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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Betrachten Sie sich völlig als zu Hause, treffen Sie Ihre Anordnungen, wie Ihnen dieselben als nothwendig erscheinen, es ist dafür gesorgt, daß ihnen nachgekommen wird, und kehren Sie sich sonst an nichts. Später, sobald es meine Zeit erlaubt, spreche ich Sie selbst.       Wood.“

Das war genau der Mann, wie er ihr beim ersten Blick entgegen getreten war, und ungerufen stand sein durchdringendes Auge vor ihr, als wollte es sagen: Bist Du die, für welche ich Dich gehalten? und dasselbe Gefühl der Sicherheit, welches sie bei seinen ersten Worten empfunden, überkam sie wieder; nochmals überlas sie die wenigen Zeilen und dann erhob sie sich, langsam ihre Hutes und Mantels sich entledigend. Jeder Zoll im Hause war ihr noch fremd, nirgends sah sie in den Verhältnissen, wie sie sich ihr bis jetzt vor Augen gestellt, einen Leitfaden, um ein Anstoßen zu vermeiden; aber sie fühlte, daß, wo an ihre Selbstständigkeit appellirt wurde, sie nicht zurückweichen durfte. Eben wollte sie sich mit einer Frage an die harrende Dienerin wenden, als sich die Thür halb öffnete und ihr ein trotziges Knabengesicht unter reichem, wildem Haar entgegenblickte – es war dasselbe Auge, dieselbe eigenthümliche Kopfhaltung, welche soeben noch vor Lucy’s Seele gestanden, und ein warmes, eigenthümlich wohlthuendes Gefühl der Zuneigung für das kaum erblickte Kind begann plötzlich in ihrem Innern aufzusteigen. „Nun, warum denn nicht näher?“ frug sie lächelnd, als der große, dunkele Blick forschend auf ihrem Gesichte hängen blieb, und langsam trat der Knabe ein, in gerader Linie auf sie zugehend; hinter ihm aber bog sich halb neugierig, halb scheu der wirr umlockte Kopf eines kleinen Mädchens zur Thür herein.

„Pa sagt, wir sollten zu Ihnen heraufgehen, Sie würden eine neue Mama für uns sein,“ sagte der Erstere ernst und wie noch immer ihr Gesicht studirend, „aber Tante Lowell hat auch eine neue Mama sein sollen und kommt nur zu uns, wenn sie uns schlagen will – aber ich lasse mich nicht schlagen.“

„Schlagen! sehe ich denn so sehr danach aus? und wer wird denn einem so tüchtigen, kleinen Kerl etwas thun wollen, der doch gewiß gern auf Jemand hört, den er lieb hat?“ sagte sie, dem Kinde die Hand entgegenstreckend, „und ich denke doch, wir werden uns mit der Zeit recht lieb haben!“ Ein heller Strahl ging über des Knaben Gesicht, sein Auge schien ihre Züge nicht verlassen zu können, und langsam legte er seine Hand in die ihre.

„Aber noch weiß ich ja nicht einmal wie Du heißt?“ fuhr sie fort.

„Ich heiße Richard, gerade wie Vater heißt,“ erwiderte er, sichtlich lebendig werdend ; „das ist Lotty,“ setzte er hinzu, auf das Mädchen deutend, das während der Verhandlung langsam herangekommen war und jetzt mit einem hellen Ausblick ihre Hand in Lucy’s ausgestreckte Linke legte, „und Maggy ist vor der Thür und will nicht herein; Tante Lowell sagt immer, sie ist ein verdrehter Kopf, mit dem nichts anzufangen ist.“

Ein Gefühl von aufwallender Liebe, wie sie es in ihrer bisherigen Heimath niemals hatte kennen lernen, hatte sich Lucy’s Herzens bemeistert, als sie die Hände des kleinen Paares in den ihrigen gefühlt; sie erhob sich jetzt rasch und schritt, von den Kindern gefolgt, nach der Thür. Draußen stand an die Wand gedrückt eine magere, kleine Gestalt mit unordentlich gescheiteltem, kurz abgeschnittenem Haare und hob scheu den Kopf der neuen Erscheinung entgegen. Lucy hockte sich nieder zu ihr und senkte einen langen, warmen Blick in ihr Auge. „Will mir denn Maggy nicht auch Willkommen sagen und gute Freundschaft mit mir machen?“ sagte sie mit dem ganzen Wohllaut ihrer Stimme, „ich möchte ja doch so gern, daß mich auch Maggy lieb hätte! “

„O, und Miß Lucy schlägt nicht, sie hat’s gesagt – und sieht sie nicht freundlich aus, Maggy?“ rief der Knabe, als wolle er dem kleinen, furchtsamen Geschöpft, das mit verwunderten Augen in das fremde Gesicht vor sich starrte, Muth machen.

„Und sie spielt auch Piano, Pa hat’s gesagt – können Sie nicht?“ setzte Lotty hinzu, sich in voller, erwachter Traulichkeit an die Angeredete schmiegend.

„Piano – pshaw! aber Geschichten erzählen!“ rief der Knabe den Kopf wichtig hebend, „können Sie das, Miß Lucy?“

„Nun, ich werde Piano spielen und Geschichten erzählen, wenn meine Kinder mich recht lieb haben und folgen werden!“ erwiderte die Befragte, die kleine Maggy, die willenlos sich ihr hinzugeben schien. in ihre Arme nehmend und sich dann erhebend. Zum ersten Male fiel jetzt ihr Blick auf das Aeußere ihrer Pflegebefohlenen, das trotz der werthvollen Stoffe, welche zu der Kleidung verwendet worden sein mochten, völlig vernachlässigt erschien, und ein heiliges Mitleid mit dem Vater, der sicher die mangelnde Sorge für seine Kinder bitter empfunden haben mußte, ehe er sich entschlossen, zu fremder Hülfe zu greifen, überkam sie und rief den Entschluß in ihr wach, in jeder Weise zu versuchen, Mutterstelle an den ihr Anvertrauten zu vertreten.

„Wo schlafen die Kinder?“ wandte sie sich an die Farbige, welche mit einem Blick voll regen Interesses die kurze Scene zu beobachten geschienen.

„Bei der Wirthschafterin, Ma’am!“

„So führen Sie mich zu dieser, wir wollen gleich die erste Nothwendigkeit zu ordnen versuchen, ehe wir an meine Angelegenheiten denken. Möchtet Ihr Eure Betten bei mir haben, Kinder?“ wandte sie sich an diese.

„Halloh, wir schlafen bei Miß Lucy, und da werden Geschichten erzählt, bis Keins mehr ein Auge aufhalten kann!“ rief der Knabe und sprang wie in toller Freude davon; die Mulattin zog eine wunderliche Grimasse, schien etwas sagen zu wollen und es wieder zu unterdrücken und ging endlich dem Mädchen nach dem hintern Theile des Hauses voran, wo zwei Schwarze in der Küche hantirten, während sich in einer daranstoßenden geöffneten Vorrathskammer die untersetzte Gestalt einer Weißen beschäftigt zeigte. Lucy, von ihrer Führerin bedeutet, wandte sich der Letzteren zu, kaum schien dieselbe aber von ihrer Erscheinung Notiz zu nehmen, und die Weise, in welcher sie nach kurzem Aufblicken der Eingetretenen den Rücken zeigte, drängte dieser unwillkürlich den Gedanken an eine absichtliche Unart auf.

„Sie sind die Wirthschafterin?“ fragte sie mit voller Höflichkeit im Tone, „ich muß mich Ihnen schon selbst als neue Hausgenossin vorstellen und komme dabei gleich mit einer Bitte!“

Die Angeredete wandte wie in einer unvermeidlichen Nothwendigkeit den Kopf und zeigte ein Gesicht voll harten, unangenehmen Ausdrucks, das während des kurzen Blicks über das Aeußere der Sprecherin nur noch unfreundlicher zu werden schien. „Ich bin allerdings die Wirthschafterin!“ sagte sie kurz und machte damit eine halbe Bewegung sich wieder wegzudrehen.

„Und ich bin die Erzieherin der Kinder hier, die ich gern völlig bei mir haben möchte,“ erwiderte Lucy, ihren bisherigen Ton beibehaltend, aber mit einem Blick voll ernster Sicherheit dem Auge der Frau begegnend. „Sie würden mich sehr mit der Angabe verbinden, ob neben meiner Wohnung sich noch ein dispenibler Raum befindet, der zu ihrer Schlafstube dienen könnte; im andern Falle würde ich auch wohl in meinem Zimmer Raum finden.“

„Ich glaube nicht, daß die jetzige Ordnung geändert werden wird,“ erwiderte die Erstere kalt, sich ihrer bisherigen Beschäftigung wieder zudrehend. „Mrs. Lowell hat die Kinder unter meine Obhut während der Nacht gegeben, und da werden sie bleiben, bis Mrs. Lowell selbst mir andere Befehle giebt.“

In dem Innern des Mädchens stieg es plötzlich wie die Ahnung eines bereits gegen sie fertig gemachten Complots auf; kaum war es sonst möglich, bei ihrem ersten Eintritte in das Haus auf eine so bestimmt ausgeprägte, wiederholte Unfreundlichkeit zu treffen; und wenn sie auch keine Ahnung von den Gründen hatte, die jedenfalls in den häuslichen Verhältnissen lagen, so fragte sie sich doch, ob nicht der Einfluß des vereinigten weiblichen Commando’s stärker sein würde als die Macht des Hausherrn, der die wenigste Zeit zu haben schien, sich um seine häuslichen Angelegenheiten zu bekümmern. Kaum zwei Secunden Zeit mochten indessen die sich in ihr drängenden Gedanken genommen haben, und in gleicher Zeit hatte sie auch eingesehen, daß sie nur durch ein, völlige äußere Ruhe und Gehaltenheit ihre Würde bewahren könne.

„Es hätte mich gefreut, Ma’am,“ sagte sie, mit ihrer ganzen Kraft jedes äußere Zeichen einer Erregung unterdrückend, „wenn Sie mit derselben Freundlichkeit, die mich zu Ihnen führte, auf eine gegenseitige Besprechung eingegangen waren; so muß ich Ihnen überlassen, was Sie thun wollen, und bitte Sie nur zu bemerken, daß ich Sie nochmals ersuche, Anstalten für die Uebersiedelung der Kinder in meine unmittelbare Nähe zu treffen.“ Und die kleine Maggy aufnehmend, welche sich ängstlich an ihrem Kleide festgehalten, wandte sie sich gedankenvoll nach ihrem Zimmer zurück, wo noch immer Koffer und Reisetasche des Auspackens harrten.

„Ich wußte, daß sie Ihnen nicht zu Willen sein würde,“ sagte die alte Flora halblaut, ihr in das Zimmer folgend und die Thür vorsichtig schließend, „es ist schon zwei oder drei Tage bekannt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_690.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)