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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein zweistöckiges, aus gebrannten Steinen erbautes Landhaus, mit einer zierlichen Veranda versehen, tauchte nach kurzer Fahrt am Ende eines mit wohlgepflegten Schattenbäumen besetzten Rasenplatzes auf. „Das ist der Ort!“ sagte der Kutscher, und mit hellem Blicke überflogen die Augen des Mädchens das Haus wie die sauber gehaltenen Umgebungen. Nach dem Eindrucke, welchen das Gesammtbild auf sie hervorrief, meinte sie, es müßten sehr schlimme Verhältnisse kommen, wenn sie hier nicht nach ein oder der andern Seite hin eine Befriedigung finden sollte. Ein wohlerhaltener Fahrweg führte in einer Kreiswindung nach dem Eingange des Hauses, und schon in halber Entfernung sah sie dort eine den Wagen erwartende Gestalt in der Veranda erscheinen, fast berührte es sie aber wie ein leichter Schreck, als ihr beim Halten dieselbe Persönlichkeit, welche sie kaum erst auf dem Felde getroffen, langsam entgegenkam und ihr dasselbe durchdringende Auge wie dort begegnete. „Miß Lucy Hast wahrscheinlich!“ sagte der Herantretende, ihr leicht die Hand zum Aussteigen bietend, „und so erlauben Sie,“ fuhr er auf ihre bejahende Verneigung fort, „daß ich mich Ihnen gleich selbst als Major Wood, den Beantworter Ihrer Offerte nenne.“ Er wandte sich, während der Kutscher den Koffer ablud, nach dem Hause und zog kräftig die Thürklingel. „Hierher, Flora!“ rief er, als im Hintergrunde der das Haus durchschneidenden „Halle“ sich das Gesicht einer alten Mulattin zeigte, „die Lady hier wird das neueingerichtete Zimmer im obern Stock bewohnen, und Du sorgst pünktlich für ihre Bedienung, siehst auch jetzt sogleich auf Unterbringung des Gepäcks.“

Dann aber drehte er sich mit einem: „Wenn Sie mir nachher einen Augenblick folgen wollen, Miß –“ dem Mädchen wieder zu, welches so eben den Kutscher ablohnte, und schritt ohne weitere Ceremonie nach dem Innern des Hauses voran. Es lag eine Unumwundenheit und Bestimmtheit in seinem Auftreten, die von den gewöhnlichen Höflichkeitsformen kaum viel zu wissen schien, und Lucy fragte sich unwillkürlich, ob dies die allgemeine Weise eines Mannes sein könne, der seiner Sprache und Bewegung, seiner weißen, geschonten Hand und dem sauber bekleideten kleinen Fuße nach zur modernen Welt gehören mußte, oder ob dieser Ton nur ihrer künftigen Stellung in seinem Hause gelte? demohngeachtet fühlte sie sich dadurch schnell über die leichte Befangenheit, welche meist der erste Eintritt in neue, unbekannte Verhältnisse erregt, hinweggehoben und dieser Geradheit gegenüber eine eigenthümliche Sicherheit in sich erwachen. Mit einem freundlichen Nicken gegen die Dienerin, deren gelbes Gesicht in wohlgefälligem, halb verlegenem Grinsen zu der neuen Erscheinung aufsah, folgte sie rasch dem Vorangegangenen und trat eben in das von diesem geöffnete Zimmer, als er sie dort mit einem leichten: „Miß Hast ist angekommen, die Erzieherin, von welcher ich bereits gesprochen!“ anzukündigen schien, sich aber beim Rauschen ihres Kleides rasch nach ihr umwandte. „O, Sie haben Ihr Geschäft bereits abgethan, very well!“ sagte er, und Lucy fühlte wieder diesen Blick voll eigenthümlicher Beobachtung auf sich ruhen. „Hier ist Mrs. Lowell, meine Schwester, welche an der Stelle meiner verstorbenen Frau meinem Hauswesen vorsteht,“ fuhr er dann fort, nach einer ältlichen Dame deutend, die steif in einen Lehnstuhl zurückgelehnt, der Eingetretenen das Gesicht langsam zudrehte; „Sie wollen sich mit ihr verständigen, und später sehe ich Sie dann selbst wieder!“

Das Mädchen trat der Dasitzenden entgegen, während das Klappen der Thür die Entfernung des Hausherrn andeutete, wartete aber umsonst auf ein Begrüßungswort. Kalt ruhte das graue Auge der Dame auf der Nahenden, und nur wie der Nothwendigkeit nachgebend, deutete sie auf einen unweit befindlichen Stuhl. „Die Erzieherin – so?“ begann sie, ohne den steifen Ausdruck ihres Gesichts zu ändern, „es ist das erste Wort, was ich davon höre, wenn er auch sagt, er habe davon gesprochen. Er kann natürlich thun und lassen, was er will, aber er soll dann die Leute mir nicht auf den Hals schicken. Ueberhaupt sehe ich nicht ein, wozu eine Erzieherin nothwendig ist, wo es so viele ausgezeichnete Institute giebt – das ist aber einmal wieder eine von den Ideen des Majors, die kein anderer Mensch hat!“ Sie schüttelte kurz den Kopf und blickte nach dem Fenster.

Lucy war einen Schatten blässer geworden. „Ich weiß kaum, wie ich Ihre Worte deuten soll, Ma’am,“ sagte sie nach einer augenblicklichen Pause, sichtlich eine aufsteigende Erregung niederkämpfend, „und Sie setzen mich dadurch in eine eigenthümliche Lage. Ich bin einer bestimmten Aufforderung, mich hier einzufinden, gefolgt und hatte natürlich darauf gerechnet, mich der Dame des Hauses anschließen zu dürfen; meinerseits hätte es sicher an nichts fehlen sollen, mich einer erwiesenen Freundlichkeit werth zu zeigen, und vielleicht können Sie sich vorstellen, wie weh es einem jungen Mädchen, das zum ersten Male unter Fremde tritt, thun muß –“

Eine Handbewegung der alten Dame unterbrach die Sprecherin. „Ich will Niemand wehe thun, ich möchte nicht, daß so etwas von mir gesagt würde, ich spreche nur meine Ansichten aus, die ich wohl eben so gut haben darf, wie Andere,“ sagte sie, den Kopf würdevoll zurücklehnend; „ich habe vom Anfange mit Ihrer ganzen Angelegenheit nichts zu thun gehabt und möchte jetzt also am wenigsten mein Wort hinein geben – indessen, wie gesagt, will ich Niemand wehe thun, ich weiß nur von Allem, was da geschehen sein mag, nichts;“ – sie machte auf’s Neue eine Handbewegung, die kaum anders denn als ein Entlassungszeichen gedeutet werden konnte, und Lucy erhob sich zögernd von der Ecke des Stuhls, welche sie eingenommen. „Guten Morgen, Miß!“ schloß die Redende mit einer halben Kopfneigung, ein geöffnetes Buch von ihrem Schooße aufnehmend, und das Mädchen sah keine andere Wahl, als das Zimmer zu verlassen.

(Fortsetzung folgt.)




Das hundertjährige Jubiläum der Bleistiftfabrik von Faber,
in Stein bei Nürnberg.
Von Herbert König.

Im September des Jahres 1761 richtete der alte Faber, zünftiger Bleistiftmacher und Bleiweißschneider zu Nürnberg, sein „Krämchen“ her. Es bestand dies aus einem kleinen Laden, in dem er die fertige Waare kunstreich aufgestapelt hatte, und mehreren dunkeln Stuben und Kammern, die er gern seine Fabrik nennen hörte. Er hatte bei vieler Arbeit sein leidliches Brod, denn seine Bleistifte galten schon damals Etwas – auch war er sonst ein zufriedener Mann, der sich in seinen Söhnen geschickte Nachfolger heranzog. Nur ein Schmerz durchzuckte ihn, ein leiser Aerger beschlich das sonst so neidlose Gemüth, wenn er vom stolzen England hörte mit seinen berühmten Bleistiften, die aus den massiven Blöcken des reinsten Cumberlandschen Graphit gefertigt wurden, den keine heimische Composition ersetzen wollte, weder die von Graphitpulver und feinstem Thone, noch eine andere, und wäre sie noch so sinnreich gewesen. Im Wachen und Träumen stand ihm der englische Bleistift als unerreichtes Musterbild vor der Seele, und selbst in seinem letzten Stündlein soll er den Umstehenden zugeflüstert haben: „Kinder! thut’s den Englischen nach – wenn auch nicht zuvor!“

Ein volles Jahrhundert ist seitdem verflossen, und die Nachfolger des alten deutschen Fabrikanten haben auf’s Rühmlichste die Mahnung ihres Urahnen beherzigt, und das englische Fabrikat an Güte nicht allein erreicht – sondern es sogar übertroffen.

Es ist die berühmte Bleistift-Fabrik von A. W. Faber in Stein bei Nürnberg, welche in diesem Jahre ihr hundertjähriges Jubiläum feierte und abermals den Beweis lieferte, wie deutscher Fleiß, wie rastlose Energie und Ausdauer unserer Landsleute niemals fremdländische Concurrenz zu fürchten hat.

Jemehr es nun Pflicht der heimischen Presse und Journalistik ist, alles Das hervorzuheben und zu beleuchten, was unserm Vaterlande zur Ehre gereicht, um so mehr – und wir können es nicht unterdrücken – finden wir es unverzeihlich, wie in einem bekannten Conversations-Lexikon unter der Rubrik „Bleistifte“ unter Andern gesagt werden kann: „Die englischen sind die besten. Diesen stehen die Wiener und Pariser am nächsten; gröbere Sorten jedoch werden in Deutschland, namentlich in Nürnberg, gefertigt.“

Dieses – Versehen einigermaßen wieder gut zu machen, war zum Theil die leitende Idee, die zu diesem Aufsatze Veranlassung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_676.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)