicht, ob es in Deutschland bekannt ist, daß in den Jahren 1850 und 1851, trotz der im Jahre 1852 zu Stande gekommenen Verhandlung Dänemarks mit Preußen und Oesterreich, als Mandataren des deutschen Bundes, in denen ausdrücklich die Selbständigkeit Schleswigs und die vollständige Gleichberechtigung der deutschen und der dänischen Nationalität in Schleswig versprochen wurde, durch eine Reihe von Verfügungen Seitens der dänischen Regierung in 5 Städten und 48 ländlichen Kirchspielen in Schleswig an Stelle des deutschen Schulunterrichts der dänische Schulunterricht und an Stelle des deutschen Gottesdienstes der dänische Gottesdienst in der Art eingeführt wurde, daß in den Städten an allen Sonntagen sowohl deutsch wie dänisch gepredigt werden, in den Landkirchspielen aber der Gottesdienst abwechselnd einen Sonntag deutsch, einen andern Sonntag dänisch sein sollte. Für die Gesetzmäßigkeit und Rechtmäßigkeit dieser Verfügung konnten selbst Seitens der dänischen Behörden gar keine Gründe angegeben werden. Die Abgrenzung der sogenannten gemischten Districte, in denen dänische Schulsprache und dänischer Gottesdienst eingeführt wurde, wurde in der willkürlichsten Weise nach alten statistischen Tabellen aus den Jahren um 1810 vorgenommen und oft so, daß in diesen gemischten Districten auch nicht ein einziger Mensch zu finden war, welcher dänisch sprach oder dänisch verstand. Angeln, welches der größte und wichtigste unter diesen gemischten Distrikten war, kam dabei besonders schlecht weg. Von 52 Sonntagen wurden ihm 26 abgenommen und der „dänischen Lehre“ geweiht, wie der Volksmund den dänischen Gottesdienst und die dänische Schulsprache nennt. Die Bauern, welche an der deutschen Bibel und dem deutschen Gesangbuch hielten, wie an dem besten Erbe ihrer Väter, wurden gezwungen, für ihre Kinder eine dänische Bibel und ein dänisches Gesangbuch anzuschaffen. In den meisten Kirchspielen werden die Prediger geradezu gehaßt. Die Bezeichnung „der schwarze Gensd’arme“ zeigt genügend, mit welchen Augen man sie betrachtet. Das Band zwischen der Schule und der häuslichen Erziehung ist zerrissen. Die Eltern schicken zwar, so weit sie nicht Mittel haben, ihre Kinder auswärts unterzubringen, die Kinder zur Schule, weil sie sonst hart gestraft werden, aber damit hört auch ihre Theilnahme auf. Sie erklären, sie verständen nichts von der dänischen Schulsprache und würden nie etwas davon wissen wollen. Und die Kinder, sie werfen, sobald sie confirmirt sind, die dänischen Bücher in’s Wasser, sprechen nie ein Wort dänisch wieder und geben sich ordentlich Mühe, das zu vergessen, was sie gelernt haben. [1]

Ich hatte die Herzogthümer, mit den umfassendsten und besten Empfehlungen versehen, nach allen Richtungen bereist, um die gegenwärtigen Zustände des Landes aus eigenen Anschauungen an Ort und Stelle kennen zu lernen. Was ich gefunden habe, war Erbitterung, Schmerz und Haß überall, die rechtloseste Willkür in Schleswig Seitens der Administrativ- und Polizei-Beamten –

  1. Um allen etwaigen böswilligen Angriffen Seitens der eiderdänisch nationalen Partei und wahrscheinlich auch conservativer deutscher Zeitungen, daß ich übertreibe, in Voraus zu begegnen, erkläre ich, obschon mir Vorstehendes aus meinen eigenen Untersuchungen in Angeln bekannt geworden ist, daß ich es dennoch aus der von Seiten der königlich preußischen Regierung im verflossenen Sommer den Cabineten der englischen, französischen und österreichischen Regierung überreichten ministeriellen officiellen Denkschrift wörtlich entnehme.
    Dr. jur. Gustav Rasch. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_664.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2022)